zum Hauptinhalt

Gesundheit: Rotalge: Galdi ist einfach anders

Der Chemie-Nobelpreisträger Willard Frank Libby wollte sie Ende der sechziger Jahre auf die Venus schicken. Taxonomen - sie kümmern sich um die systematische Einteilung des Pflanzenreichs - brachte sie zur Verzweiflung und Pflanzenphysiologen, die sich ihren Stoffwechsel näher besahen, waren schlichtweg baff: Galdieria sulphuraria, eine gerade mal drei bis zehn Mikrometer kleine, einzellige Rotalge scheint ein wahrer Alleskönner zu sein.

Der Chemie-Nobelpreisträger Willard Frank Libby wollte sie Ende der sechziger Jahre auf die Venus schicken. Taxonomen - sie kümmern sich um die systematische Einteilung des Pflanzenreichs - brachte sie zur Verzweiflung und Pflanzenphysiologen, die sich ihren Stoffwechsel näher besahen, waren schlichtweg baff: Galdieria sulphuraria, eine gerade mal drei bis zehn Mikrometer kleine, einzellige Rotalge scheint ein wahrer Alleskönner zu sein. Bei Temperaturen zwischen 45 und 60 Grad Celsius gedeiht sie in einem extrem sauren, schwefelhaltigen Milieu (pH 0,05 - 3) auch dann noch prächtig, wenn sie unter einer bis zu drei Zentimeter dicken Steinschicht begraben liegt.

Das sind Bedingungen, mit denen extremophile Mikroorganismen durchaus fertig werden können. Für eine Alge aber ist ein solcher Lebensraum äußerst ungewöhnlich. Schließlich gehören Algen zu den Pflanzen, und die gewinnen ihre Lebensenergie nun mal durch Photosynthese. Das heißt: Sie wandeln mit Hilfe von Lichtenergie Wasser und Kohlenstoffdioxid (CO2) zu Zucker (Glucose) und Sauerstoff um. Pflanzen bauen organisches Material demnach selbst auf. Sie sind auf Licht angewiesen und damit für ein düsteres Leben in einem Stein (endolithisch) kaum geeignet.

Doch Galdi, wie Galdieria liebevoll von Wissenschaftlern genannt wird, ist anders als andere. Bekommt sie zu wenig Licht, stellt sie ihren Stoffwechsel kurzerhand um und ernährt sich von organischen Verbindungen. Mit anderen Worten: Statt Zucker herzustellen, baut sie ihn ab. Eine Ernährungsform, die sonst eher Mikro- und tierischen Organismen, einschließlich des Menschen, vorbehalten ist. Nicht einmal ihre beiden Schwesterarten Cyanidium und Cyanidioschyzon können sich auf diese Weise ernähren. Kein Wunder, dass Biologen erst heute beginnen, Galdis Geheimnis zu lüften.

Wissenschaft mit Hindernissen

Galdieria macht es ihren Erforschern nicht leicht. Allein ihr Lebensraum: Meist Steine und Felsen am Rande schwefelhaltiger Quellen, die so sauer sind, dass ihnen weder Schuhsohlen noch Kameragehäuse lange Stand halten. Und dann die endolithische Lebensweise: "Galdieria zeigt sich nicht auf den ersten Blick", sagt Wolfgang Gross. "Um sie zu finden, mussten wir oftmals Steine aufklopfen, erst dann haben wir die grüne Algenschicht sehen können."

Selbst in Neapel zu finden

Ihre nördlichste Verbreitung hat Galdieria in Island, doch findet man sie auch an Schwefelquellen im Yellowstone National Park in den USA oder in Japan. Selbst in der Nähe von Neapel sind Gross und seine Kollegin Christine Oesterhelt, beide Pflanzenphysiologen am Institut für Biologie der Freien Universität (FU) Berlin, schon fündig geworden. Im Laufe der Jahre sammelten die beiden Wissenschaftler ausreichend Material, um dem Stoffwechsel der Alge im Labor auf die Spur zu kommen. "Obwohl sie die Extreme liebt, ist Galdi recht anspruchslos. Sie ist im Labor einfach zu halten", sagt Christine Oesterhelt und verweist auf einen Erlenmeyerkolben mit einem dickflüssigen, tiefgrünen Brei.

Galdi - ein Alleskönner. Wie schafft es diese kleine Pflanze nur, ihren Stoffwechsel von der normalen Photosynthese auf den Abbau von Zuckern umzustellen? Woher nimmt sie die nötigen Enzyme (Biokatalysatoren)? Und wie kommt der Zucker überhaupt in die Zelle? "Erstaunlicherweise befinden sich die Enzyme, die die Alge zum Zuckerabbau braucht, immer in der Zelle", sagen die Wissenschaftler. "Auch dann, wenn Galdi Photosynthese betreibt."

Offenbar wäre der Aufwand zu groß, diese wichtigen Moleküle erst dann zu bilden, wenn sie tatsächlich gebraucht werden. Wie viele Enzyme beteiligt sind, ist schwer zu sagen. Neben den typischen Zucker-abbauenden Enzymen beherbergt Galdi besonders viele neuartige Biokatalysatoren, die noch zu identifizieren sind. "Das Besondere an dieser Rotalge ist ja, dass sie unglaublich viele Substrate nutzen kann", sagt Oesterhelt. Entsprechend vielfältig sind die Enzyme.

Die Aufnahme der Zucker aus der Umgebung gelingt der Rotalge durch spezielle Transporter in ihrer äußeren Zellschicht. Mindestens 14 solcher Transportsysteme pumpen die verschiedensten Zuckerarten in die Zelle. Dabei ist Galdieria durchaus wählerisch: Am liebsten mag sie offenbar Traubenzucker. Dieser Einfachzucker heißt wissenschaftlich Glucose und ist wichtigster Betriebsstoff der zellulären Energiegewinnung.

Anders als die Enzyme sind die Transportkanäle für die Zuckermoleküle aber nicht ständig in der Zelle. Sie werden nur gebildet, wenn verwertbare Nährstoffe in der Umgebung vorhanden sind. Das erklärt auch die kurze Pause, die die Alge einlegt, wenn sie von der Photosynthese auf den Zuckerstoffwechsel umsteigt. Im Labor braucht sie knapp zwei Tage, um ihr Innerstes entsprechend umzubauen. "Unter natürlichen Bedingungen dürfte das allerdings allein wegen der höheren Temperaturen wesentlich schneller gehen", meint Gross. Auch kann Galdi gleichzeitig photosynthetisch aktiv sein und Zucker abbauen. Galdieria lässt nichts verkommen - im Gegenteil, sie nutzt jede Nahrungsquelle und legt sich sogar Vorräte für schlechte Zeiten an.

Traubenzucker bevorzugt

Wie die Alge die Zucker wahrnimmt, ist noch nicht geklärt. "Wir haben es aber mit Sicherheit mit zwei verschiedenen Kanal-Systemen zu tun, die sich nacheinander anschalten", sagt Oesterhelt. In ihrer Doktorarbeit zog die Biologin eine Algenkultur auf Glucose auf, eine andere auf Dulcitol. Dabei zeigte sich: So lange die Zellen, die auf Glucose sensibilisiert waren, gewöhnliche Zucker wie Hexosen zur Verfügung hatten, ernährten sie sich ausschließlich von diesen. Seltenere Zucker akzeptierte Galdi erst, nachdem die Hexosen verbraucht waren.

Für den weiteren Verlauf ihrer Arbeit hoffen die beiden Wissenschaftler der Berliner FU nun auf ein Genomprojekt mit Galdieria. Mit ihrem extrem kleinen Genom würde sich die Alge dazu bestens eignen. Darüber hinaus ist dieser winzige Organismus, der das Extreme so sehr liebt, auch wirtschaftlich von großem Interesse. So sucht etwa die Zuckerindustrie nach Enzymen, die auch mit ungewöhnlichen Zuckern fertig werden. Und auf dem Umweltsektor könnte Galdieria sulphuraria dank ihrer extremen Säuretoleranz schon jetzt einiges leisten.

Fabriken und Produktionsstätten, die viel CO2

emittieren, könnten mit Galdieria zum Beispiel ihr Rauchgas-Kondensatwasser reinigen. Dabei wird gleichzeitig CO2 gebunden und wertvolle Algenbiomasse produziert. Ohne Frage, Galdieria ist ein Naturtalent. Nur eines mag sie ganz und gar nicht: Trockenheit.

Julia Thurau

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false