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Gesundheit: Schonender Weg

US-Forschern gelingt die Gewinnung embryonaler Stammzellen, ohne dabei den Embryo zu zerstören

Von Adelheid Müller-Lissner

Menschliche embryonale Stammzellen gelten vielen als Hoffnungsträger bei der Behandlung von Krankheiten, weil sich aus ihnen zahlreiche Gewebetypen entwickeln lassen. Die Methode ist jedoch ethisch umstritten, da bei der Gewinnung der Stammzellen bisher befruchtete Eizellen zerstört werden.

In die Diskussion könnte nun Bewegung kommen. In der am heutigen Donnerstag erscheinenden Online-Ausgabe des Magazins „Nature“ berichtet ein Team um Robert Lanza von der US-Firma Advanced Cell Technology, es sei gelungen, Stammzellen aus Embryonen im frühen Entwicklungsstadium zu gewinnen und Zelllinien daraus zu züchten. Das Besondere: Die Embryonen müssen dabei nicht zerstört werden.

Die Forscher entnahmen den Blastozysten eine ihrer acht Zellen (Blastomere). Die Embryonen, mit denen die ersten Versuche gelangen, waren nach künstlichen Befruchtungen nicht sofort verwendet, sondern eingefroren worden. In der Zellkultur entwickelten sich aus einzelnen Zellen – zumindest bei zwei von sechs Embryonen – embryonale Stammzelllinien. Diese verhielten sich wie Linien, die nach den bisherigen Methoden gewonnen wurden.

Dass sich aus dem frühen Embryo auch nach der Entnahme einer seiner acht Zellen ein Mensch entwickeln kann, weiß man bereits aus der modernen Fortpflanzungsmedizin. Denn eine bis zwei der Blastomeren werden auch bei der Präimplantationsdiagnostik (PID) entnommen. Mit dieser Methode werden in der Retorte (in vitro) gezeugte Embryonen vor der Einpflanzung in den Mutterleib auf genetische Erkrankungen oder Chromosomenbefunde untersucht.

Die US-Forscher schlagen nun vor, die entnommenen Blastomeren könnten zukünftig für beide Zwecke verwendet werden: für genetische Tests im Rahmen der PID und für die Züchtung von Linien embryonaler Stammzellen. Die daraus gewonnenen Zelllinien könne man zudem eines Tages bevorzugt für die Behandlung derjenigen Menschen verwenden, denen die Blastomeren im Rahmen ihrer In-vitro-Zeugung als Embryo entnommen worden war – mit dem Vorzug der Verträglichkeit.

Vor knapp einem Jahr hatte das Team schon Schlagzeilen gemacht, weil es ihm gelungen war, aus einzelnen Zellen von Mäuse-Embryonen embryonale Stammzelllinien zu gewinnen. Gleichzeitig hatte eine Forschergruppe um den Stammzellforscher Rudolph Jänisch vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) aus Maus-Hautzellen Embryonen geklont, die aufgrund einer gezielten genetischen Veränderung nicht in der Lage sind, den fötalen Anteil des Mutterkuchens zu bilden. In Mäuse-Leihmüttern konnten sie sich nicht weiter entwickeln.

Zelllinien aus einem Embryo, der nicht weiter heranreifen kann, oder Zelllinien aus einem Embryo, der nicht an der Weiterentwicklung gehindert wird: Beides erschien als Ausweg aus dem ethischen Dilemma der „verbrauchenden“ Embryonenforschung. Nun ist einer der Wege auch bei menschlichen Embryonen gangbar, wie die neue Studie zeigt.

Die PID, für die bisher in anderen Ländern schon dem Embryo im Acht-Zellen- Stadium eine einzelne Zelle entnommen wurde, ist allerdings in Deutschland nicht erlaubt. Kritiker wenden ein, es sei nicht auszuschließen, dass aus der einzelnen Zelle doch noch Leben entstehen könne. Vor allem aber stehe mit der PID die Zeugung unter Vorbehalt, weil das Einsetzen in die Gebärmutter vom Befund abhänge.

Ist die von Lanza beschriebene Methode der Stammzellgewinnung mit dem Gesetz vereinbar? „Es stellt keinen Unterschied dar, ob eine Blastomere für die PID oder zur Erzeugung von embryonalen Stammzellen verwendet wird, zumal man mit diesen noch viel detaillierter Diagnostik betreiben könnte“, urteilt der Zellbiologe Hans Schöler, Leiter des Max-Planck-Instituts für Molekulare Biomedizin in Münster. Für bedenklich hält er auch, dass man möglicherweise mit ein bis zwei Zellen nicht auskomme, wenn man die Chancen für die Ableitung einer Zelllinie erhöhen wolle. „Irgendwann stellt sich dann die Frage: Wie viele Blastomere braucht der Embryo zum Überleben“, sagt Schöler.

„Jetzt ist deutlich, dass embryonale Stammzellen gewonnen werden können, ohne den Embryo zu töten“, sagt Detlev Ganten, Vorstandsvorsitzender der Charité. Beeindruckend sei die Sorgfalt, mit der das Team um Lanza die Zelllinien gezüchtet und in Kulturen gehalten habe. Ganten sieht darin einen „richtigen Fortschritt in der Stammzellforschung“.

Allerdings hält er weitere Studien für notwendig, um festzustellen, ob die Zelllinien wirklich geeignet seien. Eines ist dem Mitglied des Nationalen Ethikrates allerdings klar. Das ethische Problem habe sich nicht verändert. Denn die entnommene Zelle habe „totipotentes Potenzial“. Es könne daraus ein neuer Embryo entstehen, quasi der Zwilling des Embryos, dem sie entnommen wurde.

Ebenfalls keine Änderung im Konflikt beim Umgang mit Embryonen sieht Jens Reich, stellvertretender Vorsitzender des Ethikrates. „Diejenigen werden entlastet, die Stammzellen nicht durch eigens dafür hergestellte Embryonen gewinnen wollen“, sagt Reich. Auch diejenigen, die nicht klonen und keine überzähligen Embryonen opfern wollten. Wer jedoch jedes „totipotente Gebilde“ schützen wolle, für den habe sich die moralische Grundlage nicht geändert.

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