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Gesundheit: Sachsen-Anhalts Kultusminister Gerd Harms (SPD) reformiert die Schulen

Gerd Harms (46) ist seit Dezember 1998 Kultusminister in Sachsen-Anhalt. Seitdem hat er eine Reform angestoßen, über die er im Interview mit Uwe Schlicht Bilanz zieht.

Gerd Harms (46) ist seit Dezember 1998 Kultusminister in Sachsen-Anhalt. Seitdem hat er eine Reform angestoßen, über die er im Interview mit Uwe Schlicht Bilanz zieht. Harms hatte Politologie und Erziehungswissenschaften studiert, war bis 1991 Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Frauen, Jugend und Familie in Berlin, danach Staatssekretär im Bildungsministerium von Brandenburg.

Seit Ihrem Amtsantritt vor einem Jahr im Dezember 1998 ist die Schulreform in Sachsen-Anhalt vorangekommen. Beginnen wir mit der Grundschule: Die Eltern schulen ihre Kinder immer später ein - durchschnittlich heute mit sieben Jahren. Nun wollen Sie die Eingangsstufe verändern. Was sind die Ziele der Reform der Eingangsstufe?

Die Grundschule muss sich auf die Kinder und ihre Lernfähigkeit einstellen. Bei Schulen, die so arbeiten, werden alle Kinder eingeschult und bleiben in der Eingangsstufe in der Regel zwei Jahre. In Ausnahmefällen können sie, bei entsprechender Entwicklung, bereits nach einem Jahr in die dritte Klassenstufe aufrücken oder, wenn sie längere Zeit benötigen, auch drei Jahre in der Eingangsstufe bleiben. Eine Vorklasse entfällt bei dieser Reform. Wer begabter oder früher entwickelt ist, kann auf diese Weise die Schulzeit verkürzen. Wir machen also den Eltern ein Angebot und wollen die Eingangsstufe anders organisieren als bisher.

In Sachsen-Anhalt ist die von Ihrem Amtsvorgänger eingeführte Förderstufe umstritten. In der Förderstufe werden nach Abschluss der Grundschule die Schüler der fünften und sechsten Klasse zusammen unterrichtet, wenn auch in den wichtigsten Fächern auf unterschiedlichem Leistungssniveau. Welche Erfahrungen haben Sie inzwischen mit der Förderstufe gemacht?

Der erste Durchgang der Förderstufe ist jetzt abgeschlossen. Es gibt eine Auswertung der Erfahrungen, und daraus haben wir eine Reihe von Fragen entwickelt. Entscheidend ist die Frage, wie bereite ich die Kinder auf die verschiedenen Bildungs- und Lebenswege möglichst gut vor? Wie kann die Leistungsbereitschaft gesteigert werden, wie sind Kinder zu fördern, die sich überfordert fühlen? Ganz wesentlich ist die Frage, wie sind Lehrer zu befähigen, auch mit heterogenen Lerngruppen umzugehen? Der befürchtete Leistungseinbruch bei den zukünftigen Gymnasten ist jedenfalls nicht eingetreten.

Wenn Sachsen-Anhalt an der Förderstufe festhält und damit der Übergang zum Gymnasium von der fünften auf die siebte Klasse verschoben wird - wie kommen Sie dann mit den Vorgaben der Kultusministerkonferenz zurecht, dass von der Sekundarstufe I bis zum Abitur auf jeden Fall 265 Gesamtwochenstunden garantiert werden müssen? Diese Bedingung hat ja zwei Länder - Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt - dazu veranlasst, vom Abitur in der 12. Klassenstufe abzugehen und auf das Abitur nach 13 Jahren zu setzen.

Die Lernangebote der Förderstufe sind selbstverständlich in die Vorgaben der Gesamtstundenzahl der Kultusministerkonferenz einbezogen. Das bedeutet, dass sowohl die Pflichtangebote in der Fremdsprache als auch in Mathematik und den Naturwissenschaften während der Förderstufe zu beachten sind und dass die Förderstufe insoweit zur Sekundarstufe I gerechnet wird. Auf diese Weise gehen die Angebote in den Klassen fünf und sechs in die Berechnung der 265 Gesamtstunden bis zum Abitur ein. Übrigens machen das Berlin und Brandenburg, wo es die sechsjährige Grundschulzeit gibt, genauso.

Sie haben die bisherige Sekundarschule in Sachsen-Anhalt neu gestaltet. Es wird nicht mehr getrennt in einem Hauptschulzweig und einem Realschulzweig unterrichtet. Vielmehr bieten Sie in den wichtigsten Fächern unterschiedliche Leistungskurse auf dem A- und B-Niveau an. Am Ende wird nach zehn Schuljahren ein Abschluss für die "erweiterte Berufsbildungsreife" vergeben, bei dem in den Pfichtfächern mindestens ausreichende Leistungen erbracht werden müssen. Der Abschluss der "Fachoberschulreife" verlangt dagegen bessere als ausreichende Leistungen. Was gehört zum Profil der neuen Sekundarschule?

Mit der neuen Sekundarschule in Sachsen-Anhalt greifen wir eine Entwicklung auf, die generell in den neuen Ländern zu beobachten ist. Es gibt nur geringe Sympathie für den Hauptschulabschluss. Eltern und Schüler wünschen sich ein Schulsystem, das durchlässig ist und auch in den Abschlüssen diese Durchlässigkeit bis zur Fachhochschul- oder Hochschulreife eröffnet oder auf die Berufsausbildung vorbereitet. Es ist wichtig, eine solche Durchlässigkeit in der Sekundarschule vor allem in ländlichen Regionen zu bieten. Im übrigen sind Stärken und Schwächen der Schüler sehr unterschiedlich ausgeprägt. Wer in Deutsch gut ist, kann in Mathematik schwach sein. Deswegen ist eine schematische Einteilung ab dem 7. Schuljahrgang in Hauptschüler und Realschüler problematisch. Zum besonderen Profil der Sekundarschule gehören Schülerpraktika in Betrieben, damit sie die Berufs- und Arbeitswelt unmittelbar kennenlernen können. Diesem Ziel dient auch der fächerverbindende Lernbereich "Wirtschaft-Technik-Hauswirtschaft", in dem technische, wirtschaftliche Probleme ebenso behandelt werden die Umweltfragen. Da die neue Sekundarschule keinen Haupt- und Realschulgang mehr kennt, sind andere Abschlussbezeichnungen notwendig geworden. Sachsen-Anhalt macht von der Chance Gebrauch, dass die Länder bei der Bezeichnung der Abschlüsse frei sind.

Sachsen-Anhalt möchte in einem vierjährigen Modellversuch unter dem Namen "13 kompakt" die Schulzeit bis zum Abitur auf zwölfeinhalb Jahre verkürzen. Sie starten damit an 15 Schulen jetzt. Welche Bildungsziele verfolgen sie dabei?

Wir püfen in einem Modellversuch, ob wir wie in Rheinland-Pfalz das Abitur nach zwölfeinhalb Jahren vergeben. Damit wird für die jungen Leute die Möglichkeit geschaffen, schon das Sommersemester für die Studienzulassung in jenen Fächern zu erreichen, die nicht der Zulassungsbeschränkung unterliegen. Andere können in dieser Zeit auf das Studium vorbereitende Veranstaltungen besuchen oder ihre Sprachkenntnisse im Ausland vervollkommnen. Ich glaube, dass wir mit diesem Angebot eine Antwort geben auf die leidige bundesweite Debatte, ob die Schulzeit bis zum Abitur 12 oder 13 Jahre dauern soll. Es geht nicht um Verkürzung um der Verkürzung willen, sondern darum, mit Bildungszeiten verantwortungsvoll umzugehen.

Das sollten sie noch genauer darstellen.

Für diejenigen, die sich noch nicht für ein bestimmtes Studium endgültig entschieden haben, will ich an den Hochschulen des Landes ein Orientierungsangebot bieten. Außerdem sollen die ehemaligen Schüler in dieser Phase schon in bestimmten Fächern grundlegende Erfahrungen sammeln. Wenn dann das Studium in dem Fach aufgenommen wird, sollen diese Leistungen angerechnet werden. Stellt sich heraus, dass der Schulabgänger für ein solches Studium nicht geeignet ist, dann ist seine neue Entscheidung kein Studienabbruch. Wir haben mit den Hochschulrektoren verabredet,dass in dem so gewonnenen Sommersemester solche speziellen Angebote auf eine begründete Studien- und Berufswahlentscheidung hinführen.

Beteiligt sich auch Sachsen-Anhalt an den Leistungstests in Naturwissenschaften, Deutsch, Englisch und später Geschichte, wie sie unter dem Stichwort Pisa verabredet worden sind? Was ist das Ziel dieser Leistungsermittlungen?

Sachsen-Anhalt beteiligt sind an den Tests. Gleichwohl müssen wir uns im Klaren sein, dass diese Tests in einem schwierigen Spannungsverhältnis stehen: Sie müssen einerseits international vergleichbar sein, sie müssen auf der anderen Seite dem Curriculum des jeweiligen Landes entsprechen. Tatsächlich werden die Tests nur sehr beschränkte Aussagen über die Leistungsfähigkeit der jeweiligen Einzelschule ermöglichen. Aus meiner Sicht sind Leistungstests nur ein Baustein auf dem Weg zu einer guten Schule. Aber wir sollten uns dem nicht verweigern, um eine Idee dafür zu bekommen, was eigentlich die Schulen im Vergleich leisten. Schließlich kosten die Schulen sehr viel Geld, dort sind sehr viele Menschen beschäftigt und die Steuerzahler haben ebenso wie die Eltern und Kinder einen Anspruch auf gute Leistungen.

Werden die Ergebnisse der Leistungstests in einer Schulreform, in einer Curriculumreform oder Ausbildungsreform für die Lehrer münden?

In einer Schulreform sicher zuletzt. Fragen über die Qualität des Unterrichts, die sich aus den vergleichenden Tests ergeben, werden wir an die Schulen stellen. Die Diskussion über die international vergleichende TIMS-Studie hat für den Mathematikunterricht in Deutschland eine Menge gebracht. Wir haben zum Beispiel in der Auswertung der TIMS-Studie Hinweise für die Gestaltung des mathematischen Unterrichts für die Schulen in Sachsen-Anhalt fertig. Sie werden demnächst veröffentlicht. Für die Inhalteder Lehrpläne und der Lehrerfortbildung geben diese Tests erhebliche Hinweise.

Seit Ihrem Amtsantritt vor einem Jahr im Dezember

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