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Gesundheit: Schluss mit Schummeln

Fremde Federn: Wie eine Professorin studentische Fälscher entlarvt

Wenn ein Student eine Hausarbeit im Stil eines Studenten beginnt und nach drei Absätzen plötzlich Sätze schreibt, die einem Nobelpreisträger zur Ehre gereichen würden, beginnt Debora Weber-Wulff misstrauisch zu werden. Denn ähnlich wie im Sport, wo plötzliche Leistungssteigerungen auf Doping hinweisen, ist der stilistische Höhenflug für die Informatik-Professorin ein deutlicher Fingerzeig, dass der Student unerlaubte Hilfsmittel bemüht und einen fremden Text in seinen eigenen eingebaut hat: Ein klassisches Plagiat also.

In einem Seminar der Professorin gaben mehr als ein Drittel der Studierenden fremde Texte als eigene aus. Das Internet macht es möglich: Auf Seiten wie hausarbeiten.de stehen tausende Arbeiten aus Dutzenden von Fächern zur Verfügung. Wissenschaftliche Texte und Zeitungsartikel finden sich in beliebiger Anzahl zu jedem Thema. Wollen Professoren und Lehrer nicht hilflos zugucken, wie Schüler und Studenten sie beschummeln, können sie jetzt Nachhilfestunden im Internet nehmen. Die Lehreinheit „Fremde Federn Finden“, die Weber-Wulff entwickelt hat, soll den „detektivischen Spürsinn“ von Dozenten schärfen, wie die Informatikerin sagt.

Bei einer Umfrage unter 363 britischen Graduierten aus verschiedenen Fächern gab ein Viertel zu, in der Studienzeit bei anderen abgeschrieben zu haben. Dozenten, die dagegen gewappnet sein wollen, sollten zwei bis drei Stunden veranschlagen, um Weber-Wulffs Angebot durchzuarbeiten. Der Benutzer lernt, wie die Plagiatoren vorgehen (siehe Kasten) – und wie man sie überführen kann. „Für Studenten ist es einfach, sich Arbeiten aus dem Internet zu suchen, aber für uns Dozenten ist es noch viel einfacher, den Betrug festzustellen“, sagt Weber-Wulff, die an der Berliner Fachhochschule für Technik und Wirtschaft lehrt.

Besonders leicht kommen Lehrende Schummlern auf die Schliche, die eine ganze Arbeit aus dem Internet für ihre eigene ausgeben. Da reicht es aus, einen ungewöhnlichen Satz aus dem Text in eine Suchmaschine wie Google einzugeben: Schon wird das Original angezeigt. Wie Dozenten kniffligere Fälle aufdecken, erklärt die Lernplattform ebenfalls. Manche Plagiatoren machen sich nicht einmal die Mühe, ein zusammengesetztes Werk in eine einheitliche Rechtschreibung zu bringen. Wenn Studenten „dass“ in ihrer Hausarbeit mal mit „ss“ und mal mit „ß“ schreiben, ist das kein Beitrag zur Rechtschreibdebatte, sondern oft ein Zeichen für die Übernahme von Internetquellen. An zehn Beispielen können Lehrkräfte üben, ob sie einen Riecher für Plagiate entwickelt haben: Stammt der Text nun aus einer oder zwei fremden Federn oder ist er doch ein Original?

Seit gut zwei Jahren versucht Debora Weber-Wulff, ihre Kollegen auf das Problem aufmerksam zu machen (vgl. Tagesspiegel vom 7. März 2002). Mit wachsendem Erfolg. „Inzwischen prüfen deutlich mehr Dozenten die Hausarbeiten ihrer Studenten auf einen Plagiatsverdacht“, sagt Weber-Wulff. Unzählige E-Mails mit besorgten Dozenten-Anfragen gaben den Anstoß für die neue Lernplattform.

In Amerika werden ertappte Täter seit langem der Uni verwiesen. Auch deutsche Hochschulen werden strenger. Die Politologen der Universität Halle verlangen eidesstattliche Erklärungen unter jeder Hausarbeit, dass alle Quellen ordnungsgemäß angegeben sind. Wer trotzdem trickst, wird bestraft. Anglistik-Studenten der TU Dresden, die des Schummelns überführt werden, müssen die entsprechende Veranstaltung im nächsten Semester wiederholen. Aufgeflogene Betrugsfälle werden unter den Professoren bekannt gemacht. Zum letzten Mittel Exmatrikulation greifen deutsche Hochschulen aber noch nicht.

Der Gedanke, den Studierenden ständig wie ein Detektiv hinterherzuschnüffeln, löst bei manchen Dozenten dennoch Unbehagen aus, schon wegen der Mehrarbeit. Ein Professor sollte für eine gründliche Prüfung einer Hausarbeit nach dem Weber-Wulff-Prinzip zwanzig bis dreißig Minuten einrechnen, bei 70 oder mehr Seminarteilnehmern viele Stunden. Wolfgang Krohn von der Universität Bielefeld setzt deswegen inzwischen auf technische Unterstützung. Als der Soziologe vor drei Jahren Hausarbeiten seiner Studenten untersuchte, betrug die Plagiats-Quote 25 Prozent. Jetzt nutzt er den spezialisierten Suchdienst turnitin.com. Der vergleicht jede Arbeit mit 800 Millionen Internetdokumenten und erkennt in Sekunden, welcher Abschnitt woher stammt. Seine Studenten informiert der Professor am Anfang des Semesters, dass er jede Arbeit vom Suchdienst überprüfen lässt. Die Folge: Die Plagiats-Quote ist auf Null gesunken. Der Dienst kostet allerdings Geld, und die Unis können sich zusätzliche Ausgaben kaum leisten.

Aber stört es nicht das akademische Vertrauensverhältnis, wenn Studierende unter Generalverdacht stehen? „Es geht nicht um Schikane, sondern um Wissenschaftlichkeit“, sagt Weber-Wulff. Prinzipiell begrüßt die Professorin die Recherche-Möglichkeiten, die das Internet bietet – solange Studenten angeben, von wem ihre Gedanken stammen. Viele Studierende wollten gar nicht unrechtmäßig Leistungen erschleichen, „sondern sind einfach zu tüttelig“, hat Weber-Wulff beobachtet. Ein Wust von Texten, Zeitdruck: Schon ist es vielen Studierenden lästig, Quellenhinweise zu setzen.

Das Problem des Plagiats verändert die Arbeitsweise. Weber-Wulff verlangt statt Hausarbeiten immer häufiger Portfolios von ihren Studenten: Erst reichen sie eine Gliederung ein, dann eine kommentierte Bibliografie, vorläufige Textentwürfe und erst ganz zum Schluss die fertige Arbeit. Statt des Endergebnisses rückt so der Prozess des Schreibens und des Recherchierens in den Vordergrund.

Fremde Federn Finden im Internet: http://plagiat.fhtw-berlin.de/ff/

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