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Gesundheit: Schering-Preisträger Nicolaou: "Wir können alles erschaffen"

"Atom-Künstler" wird er genannt. Viele komplexe organische Moleküle hat er schon gebaut, zahlreiche sind in Arbeit.

"Atom-Künstler" wird er genannt. Viele komplexe organische Moleküle hat er schon gebaut, zahlreiche sind in Arbeit. Auch das Anti-Krebs-Mittel Taxol hat er hergestellt. "Wir wollen jedes vorstellbare Gebilde von Atomen nachbauen können", erklärt er. Die Rede ist von Kyriacos Costa Nicolaou, der am heutigen Donnerstag den Ernst-Schering-Preis erhält. Nicolaou ist Professor am Scripps-Forschungsinstitut im kalifornischen San Diego und stellt seine Abteilung so vor: "Wir sind bekannt als die Leute, die alles erschaffen können."

Theoretisch ist Nicolaous Arbeit recht einfach. Er stellt Moleküle synthetisch her. Und zwar solche, die sehr selten, kostbar oder schwer zu gewinnen sind, weil sie beispielsweise nur in den Tiefen des Ozeans vorkommen. Von Kohlenstoff ausgehend schafft er komplexe Atom-Gebilde. Auch wenn sich der Chemiker für die Architektur eines Moleküls begeistern kann, so interessiert ihn die biologische Aktivität doch nicht minder. Denn Moleküle haben viele Wirkungen.

Bei vielen Leiden ist ein Protein im Körper defekt. Dieses fehlerhafte Protein kann vielleicht "korrigiert" werden. Ein spezielles Molekül dockt an und "repariert", indem es den Defekt überlagert oder die Atome des Proteins wieder in die richtige Form bringt. Nicolaous Arbeit besteht darin, solche Korrektur-Moleküle herzustellen.

Das Krebsmittel Taxol hat zahlreiche Nebenwirkungen, die Nicolaou beseitigen und dabei die Effektivität steigern will. Taxol wurde einem Molekül aus der Pazifischen Eibe nachgebildet. Der Wirkstoff hatte sich als wirksam gegen Krebs erwiesen, konnte jedoch nicht in großen Mengen aus der Natur gewonnen werden. "Alles Taxol, das in die Arzneiherstellung geht, ist heutzutage künstlich hergestellt", erzählt Nicolaou. Es dauerte jedoch einige Jahre, bis Taxol in über 30 Schritten hergestellt werden konnte. Fehlschläge warfen die Forscher immer wieder zurück. "Es gibt viele Moleküle, an denen wir jahrelang arbeiten, und vielleicht schaffen wir es nie. Aber wir geben nicht auf."

Da solch eine Forschung nicht gerade billig und das Scripps-Institut unabhängig ist, sind die Forscher auf Kooperation mit der Wirtschaft angewiesen. Die Liste der Unternehmen, mit denen der Atom-Künstler Nicolaou zusammenarbeitet, liest sich wie ein Who is Who der Pharmabranche. Bis zu einer Milliarde Mark kostet es, bis ein Medikament schließlich nach fünf bis zwölf Jahren Entwicklungsarbeit im Apothekenregal liegt.

Dabei ist Nicolaous Arbeit nur der erste und billigste Schritt in einer langen Kette. Anschließend folgen noch diverse Versuchsreihen, bis der Wirkstoff nach klinischen Studien vom Arzt verschrieben werden kann. "Meine Frau vertraut ihrem Arzt jedoch mehr als dem, der die Medizin erfunden hat", sagt Nicolaou schmunzelnd. Noch viele Wirkstoffe stehen auf seinem Plan für die Zukunft. "Die Forschung hat gerade mal die Oberfläche dessen angekratzt, was die Natur uns bietet. Das fing 1929 mit Penicillin an und ist noch lange nicht vorbei." Nicolaou selbst entwickelte einen Nachfolger des Penicillins, das Antibiotikum Vancomycin. Das Mittel ist die letzte Bastion gegen Bakterien, die gegen andere Antibiotika bereits immun sind.

Zuerst wird ein Molekül auf dem Papier entworfen, manchmal auch gleich am Computer, dann versuchen Nicolaou und sein Team, es biochemisch zusammenzubauen. Das kann Jahre dauern. All die verschiedenen Moleküle kann der Wissenschaftler natürlich nicht allein herstellen. Dabei helfen ihm Studenten und Nachwuchswissenschaftler aus der ganzen Welt. Jede Gruppe arbeitet an einem eigenen Projekt, aber "er hat aber immer alles im Blick und spornt uns an, weiter zu kommen", berichtet Christian Funke. Er ist einer der fünf deutschen Studenten, die in Nicolaous Labor arbeiten. Wobei das Labor eher die Atmosphäre des Chemie-Übungsraumes einer Universität ausstrahlt, als die einer bedeutenden Forschungseinrichtung. Die Arbeitsplätze sind winzig, die drei Computer teilen sich alle. Die einzelnen Gruppen sind bunt gemischt.

Nicolaou selbst wurde auf Zypern geboren. Das war 1946, 18 Jahre später ging er nach England und studierte Chemie an der Universität London. 1972 zog er in die USA, wo er an der Universität von Pennslvania bis 1989 blieb, da war er dann schon Professor der Chemie. Seine Auszeichnungen füllen ein ganzes DIN A4 Blatt. Er ist Ehrendoktor an zahlreichen Universitäten und Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften der USA. Am 27. September verleiht die Ernst-Schering-Stiftung auf einer Veranstaltung in Madrid dem Naturstoff-Chemiker ihren mit 100 000 Mark dotierten Preis für seine herausragende Arbeit. Die Gründe sind so zahlreich wie die von Nicolaou hergestellten Stoffe.

Alexander Florin

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