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Gesundheit: Rhetorik: Der Sommer der Redekunst - Ein Campus-Wettbewerb

Man müsste mal zusammenrechnen, wie viele Stunden die durchschnittliche Studentin, der durchschnittliche Student damit verbringen, ihren Kommilitonen und Dozenten bei langweilig, stockend, monoton vorgetragenen Vorträgen zuzuhören. Wahrscheinlich sind es ganze Monate, gar Jahre, in denen man, das Gähnen mühsam unterdrückend, Informationen und Thesen ins eine Ohr rein und aus dem anderen wieder raus rieseln lässt.

Man müsste mal zusammenrechnen, wie viele Stunden die durchschnittliche Studentin, der durchschnittliche Student damit verbringen, ihren Kommilitonen und Dozenten bei langweilig, stockend, monoton vorgetragenen Vorträgen zuzuhören. Wahrscheinlich sind es ganze Monate, gar Jahre, in denen man, das Gähnen mühsam unterdrückend, Informationen und Thesen ins eine Ohr rein und aus dem anderen wieder raus rieseln lässt. Auch wer die Hochschule schon lange verlassen hat, erinnert sich oft mit Grauen an ellenlange abgelesene Referate, an Dozenten, die kaum den Mund aufkriegten, an lustlos oder unklar geführte Diskussionen. Ach ja! Manchmal möchte man mit Eiern werfen.

Zum Thema Online Spezial: Rhetorik Aber sie tun es ja nicht mit Absicht - und wer kann schon von sich behaupten, dass er oder sie es in jedem Falle besser gemacht hätte? In Deutschland wird die Rede- und Debattierkunst einfach nicht gepflegt und kaum unterrichtet. Während in den USA sich die Kinder schon in den Grundschulen im Vortragen vor Publikum üben - "show and tell" heißt eine Übung, bei der jedes Kind etwas von zu Hause mitbringt und darüber erzählt -, während englische Schüler in Debattierclubs gegeneinander antreten, gilt hier zu Lande die Regel: Reden kann man von alleine oder eben nicht. Als Lernziel mag die Rhetorik in Schulcurricula verankert sein, aber die wenigsten Lehrer - von Uni-Dozenten ganz zu schweigen - fühlen sich darin sicher genug, um mit ihren Schülern zu üben. Sie können sich dabei übrigens auf eine lange Tradition berufen: Schon der große Friedrich Schiller vergraulte seine Studenten in Jena, weil er monoton, lustlos und in tiefstem Schwäbisch vor sich hin nuschelte.

Die Rhetorik hat ihren Platz hier zu Lande nicht an Schulen oder Hochschulen, sondern auf dem Buchmarkt und im Weiterbildungssektor. Es gibt hunderte von Büchern und Seminaren, die "Erfolg im Beruf durch Rhetorik" oder "mehr Durchsetzungskraft" versprechen. Ausgerechnet die Schlüsselqualifikationen - und dazu gehört ja neben dem Reden auch das flüssige Schreiben - müssen sich Schüler und Hochschüler also auf dem freien Markt holen, obwohl gerade sie in der Berufswelt gebraucht werden. Und zwar nicht nur von professionellen Rednern, Politikern oder Moderatoren: auch bei Referaten in Schule und Hochschule, bei Präsentationen und Verhandlungen im Beruf, bei Ansprachen und Debatten aller Art. Rhetorik ist ja mehr als ein Satz von Stilfiguren, die aus der Antike überliefert wurden. Sie hat mit dem Körper zu tun, mit Körpersprache, Stimme, Lampenfieber: mit dem ganzen Menschen. Und ihre Königsdisziplin, die Kunst des Debattierens, ist die Grundlage der Demokratie.

Treue Leser und Leserinnen des Tagesspiegels wissen, dass auf diesen Seiten jeden Sommer das Wettbewerbsfieber ausbricht. Zugegeben, das hat etwas mit dem Sommerloch zu tun, aber auch damit, dass man zu den schönen Dingen im Leben und im Journalismus nur kommt, wenn sich das Hamsterrad der Betriebsamkeit mal etwas langsamer dreht. Wir haben unsere Leser in den letzten Jahren genötigt, Fortsetzungsromane zu vervollständigen, Kurzgeschichten zu verfassen, Karikaturen zu zeichnen und zuletzt gar ihr poetisches Ich zu enthüllen - und sie haben alles mitgemacht, findig und phantasievoll, belohnt durch Geldpreise, Abdruck ihrer Werke, Bücher und eine Abschlussparty samt Buffet.

In diesem Jahr hat uns das Thema Rhetorik fasziniert: Verbindet es doch in geradezu idealtypischer Weise das Nützliche mit dem Schönen, das Aktuelle mit dem Historischen, das praktisch Einsetzbare mit dem geistig Anregenden. Und kommt uns der Berliner Wahlkampf nicht wunderbar zupass? Über den Erfolg der Spitzenkandidaten (siehe Interviews) wird nicht zuletzt ihre Eloquenz entscheiden.

Der Sommer soll also - mit dem Wettbewerb, mit Artikeln über die Rhetorik in der Antike, über Lampenfieber, Debattierclubs und mehr - im Zeichen der Redekunst stehen. Wir befinden uns damit übrigens in guter Gesellschaft: Die Zahl der Debattierclubs an Schulen nimmt zu, die Wochenzeitung "Die Zeit" baut ein Reden-Archiv auf ( www.zeit.de/reden ), und am Wochenende fand an der Humboldt-Universität die erste deutsche Debattiermeisterschaft der Hochschulen statt. Mehr noch: Die Gemeinnützige Hertie-Stiftung hat ein dreijähriges Pilotprojekt "Rhetorik in die Schule! Jugend debattiert" ( www.jugend-debattiert.ghst.de , vgl. Tagesspiegel vom 13. Juni) ins Leben gerufen und hat sich großzügigerweise bereit erklärt, Debattier-Trainings für Schüler und Studenten zu veranstalten, die an unserem Wettbewerb teilnehmen.

Nur, leider: Wir sind eine Tageszeitung und können nur mit den Mitteln unseres Print-Mediums arbeiten. Kraftvolle Stimmen können wir nicht senden, eindringliche Körpersprache nicht ausstrahlen, und dramatische Pausen bleiben im Druck unbemerkt. Wir können nur übers Reden schreiben - und eine spannende Abschlussveranstaltung organisieren, bei der Debatten geführt und Reden gehalten werden. Ganz so traurig sind wir übrigens nicht über unser gutes, altes Medium: Schließlich beginnen die besten Reden immer noch mit dem Stift.

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