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Gesundheit: Schmoren in der Hölle des Mittelalters

König David beobachtet vom Dach seines Palastes aus eine junge Frau beim Baden und verliebt sich in sie.Er erfährt, sie sei die Gattin des Uria.

König David beobachtet vom Dach seines Palastes aus eine junge Frau beim Baden und verliebt sich in sie.Er erfährt, sie sei die Gattin des Uria.David läßt Uria zu sich kommen und reicht ihm einen Brief mit dem Inhalt, man solle Uria in der Schlacht so plazieren, daß er erschlagen werde.David befiehlt Uria, den Brief seinem Feldherrn übergeben."Die Gewalt ist real", sinniert die Stipendiatin Marina Münkler, "aber sie geschieht mittels eines Codes, eines Briefs." Das Graduiertenkolleg "Codierung von Gewalt im medialen Wandel", das im Juli offiziell an der Humboldt-Universität eröffnet wurde, steht ganz an seinem Anfang.Noch tastet das Kolleg, an dem sich elf Fachbereiche beteiligen, nach der Richtung des Themas und nach dem gemeinsamen Nenner für die verschiedenen fachspezifischen Perspektiven.Nur eines ist klar: Es geht nicht um empirische Gewaltforschung.

Wenn Mediävistik, neuere Literaturwissenschaft, Musikwissenschaft, Kunstgeschichte, Afrikanistik, Gender Studies und Kulturwissenschaften sich mit dem Thema Gewalt befassen, dann ist das Spannende daran, daß nicht das "Was" aktueller Gewalt im Zentrum steht, sondern das "Wie" ihrer Darstellung.Die Frage der "Codierung von Gewalt" verhilft dazu, auch dort nach Gewalt zu fahnden, wo unmittelbar von Grausamkeit gar nicht die Rede ist.Nicht nur die blutigen Schlachtenbeschreibungen des Nibelungenliedes bilden daher einen würdigen Untersuchungsgegenstand, sondern auch die anscheinend friedfertigeren Liebes- und Briefromane späterer Zeit, in denen Gewalt sublimiert oder verschoben ist.

Das Kolleg verfolgt eine historische und eine systematische Perspektive.Immer geht es auch um die Frage, wieweit die Form der Codierung und das Medium der Übertragung selbst Gewalt erzeugen und wie beide sich historisch, im "medialen Wandel", entwickeln."Man kann zum Beispiel die Unterwerfung der Neuen Welt als Mediengeschichte lesen", sagt der Sprecher des Kollegs, Werner Röcke."In Europa gab es im Gegensatz zu Amerika eine schriftliche Verwaltung und Korrespondenz.Nur durch dieses schnellere und effektivere Kommunikationssystem konnten die Europäer die sogenannten Wilden so vollkommen gewaltsam unterwerfen." Persönlich interessiert den Mediävisten Röcke am Thema Gewalt der Umgang mit dem Fremden."Es gibt Stereotypen und Vorurteilsmuster, die sich vom Mittelalter bis heute durchhalten.Wenn Sie in Ritterromanen lesen, wie fremde Kulturen dargestellt werden, dann ist das nicht weit entfernt von den Darstellungen der Indianer in Wildwestfilmen.Diese Traditionslinien zu verstehen, hilft dabei, sich vom Zwang der Stereotypen zu befreien."

Insgesamt waren 16 Stipendien für Doktoranden und zwei Stipendien für sogenannte "Postdocs" zu vergeben.Mit der Etablierung des Kollegs an der HU steht für Röcke ein wissenschaftspolitisches Ziel im Vordergrund: "Das interdisziplinäre Kolleg paßt in die Phase des Umbruchs und der Entwicklung neuer Forschungsstrukturen, die die Universitäten wieder attraktiver machen sollen.Ich wünsche mir, daß unser Graduiertenkolleg Ausgangspunkt für ein interdisziplinäres Forschungszentrum zum Thema Gewalt an der Humboldt-Universität wird."

Zwölf der ausgewählten Stipendiaten und Stipendiatinnen sind bei einem Treffen am Ende des Semesters dabei.Sie diskutieren ihr Lesepensum für die nächsten Theoriesitzungen.Jacques Derridas "Gewalt des Buchstabens" sollte dabei sein.Organisatorisches steht an.Eine gemeinsame Arbeitstagung in einem Haus am See während der Semesterferien wird geplant.Die Stipendiaten wirken fröhlich und unverbraucht, denn noch ist alles offen.Stephanie Neumann, auffällig mit Rastalöckchen, wird zur "Darstellung von Gewalt und Körper in der Literatur aus Zimbabwe" promovieren.Allein fühlt sie sich mit ihrem Thema nicht, es gibt einen Romanisten im Kolleg und einen afrikanischen Filmwissenschaftler, mit dem sie zusammenarbeiten wird.

Eine der "Postdoc"-Stipendiatinnen ist Marina Münkler.Die "Postdoc"-Stellen sind, anders als die dreijährigen Doktorandenstipendien, auf zwei Jahre begrenzt und dürfen ausdrücklich nicht der Habilitation dienen.Vielmehr sollen "Postdocs" Lehraufgaben im Kolleg übernehmen und daneben an einem eigenen Forschungsprojekt arbeiten.Marina Münklers Projekt ist "Die Hölle"."Die Hölle ist der Hort der Horrorphantasien schlechthin", erklärt Münkler."Meines Erachtens dienten die Höllendarstellungen des Mittelalters nicht nur dazu, die Laien zu regieren.Sie finden auch Priester und Kleriker in der Hölle abgebildet.Damit hatten diese Darstellungen auch eine enorme Entlastungsfunktion für die Laien."

Zur Mittelalterfraktion des Kollegs gehören auch Heiko Fiedler und Uwe Peschka.Peschkas Thema ist Gewaltförmigkeit und Erfahrung der Fremde im frühmittelalterlichen "Herzog-Ernst" Roman, Heiko Fiedler wird - ein Kontrapunkt zum Gewaltmotiv - Formen friedlicher Konfliktführung in den erzählenden Texten des 13.Jahrhunderts untersuchen.Geht das zusammen mit Themen anderer Kollegiaten, wie "Opferdispositive.Vom 17.Jahrhundert bis zur Gegenwart" oder "Die Genese des Schweigens.Studien zu Codierung und Performanz des Sprachlosen"? Die einzelnen Fachrichtungen arbeiten mit verschiedenen Methoden und vermutlich wird der Begriff der "Codierung" in den Literaturwissenschaften oder der Kunstgeschichte anders verstanden als in den Kulturwissenschaften.Der Medienwissenschaftler Friedrich Kittler jedenfalls, der im Kolleg einen historischen Abriß des Code-Begriffs vorstellt, läßt auch Interpretationen von Code durchgehen, die streng genommen nicht mehr seine sind."Wir haben noch keine einheitliche Sprache", sagt Werner Röcke.Die Differenzen der Fächer unter das Dach eines gemeinsamen Themas zu stellen, ist ein Risiko, aber auch eine Chance, die man ergreifen muß.

Bereits erschienen: Körper-Inszenierungen, FU (11.August); Demokratie in den USA, FU (18.August).

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