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Gesundheit: Schnellstopp für Depression?

Anfangs ist das Leiden besonders gefährlich, bisherige Medikamente wirken nur langsam. Jetzt gibt es Hoffnung.

Geschwindigkeit kann Leben retten, dies gilt in der Medizin nicht nur bei der Versorgung von Unfallopfern, sondern auch bei der Behandlung schwer depressiver Patienten. So sehr lastet das Leiden auf den Betroffenen, dass etwa jeder Siebte sich das Leben nimmt – und allzu oft passiert dies in jenen drei bis vier Wochen, die bei fast alle Arzneien gegen Depressionen verstreichen, bevor deren Wirkung einsetzt.

Doch die bedrohliche Wartezeit kann womöglich auf wenige Tage verkürzt werden, berichteten Forscher kürzlich beim Wiener Forum der Europäischen Neurowissenschaftlichen Gesellschaften, Schlüssel zum Erfolg könnte die Substanz RU486 (Mifepriston) sein, die als „Abtreibungspille“ bekannt wurde, weil sie unerwünschte Schwangerschaften ohne Operation beenden kann.

Wie Paul Lucassen von der Universität Amsterdam im Tierversuch mit Ratten bestätigte, blockiert RU486 die Auswirkungen von Stress auf das Gehirn, indem es Hormone wie Kortison daran hindert, deren Andockstellen im Gehirn zu besetzen. Dadurch wird eine Signalkette beeinflusst, die Geburt, Wachstum und Tod von Nervenzellen im Hippocampus mitbestimmt. Dieser Teil des Gehirns dient vor allem der Verarbeitung von Emotionen. Bei stark gestressten Ratten konnte Lucassen mit RU486 binnen nur vier Tagen die Neubildung von Nervenzellen im Hippocampus normalisieren. Dieser Prozess dauert mit heute verfügbaren Antidepressiva etwa drei bis vier Wochen.

Nach dem gleichen Prinzip scheint RU486 auch bei Menschen mit schweren psychotischen Depressionen zu wirken, die etwa ein Viertel aller Depressionskranken ausmachen. In den USA sind laut Lucassen klinische Studien mit mehreren hundert Patienten erfolgreich verlaufen. , dass RU486 mittlerweile als Arzneimittel zugelassen wurde.

„Die Substanz scheint gut und schnell zu wirken“, sagte Lucassen, der jedoch anmerkte, dass eine Zulassung in Europa noch nicht erfolgt ist. Die Ergebnisse sind auch für die Grundlagenforschung interessant. Sie stützen die Theorie, dass ein großer Teil aller Depressionen mit dem Tod „gestresster“ Nervenzellen zusammenhängt und dass die Krankheit erst besiegt werden kann, wenn genügend Nervenzellen nachgewachsen sind.

Hoffnung auf schneller wirksame Antidepressiva machte auf dem Wiener Kongress auch Nicolas Barden vom Centre Hospitalier der Universität Laval im kanadischen Quebec. Der Neuroforscher hatte zunächst ein Gen identifiziert (P2XR7), das bei Mitgliedern einer von Depressionen geplagten Familie aus Quebec beschädigt war. Es fand sich auch bei mehreren europäischen Familien, in denen unterschiedliche Formen von Depressionen gehäuft vorkommen.

In Versuchen mit Mäusen, deren Verhalten Depressionen ähnelte, ist es Barden nun gelungen, das Gen P2XR7 mit unterschiedlichen Substanzen zu aktivieren. „Ein herkömmliches Antidepressivum braucht drei Wochen, aber wir sahen bei den Mäusen eine Wirkung innerhalb einiger Stunden“, sagte Barden. „In naher Zukunft stünden die Chancen deshalb gut für effektivere und spezialisierte Arzneien gegen Depression.

Michael Simm

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