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Gesundheit: Raus aus der geistigen Narkose

Prüfungskandidaten sollten Mind Maps malen, anstatt monotone Listen zu schreiben

Von Anja Kühne

Prüfung in Sicht: Die Studentin Caroline setzt in dieser Situation immer die gleichen Hebel in Bewegung. Zuerst exzerpiert sie Dutzende von Büchern. Dann bringt sie ihre Notizen in langen, ordentlich getippten Listen unter – sinnvoll gegliedert und hierarchisiert von römisch eins bis arabisch 15, von groß A bis klein z. So entsteht aus den vormals überall verstreuten Informationsmassen ein Reader’s Digest. Das muss Caroline jetzt noch auswendig lernen. So hat sie schon so manche Prüfung überstanden. Und nicht mal schlecht.

Der englische Psychologe Tony Buzan dagegen hält Carolines Vorgehen für das reine Prüfungsgift: Aus seiner Sicht gibt es keine bessere Methode als Carolines, das Gehirn in einen „halbhypnotischen“ Dämmerzustand zu versetzen, in eine „geistige Narkose“: Beim Anblick der ewig gleichen langen Listen muss es einfach abschlaffen, meint Buzan, und es dauert ewig, bis alle Ober- und Unterpunkte endlich im Kopf sind. Außerdem geht mit den Listen viel Zeit verloren. Denn trotz aller Versuche, den Stoff zu komprimieren, hat sich Caroline ziemlich viel notiert. Deshalb dauert jeder Gang durchs Material lange. Noch ein Nachteil: Schlüsselwörter kommen in den Listen auf verschiedenen Seiten vor. Das Gehirn kann deshalb keine Assoziation zwischen wichtigen Begriffen herstellen. Wehe also, wenn der Prüfer nicht in der Reihenfolge fragt, in der Carolines Listen formuliert sind. Dann käme sie leicht ins Schleudern.

Den Lernenden befreien

Buzan will die Lernenden aus dem Dunkel des drögen Listenpaukens befreien. Sein „Mind-Map Buch“ widmet er pathetisch „den Kriegern des Geistes, die für die Erweiterung und Freiheit der menschlichen Intelligenz kämpfen“. Buzan sieht sich offenbar als Papst des „radialen“, des strahlenden Denkens. Er hat in den siebziger Jahren das Mind Mapping als Lernmethode verbreitet, nachdem er bemerkt hatte, dass sein „Gehirn unter der Last das Studiums zusammenzubrechen drohte“. Seitdem hat der frühere Herausgeber des „International Journal of Mensa“, der Zeitschrift der Gesellschaft Hochbegabter, 82 Bestseller über das kreative Denken veröffentlicht, die in über 30 Sprachen übersetzt wurden. Auf die Methode des „Mind Mapping“ setzen heute immer mehr Manager – während die meisten Schüler und Studenten noch nie etwas davon gehört haben. Jetzt veröffentlichte Buzan eine Überarbeitung seines Standardwerks auf Deutsch.

Die Mind Map sieht aus wie eine Sonne, wie ein Spinnennetz oder wie ein Baum – oder wie die „neuronalen Umarmungen“ (Buzan) im Gehirn: Es folgt also der Natur, die eben nicht linear, sondern radial organisiert ist, wie Buzan hervorhebt. Der „Mind Mapper“ arbeitet mit A-3-Bögen. Mit mindestens einem Dutzend bunter Filzstifte geht er zu Werke, malt zuerst in die Mitte ein Symbolbild – das Hauptthema –, von dem aus er dann die Unterthemen erster Ordnung abzweigen lässt. Von diesen zweigen wiederum die Unterthemen zweiter Ordnung ab und so weiter. Auf jeden Zweig schreibt der Mind Mapper nur ein einziges wichtiges Schlüsselwort. Verbindungen zwischen den Ästen stellt er mit Pfeilen her. Sodann wird er zum Künstler: Je besser es gelingt, Abstrakta wie „Freiheit“ oder „Demokratie“ symbolisch als bunte Bilder darzustellen, desto leichter fällt später die Erinnerung an den Stoff, meint Buzan. Das hilft auch, wenn man eine Rede frei halten will.

Aber Buzan sieht im Mind Mapping viel mehr als nur eine Erinnerungs-Technik. Das „strahlende Denken“, fördere die freie Assoziation, „das Gehirn wird zunehmend wacher und aufnahmebereiter“, ja, sogar die eigene Intelligenz wachse mit der ständigen Verwendung von Mind Maps, verspricht Buzan. Er empfiehlt die Methode für das Brainstorming in sämtlichen Lebensbereichen, für die Hausarbeit an der Uni wie für die private Lebensplanung: Soll ich Schulden für eine neue Stereoanlage aufnehmen oder lieber nicht? Wie löse ich meine Beziehungskrise? Buzan suggeriert sogar, die Mind Map könne zu einem Erweckungserlebnis führen und das Lebensglück steigern.

Martin Schuster, Lernpsychologe an der Universität Köln, hält solche Heilsversprechen dagegen vor allem für eine geschickte PR-Strategie. Weder sei die Technik eine Erfindung Buzans – früher habe man „Netzplan“ oder „Abrufplan“ gesagt – noch sei Buzans Betonung eines zentralen Symbolbilds für alle Sachverhalte tatsächlich angemessen. „Man muss das Ganze deutlich tiefer hängen“, sagt Schuster. Die Methode stoße ständig an ihre Grenzen. Wer sie ausprobiert, weiß, wovon Schuster spricht. Es kostet viel Zeit, bunte Bilder zu malen, und natürlich prägt sich auch eine mit unzähligen Ästen und Wörtern beschriebene „Wissens-Karte“ nicht im Handumdrehen ein.

Von der Bürde erleichtert

Doch auch Schuster hält es für erwiesen, dass jeder Mensch „visuell-simultan wesentlich besser lernt als verbal-segmental“, und auch, dass „sinngemäßes Auswendiglernen“ leichtert fällt. Dem kommt die Mind Map entgegen. Wer sie verwendet, fühlt sich sofort deutlich von der Bürde seiner langen Listen erleichter. Das ganze Thema liegt nun übersichtlich auf einem großen Blatt vor dem Kandidaten. Bei großen Stoffmengen wird der Prüfling mit einer Map nicht auskommen, sondern vielleicht zehn brauchen. Aber das ist besser als 100 Seiten Exzerpt. Auch das unübersichtliche Chaos einer Hausarbeit nimmt mit der Mind Map plötzlich Konturen an. Und das kann manchmal schon zum Lebensglück reichen.

Mehr zum Thema im Internet:

www.mind-map.com

www.laum.uni-hannover.de

Tony und Barry Buzan, „Das Mind-Map Buch. Die beste Methode zur Steigerung Ihres geistigen Potenzials“. mvg, 2002. 24,90 Euro

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