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Gesundheit: Schöngerechnet

Die zusätzlichen Studienplätze, die Bund und Länder im Hochschulpakt versprechen, sind nicht voll finanziert. Was nach 2010 passiert, ist ungewiss

Der Hochschulpakt war eine Zangengeburt, und man sieht es den Ergebnissen an. Wenn die geplanten 91 370 zusätzlichen Studienplätze wirklich ausfinanziert wären, brauchte man dafür etwas über zwei Milliarden Euro. Nur dann wäre gewährleistet, dass die Studienanfänger des Jahres 2010 vier Jahre lang sicher studieren können. Der Hochschulpakt bricht jedoch 2010 ab. Die Ministerpräsidenten der Länder haben sich mit dem Bund nur auf das vage Versprechen geeinigt, im Jahr 2009 über eine Fortsetzung des Hochschulpakts zu verhandeln. Die eigentliche Belastung durch starke Jahrgänge bei den Schulabgängern dauert jedoch bis 2020.

Das bringt für die Hochschulen enorme Schwierigkeiten. Wissenschaftliche Mitarbeiter werden für einen Zeitraum von fünf Jahren eingestellt, Professoren auf Lebenszeit. Wie soll für die zusätzlichen Studienplätze neues Lehrpersonal eingestellt werden, wenn der Hochschulpakt nicht mit zwei Milliarden Euro finanziert wird, sondern nur mit 1,13 Milliarden Euro?

Auf diese Frage gibt es vier mögliche Antworten: Erstens könnten die Landesregierungen den Hochschulen erlauben, die Finanzierung von neuen Studienplätzen und die Einstellung von Lehrpersonal über das Jahr 2010 hinaus zu planen. Ein solcher Blankoscheck ist allerdings kaum denkbar. Zweitens könnten nur Billigstudienplätze finanziert werden, die nicht teurer als etwa 3200 Euro im Jahr sind – keinesfalls aber kann die von den Ministerpräsidenten vorgegebene Planungsgröße von 5500 Euro pro Jahr erreicht werden. Als solche „Billigstudiengänge“ kämen in Frage: Studienplätze an den Fachhochschulen und an den Universitäten vorwiegend in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Als dritte Möglichkeit bietet sich an: Mit dem zu knapp bemessenen Geld für die Lehre wird das Gros von Studienanfängerplätzen an den Fachhochschulen finanziert und für die teureren Studienplätze in den Natur- und Ingenieurwissenschaften an den Universitäten greift man auf die Forschungsmittel des Hochschulpakts zurück. Diesen Weg will offensichtlich Berlin gehen, obwohl das auf eine Umwidmung von Forschungsgeldern für die Lehre hinausläuft. Das war mit dem Hochschulpakt nicht beabsichtigt.

Vierte Möglichkeit: Rechtzeitig müssten die juristischen und finanziellen Möglichkeiten zur Einführung von vorwiegend in der Lehre tätigen Wissenschaftlern mit hohem Lehrdeputat geschaffen werden. Diese sogenannten Lecturer bekämen eine Lehrverpflichtung, die weit über der der Professoren liegt. Damit würde das Studium an den Universitäten billiger. Alle warten daher auf ein Gutachten des Wissenschaftsrats über Lehrdeputat und Karrierewege für den Lecturer, das im Frühjahr vorliegen soll. Aber danach ist als Folge der Föderalismusreform ein langwieriges Gesetzgebungsverfahren in den 16 Ländern notwendig. Denn die Bundesregierung hat nicht mehr die Kompetenz, den Lecturer mit einem Hochschulrahmengesetz einzuführen. Ohne Gesetzesermächtigung gibt es keinen Lecturer. Es ist nicht damit zu rechnen, dass noch im Jahr 2007 genügend Lecturer eingestellt werden können.

Weil die Politiker diese Schwierigkeiten noch nicht sehen, muss noch einmal die Grundrechnung dargelegt werden. Am 20. November haben die Wissenschaftsminister von Bund und Ländern die Eckdaten für den Hochschulpakt 2020 verkündet: „In der Säule Lehre verpflichten sich die Länder bis zum Jahr 2010 zur Aufnahme von circa 90 000 zusätzlichen Studienanfängern. Der Bund stellt hierfür 565 Millionen Euro bis 2010 zur Verfügung. Die Kosten werden mit 22 000 Euro je zusätzlichem Studienplatz verteilt auf vier Jahre kalkuliert, die zur Hälfte vom Bund finanziert werden.“

So die Verlautbarung der Politiker. Um diese zu überprüfen, müssen drei Zahlen zueinander in Beziehung gesetzt werden: 90 000 Studienanfänger sind mit 22 000 Euro zu multiplizieren. Dann kommt man auf Gesamtkosten von rund zwei Milliarden Euro. Da aber nur 1,13 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden, muss man eine Bezugsgröße verändern.

Aber welcher Wert kann variiert werden? In Bund und Ländern herrscht Finanznot, so dass die Summe von 1,13 Milliarden Euro nicht veränderbar erscheint. Die Annahme, dass rund 90 000 zusätzliche Plätze für Studienanfänger gebraucht werden, basiert auf den Jahrgangsstärken der Schulabgänger mit Hochschulreife. Diese Zahl würde nur dann geringer ausfallen, wenn von den Studienberechtigten nicht 80 Prozent eines Jahrgangs ein Studium aufnehmen, sondern nur 60 bis 70 Prozent. Damit kann nur die dritte Bezugsgröße – Aufwendungen für ein vierjähriges Studium – erheblich gesenkt werden. Diese Berechnung ergibt, dass für 1,13 Milliarden Euro nur dann exakt 91 370 zusätzliche Studienplätze finanziert werden können, wenn ein vierjähriges Studium nur mit 12 411 Euro statt mit 22 000 Euro berechnet wird. Und dann können die Jahreskosten nicht über 3103 Euro liegen.

Diese Summe pro Studienplatz lässt sich nur rechtfertigen, wenn damit an den Unis im Wesentlichen sogenannte Billigfächer wie Sprachwissenschaften, Jura und Wirtschaftswissenschaften finanziert werden. Außerdem kann man mit diesen Mitteln die meisten an Fachhochschulen angebotenen Studiengänge studieren – mit Ausnahme der Ingenieurwissenschaften. Für diese Aussage gibt es offizielle Berechnungen des Statistischen Bundesamtes. Die Durchschnittskosten für alle Studiengänge an den Universitäten liegen bei 5950 Euro und bei den Fachhochschulen bei 2670 Euro.

Die Verhandlungsführer von Bund und Ländern, Bundesministerin Annette Schavan und Senator Jürgen Zöllner, wollen diese Analyse nicht gelten lassen. Sie bestehen darauf, dass mit 1,13 Milliarden Euro 91 370 neue Studienplätze bis zum Jahr 2010 zu schaffen seien. Um diese Rechnung nachvollziehen zu können, muss man um die Ecke denken: Man muss deutsche Haushaltsmathematik für die mittelfristige Finanzplanung anwenden. Das ist möglich geworden, nachdem die Wissenschaftsminister die circa 90 000 zusätzlichen Plätze für Studienanfänger in Jahresraten aufgeteilt haben. Diese Daten sind der Öffentlichkeit erst seit dem Beschluss der Ministerpräsidenten am 13. Dezember bekannt. Danach sollen 2007 etwa 13 000 neue Plätze geschaffen werden, im Jahr 2008 sind es 24 500, in den Jahren 2009 und 2010 wird mit jeweils 27 000 neuen Plätzen geplant.

Die Haushaltspolitiker verteilen die 22 000 Euro auf vier Jahresraten à 5500 Euro. Allerdings werden dann nur die 13 000 zusätzlichen Studienanfänger des Jahres 2007 in den Genuss einer vierjährigen Studienplatzfinanzierung kommen. Die 24 500 zusätzlichen Studienanfänger des Jahres 2008 werden nur drei Jahre lang finanziert. Die 27 000 zusätzlichen Studienanfänger des Jahres 2009 bekommen die Plätze nur für zwei Jahre finanziert und bei den 27 000 zusätzlichen Plätzen für Studienanfänger des Jahres 2010 ist nach einem Jahr Schluss. Nur auf diesem Weg kommen die Politiker auf knapp 1,13 Milliarden Euro bis zum Jahr 2010.

Bei allen weitergehenden Kosten nach dem Jahr 2010 zur Bewältigung des Studentenandrangs gilt das Prinzip Hoffnung. In den Jahren 2011, 2012 und 2013 werden jährlich rund 40 000 zusätzliche Studienplätze benötigt. Dann verlassen doppelte Abiturientenjahrgänge die Schulen und wollen an den Hochschulen aufgenommen werden. Das wird richtig teuer.

Berlin hat bereits die Weichen entsprechend gestellt und rechnet mit 5709 Studienanfängerplätzen. Davon sollen 1500 an die drei Universitäten gehen – finanziert aus den Forschungsmitteln des Hochschulpakts. 4200 Studienplätze sollen an Fachhochschulen entstehen. Da Berlin kein Finanzrisiko eingehen möchte, kalkuliert es nicht mit Studienplatzkosten von 5500 Euro pro Jahr, sondern gibt den Fachhochschulen als Preisvorgabe 3600 Euro pro Studienanfänger vor, wie aus einem internen Planungspapier der Wissenschaftsverwaltung hervorgeht.

Uwe Schlicht

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