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Schlaganfall: Mit voller Wucht, aber ohne Schmerzen

250.000 Menschen sind in Deutschland jährlich von Schlaganfall betroffen, in Berlin sind es 10.000. Ist der Notfall eingetreten, zählt vor allem der Zeitfaktor Am Montag starten Charité und andere Institutionen eine sechsmonatige Informationskampagne. Die zentrale Botschaft: Sofort handeln und 112 anrufen.

Ein Schlaganfall dauert nur Sekunden, doch die Folgen für den Rest des Lebens können gravierend sein. „Nur ein Drittel der Betroffenen erholt sich komplett, fast ein Drittel verstirbt in den ersten Monaten danach, die übrigen leben mit bleibenden Sprach-, Seh- oder Bewegungsstörungen“, sagt Jan Sobesky, Oberarzt an der Klinik für Neurologie der Charité und Professor für Bildgebung des Schlaganfalls am Centrum für Schlaganfallforschung Berlin (CSB).

Dieses interdisziplinäre Zentrum wurde vor drei Jahren an der Charité gegründet. Grundlagenforscher, klinische Forscher, Epidemiologen, IT-Fachleute und Soziologen erforschen hier gemeinsam Ursachen und Behandlungen des Schlaganfalls. Außerdem will das CSB die Öffentlichkeit über das Thema aufklären, etwa durch die Eröffnung des „Servicepunkt Schlaganfall“ in der Luisenstraße 9. Jetzt startet das Centrum seine erste großen Kampagne: „Berlin gegen den Schlaganfall“ wird am Montag in Anwesenheit von Gesundheitsminister Philipp Rösler eröffnet. Das Ministerium fördert das CSB seit 2008. Weitere Initiatoren der Kampagne sind neben der Charité die Schlaganfall-Allianz, das Schlaganfall-Register und die Feuerwehr. Bis Herbst sollen Vorträge, Werbespots, Plakate und Anzeigen eine simple Botschaft vermitteln: Man kann die Zeichen eines Schlaganfalls erkennen und die Folgen mildern, wenn man rasch handelt. „Mit jeder Minute, die verstreicht, gehen Nervenzellen zugrunde“, sagt Jan Sobesky.

Was passiert genau? In 80 Prozent der Fälle ist ein Blutgefäß im Hirn durch ein Gerinnsel oder einen Pfropfen verstopft. Dies entsteht über Jahre hinweg aufgrund von Stoffwechselerkrankungen, erhöhtem Blutdruck oder erhöhtem Blutzucker. In 20 Prozent der Fälle passiert genau das Gegenteil: Die Blutzufuhr ist nicht verstopft, sondern ein Gefäß reißt auf und das Blut ergießt sich in den Kopf. Um beides voneinander abgrenzen zu können, ist die Bildgebung mittels Computertomografie von großer Bedeutung. Der Effekt ist in beiden Fällen der gleiche: Die Blutzufuhr wird unterbrochen, das Hirn bekommt keinen Sauerstoff und stellt seine Funktion in dem betroffenen Bereich sofort ein. Ist etwa das Gebiet betroffen, das die rechte Hand kontrolliert, kommt es dort zur Lähmung. Wird das Sprachenzentrum mit Sauerstoff unterversorgt, verliert der Betroffene die Fähigkeit, sich zu artikulieren.

„Das Tückische ist“, so Jan Sobesky, „dass man dabei meist nichts fühlt. Ein Herzinfarkt verursacht höllische Schmerzen. Ein Schlaganfall tut nicht weh. Genau das ist das Problem.“ Wenn Umstehende merken, dass etwas nicht stimmt („Warum sagt Opa nichts mehr?“), sollten sie die wichtigsten Symptome eines Schlaganfalls kennen: Versteht der Betroffene Gesprochenes nicht mehr, verdreht er Silben? Hängt ein Mundwinkel herab, ist die Mimik einer Gesichtshälfte gestört? Ist eine Körperhälfte gelähmt oder taub? Wenn ja, muss sofort Hilfe gerufen werden. Die einfache Kernbotschaft der Kampagne lautet: Nicht auf einen Arztbesuch in den nächsten Stunden oder Tagen warten und den Betroffenen auch nicht auf eigene Faust oder mit dem Taxi ins Krankenhaus fahren, sondern ohne Hemmungen den Rettungsdienst der Berliner Feuerwehr (Tel. 112) rufen. Die verliert keine Zeit mit der Suche nach einem Krankenhaus, sondern bringt den Patienten sofort in eine der 14 Schlaganfallstationen in Berlin, die sogenannten Stroke Units. Dort führt ein spezialisiertes Team sofort die Bildgebung durch und kontrolliert Basisparameter wie Temperatur, Sauerstoffzufuhr oder Blutdruck. Ist eine Verstopfung Ursache des Schlaganfalls, kann sie – anders als bei einem gerissenen Gefäß – in vielen Fällen durch eine blutverdünnende Infusion, die sogenannte Thrombolyse, gelöst werden. Das muss aber in einem sehr engen Zeitfenster geschehen.

Trotzdem: Was weg ist, ist weg. Eine rasche Behandlung verhindert nur, dass noch mehr Nervenzellen absterben. Über die Jahre hinweg kann der Körper allerdings auf Umwegen verlorengegangene Funktionen wiederherstellen. Unterstützend wirken dabei Reha-Maßnahmen wie Krankengymnastik, Logopädie und Ergotherapie, die nach neuesten Erkenntnissen am besten sofort, also noch auf der Stroke Unit, begonnen werden.

250 000 Menschen sind in Deutschland jährlich vom Schlaganfall betroffen, in Berlin sind es 10 000. Davon sind 75 Prozent 60 Jahre oder älter, aber auch junge Menschen zwischen 25 und 35 zählen dazu – und ihre Zahl steigt nach Einschätzung von Jan Sobesky. Die Gründe sind vielfältig: Genetische Veranlagung, Vorerkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck oder hoher Drogenkonsum, insbesondere von Kokain, können dazu führen, dass auch jüngere Menschen einen Schlaganfall erleiden.

Regelmäßige Kontrolle von Blutdruck, Blutzucker und Blutfetten, Einnahme blutverdünnender Mittel bei bestimmten Erkrankungen, gegebenenfalls eine Operation bei Verengung der Halsgefäße: Das sind Dinge, die vorbeugend unternommen werden können. Am besten, man wartet damit nicht zu lange. Ist der Notfall erst da, hat man keine Zeit mehr.

Das komplette Programm der Kampagne ist auf der Webseite www.berlin-schlaganfall.de veröffentlicht. Am Dienstag von 12 bis 13 Uhr beantworten Jan Sobesky und drei weitere Experten Fragen von Tagesspiegel-Lesern zum Thema Schlaganfall unter den Telefonnummern 29 02 11 44-40, -41, -42 und -43.

Weitere Informationen, Beratung und viele andere medizinische Themen finden Sie auch in unserem Gesundheitsportal: www.gesundheitsberater-berlin.de

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