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Gesundheit: Rein in den Main

Wo die Bildung baden geht: Die Studentenproteste weiten sich zu einer bundesweiten Bewegung aus

In der Festhalle holen Prominente wie Michael Schumacher und Pelé Ländernamen aus Lostöpfen und bestimmen so die Qualifikationsgruppen für die Fußballweltmeisterschaft 2006. Vor der Halle verteilen Studenten an die geladenen Gäste ebenfalls Lose – die entscheiden, wer die letzten Studienplätze bekommt. Nachwuchsmediziner reichen Spritzen für ein Bildungsdoping, und passend zum fußballerischen Rahmen zeigen sie dem Regierungschef Rote Karten gegen seine Bildungspolitik.

Das könnten neue originelle Aktionen der protestierenden Berliner Studenten gewesen sein. Doch die Auslosung zur WM-Qualifikation fand Ende letzter Woche in Frankfurt statt, und die Demonstranten stammen von der dortigen Johann-Wolfgang-Goethe-Universität. Denn die Frankfurter Studierenden begannen mit ihrem Ausstand, als ihre Berliner Kommilitonen über die Frage Streik oder Nicht-Streik noch diskutierten. Auf der Frankfurter Streik-Webseite tickt eine Uhr: Den 34. Streik-Tag zeigt sie heute an, und ein Ende des Ausstandes ist nicht in Sicht. „Wir arbeiten auf den 17. Dezember hin“, sagt Ole Schmitt im Streikbüro der Uni. Dann entscheidet der Hessische Landtag über die Pläne der Landesregierung, die den Zorn der Studenten erregen: die Einführung von Langzeit- und Zweitstudiengebühren ab dem nächsten Jahr. Neun weitere hessische Hochschulen streiken inzwischen ebenfalls.

Was an der Uni Frankfurt begann, hat sich zu bundesweiten Studenten-Protesten ausgeweitet: In Bayern gingen vor kurzem Zehntausende Studierende auf die Straße. Die Universität Göttingen befindet sich in einem „Aktionsstreik“. Auch im hohen Norden ist der Protest angekommen: Den jüngsten Streikbeschluss an deutschen Hochschulen fassten letzten Mittwoch 2000 Studenten der Uni Bremen.

In Göttingen begehen junge Japanologen symbolisch Harakiri. Um zu versinnbildlichen, dass die Bildung baden geht, hopsen Studenten nicht nur in die Spree, sondern auch bei Marburg in die Lahn und in Frankfurt in den Main. Ihre Forderungen unterscheiden sich jedoch in den verschiedenen Bundesländern. In Bayern plante die Regierung von Ministerpräsident Stoiber zehnprozentige Kürzungen bei den Hochschuletats – nach den ersten landesweiten Demonstrationen sollen es jetzt nur noch fünf Prozent sein. Die niedersächsische Landesregierung will den Hochschulen im nächsten Jahr 42 Millionen Euro weniger überweisen. Den Fachhochschulen in Nienburg und Buxtehude droht die Schließung, in Göttingen sollen gleich mehrere Studiengänge eingestellt werden.

Auf dem Campus der Uni Bremen begrüßt die Studenten seit neuestem ein Galgen: Dort darf jeder sein letztes Hemd aufhängen. Die Hanseaten streiken gegen Verwaltungsgebühren von 50 Euro und Langzeitstudiengebühren von 500 Euro, die der Senat nächstes Jahr einführen will. „Noch finden Lehrveranstaltungen statt. Wir sind erst in der Organisationsphase“, sagt AStA-Mitglied Stefanie Hennecke. Anders als die Berliner Uni-Präsidenten reagierte die Leitung der Bremer Hochschule zunächst zurückhaltend auf die Proteste ihrer Studierenden. „Langzeitstudiengebühren sind kein Weg, um Studienzeitverkürzungen zu erreichen“, heißt es in einer Stellungnahme des Rektors, aber auch: „Das Rektorat hält die Erhebung einer Verwaltungsgebühr von 50 Euro pro Semester für notwendig.“ Ansonsten könne die Betriebsfähigkeit der Uni nicht mehr gewährleistet werden. In München dagegen protestierten die Präsidenten und Professoren Seite an Seite mit den Studenten. Der Göttinger Rektor Horst Kern lief ebenfalls auf einer Demo seiner Schützlinge mit. „Als Privatperson“, betont seine Pressesprecherin Marietta Fuhrmann-Koch.

Erste Anzeichen deuten darauf hin, dass sich die verschiedenen Proteste zu einer deutschlandweiten Studentenbewegung auswachsen. Als 30 Frankfurter Studenten am Freitag für eine halbe Stunde ein Regionalstudio des Hessischen Rundfunks besetzten, richteten sie Grüße an die Berliner Streikenden aus – die Berliner waren zuvor in die Hessische Landeszentrale in der Hauptstadt eingedrungen, um sich mit den Frankfurter Kommilitonen zu solidarisieren. Am 13. Dezember sollen bundesweite Demonstrationen in Berlin, Leipzig und Frankfurt stattfinden, die zeitgleich um 14 Uhr starten. „Hinter allen Forderungen steht doch das Gleiche: Es wird an der Bildung gekürzt, und dagegen müssen wir ein Zeichen setzen“, sagt Nele Hirsch von der Gruppe Freier Zusammenschluss der Studentinnenschaften, der die Demonstrationen organisiert.

Zumindest eine scheint von der bundesweiten Strahlkraft des Protestes überzeugt zu sein: Sabine Christiansen diskutierte gestern mit ihren Gästen, ob in Deutschland Bildung bald nur noch für Reiche erschwinglich sein wird.

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