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Gesundheit: Schreibprobleme im Studium: Die beschwipste Kurve der Gedanken

Hannah Arendt hatte es gut. Auf die Frage eines Interviewers, ob ihr das Schreiben schwer falle, antwortete sie keck: "Aber nein, ich schreibe doch nur ab, was ich im Kopf habe!

Hannah Arendt hatte es gut. Auf die Frage eines Interviewers, ob ihr das Schreiben schwer falle, antwortete sie keck: "Aber nein, ich schreibe doch nur ab, was ich im Kopf habe!" Vielen Menschen geht es da anders, ob an der Hochschule oder anderswo. Der eine hat die berühmte Angst vor dem leeren Blatt; dem anderen fällt es schwer, seine Gedanken zu ordnen; die Dritte findet nicht die richtigen Wörter und verheddert sich in komplizierten Satzkonstruktionen. Wieder andere schreiben mit Lust Briefe, Geschichten oder Tagebuch; aber kaum sollen sie eine Seminararbeit verfassen, erstarren sie in Habachtstellung wie ein Soldat vor dem Feldwebel. Muss das sein?

Eigentlich nicht. Schreiben kann man, wie auch das Reden und das Denken, üben und lernen. An deutschen Hochschulen allerdings nicht: Während es in den USA seit Jahrzehnten an sehr vielen Hochschulen Schreib-Kurse gibt, bieten in Deutschland allenfalls die psychologischen Beratungsstellen vereinzelt Seminare an (siehe Interview). Zwar gibt es Schreiblabors und -projekte wie in Bielefeld, Bochum oder Erfurt, aber sie sind klein und finanziell ungesichert. Von einem Standardangebot "Wissenschaftliches Schreiben" sind wir noch weit entfernt - ganz zu schweigen von einem Angebot zur Berufsvorbereitung, das auch professionelles Schreiben umfassen würde, wie es etwa von Juristinnen, Managern, Journalisten oder Ärztinnen verlangt wird.

Dabei ist der Ruf nach Schreib-Förderung alles andere als neu. Bereits vor zehn Jahren konstatierte der Berliner Professor Lutz von Werder, Autor zahlreicher Bücher zum wissenschaftlichen und kreativen Schreiben, einen "Schreibnotstand": Er schätzte damals, dass die Hälfte der Studienabbrecher an Schreibproblemen scheitert; ein Drittel der Studenten habe "erhebliche Schreibprobleme". Seitdem hat sich wenig getan. "Die Studenten haben eher noch größere Schwierigkeiten mit dem Schreiben, denn die Computer-Generation ist den Umgang mit langen Texten nicht gewöhnt", sagt von Werder heute. "Gleichzeitig erhöhen sich die Anforderungen an die Schreibfähigkeit, denn es muss immer mehr über Fächergrenzen hinweg kommuniziert werden."

Dennoch gibt es nicht mehr Schreib-Kurse als zuvor. In den letzten Jahren ist jedoch eine Reihe von Büchern erschienen, die Studenten und angehenden Wissenschaftlern Hilfestellung leisten wollen (siehe Kasten). Einen sehr umfassenden Ansatz verfolgt Otto Kruse, der nicht nur die einzelnen Schritte des wissenschaftlichen Arbeitens, vom Recherchieren, Gliedern bis hin zum Zitieren verständlich erläutert, sondern auch auf die psychologische Seite des Schreibens eingeht und lustbetonte Schreib-Anregungen gibt. Wie viele andere Autoren auch betont Kruse: "Wissenschaftliches Schreiben ist nicht allein eine Form, Erkenntnisse darzustellen, sondern auch ein Weg, Erkenntnisse zu gewinnen, zu ordnen, zu strukturieren." Man erschwert sich also die Aufgabe, wenn man auf Anhieb alles perfekt formulieren möchte. "Der Schreibprozess erinnert eher an eine beschwipste Kurve als an eine gerade Linie", schreibt Wolfgang Schmale, der den sehr lesbaren "Schreib-Guide Geschichte" herausgegeben hat.

Dass auch gestandenen Hochschullehrern die Sätze nicht immer locker aus der Feder fließen, beweist der Band "Lust und Last des wissenschaftlichen Schreibens", herausgegeben von Wolf-Dieter Narr und Joachim Stary. Darin berichten Professorinnen und Professoren von ihren Schreib-Erfahrungen - teils anregend, teils eitel und teils auch deprimierend. So gesteht etwa der Pädagoge Hartmut von Hentig: "Die Mühsal, die mir das Schreiben bedeutet, ist so elementar und so lebhaft und dauerhaft, dass ich mir müheloses und lustvolles Schreiben auch bei anderen nicht vorstellen kann."

Genau das, den Spaß am Schreiben zu wecken, haben sich die Autoren vorgenommen, die mit den Methoden des Kreativen Schreibens arbeiten, allen voran Lutz von Werder. Da wird mit Schreibspielen experimentiert, die die Phantasie anregen und über Blockaden hinweghelfen können. Nicht jeder wird dafür jedoch die Geduld haben. Wer es kompakter mag und klare Regeln möchte, ist mit Karl-Dieter Büntings "Schreiben im Studium" eher bedient.

Oder vielleicht findet man ja doch einen Platz in einem Kurs? Einen Überblick über die Schreibprojekte an deutschen Hochschulen gibt das Buch "Schlüsselkompetenz Schreiben" (hg. von Otto Kruse und anderen, Luchterhand Verlag Neuwied 1999). Liest man jedoch deren Selbst-Darstellungen - "Unproduktive Arbeitsstrategien werden eingekreist, und es werden alternative Prozeduren vereinbart und eingeübt, die für einen angemesseneren Umgang mit der Schreibaufgabe sorgen" - , so hat man bisweilen den Eindruck, hier hätten sich die Böcke selbst zu Gärtnern ernannt. Guter Stil oder sprachliches Feingefühl scheinen auch für manche Schreib-Dozenten Fremdwörter zu sein. Ach je! Wenn sie doch einfach abschrieben, was sie im Kopf haben!

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