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Schulpsychologen arbeiten viel mit der Polizei zusammen.

© dpa

Schulpsychologie: Der Anblick einer Uniform wirkt manchmal Wunder

Ärzte, Psychotherapeuten, Pädagogen und Polizisten wollen besser zusammenarbeiten, um aggressiven und sozial auffälligen Jugendlichen zu helfen. Bei jedem fünften Schüler besteht Beratungsbedarf, sagt ein Schulpsychologe.

Pascale (Name geändert) trieb sich schon mit zehn mit einer Clique Jugendlicher auf der Straße herum. Sie wurde aggressiv, ging zeitweise nicht in die Schule, verstummte zu Hause völlig und verletzte sich selbst. Sie verbrachte mehrere Wochen in einer Klinik, kam in Einrichtungen zur stationären Erziehungshilfe, wo sie mehrmals gewalttätig und straffällig wurde.

Jetzt ist sie zwölf und lebt wieder beim Großvater, doch der ist eigentlich überfordert. Aber es gibt niemand anderen: Pascales Mutter lebt im Drogen- und Prostitutionsmilieu und konnte nie für sie sorgen. Ebenso wenig wie der Vater. Die Großmutter ist tot. Das Jugendamt hat den Großvater jahrelang unterstützt, indem es eng mit der Kita und der Grundschule zusammenarbeitete.

Schwierige, sozial auffällige, in ihrer Entwicklung oder ihrer Persönlichkeit gestörte, manchmal auch psychosomatisch erkrankte Minderjährige wie Pascale rücken immer mehr in den Fokus der Öffentlichkeit. 440 Millionen Euro werden nach Auskunft von Winfried Flemming von der Senatsverwaltung Bildung, Wissenschaft und Forschung in Berlin jedes Jahr für Hilfen zur Erziehung und Eingliederungshilfen ausgegeben.

Das Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) sieht vor, dass sich ein ganzes Team von Experten trifft, um einen Hilfeplan für den Heranwachsenden aufzustellen. Sozialpädagogen, Kinderärzte, Lehrer, Schulpsychologen, Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten, Psychologische Psychotherapeuten – und in einigen Fällen auch die Justiz – müssen zusammenarbeiten und ihr Konzept aufeinander abstimmen. Aber das ist leichter gesagt als getan. Konflikte kann es etwa geben, wenn für die einen die Disziplin, für die anderen die Behandlung von Störungen im Vordergrund steht. „Pädagogen vertreten die Regeln ihrer Institution, Psychotherapeuten hingegen sprechen ungeeignete Denkstrategien oder innere Konflikte an“, sagt Psychologieprofessor Jürgen Körner, Präsident der International Psychoanalytic University. „Wenn wir uns begegnen, können Welten aufeinandertreffen“, resümiert Michael Krenz, Präsident der Psychotherapeutenkammer Berlin. Gerade hat die Kammer für Vertreter der verschiedenen „Welten“ ein interdisziplinäres Kolloquium mit dem bewusst provozierenden Titel „Mythos Interdisziplinarität?!“ veranstaltet.

Doch die beiden „Welten“ bemühen sich zunehmend um gegenseitiges Verständnis: In einem seit 2005 laufenden Modellprojekt der Berliner Region Südwest arbeiten Kinder- und Jugendpsychiater des St. Joseph-Krankenhauses Tempelhof, Jugendhilfe und Schulen der Bezirke Tempelhof-Schöneberg und Steglitz-Zehlendorf erfolgreich eng zusammen. „Durch den gemeinsamen Blick erhöht sich die Passgenauigkeit der Hilfen“, sagt Ursula Mohn-Kästle vom kinder- und jugendpsychiatrischen Dienst des Gesundheitsamtes Tempelhof-Schöneberg. So wurde von den verschiedenen Professionen gemeinsam ein Einschätzungsbogen entwickelt, in dem alle Bereiche vorkommen, in denen ein Kind Hilfe brauchen kann – von körperlicher Entwicklung über schulische und familiäre Situation bis zu psychischen Problemen.

Oft fällt zuerst in der Kita oder in der Schule auf, dass ein Kind Hilfe benötigt. Auf einer ganz normalen Schule mit 600 Schülern haben 58 Schüler ernsthafte psychische Probleme: Angststörungen, Depressionen, Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) oder Störungen des Sozialverhaltens. Das rechnet Klaus Seifried, Leiter des schulpsychologischen Beratungszentrums Tempelhof-Schöneberg, anhand von wissenschaftlichen Studien vor. Dazu kommen Essstörungen, Angst vor Mobbing und längeres unentschuldigtes Fehlen. Beratungsbedarf bestünde bei mindestens jedem fünften Schüler, meint der Schulpsychologe. „Wir erreichen allerdings nur 2,8 Prozent der Schüler, und das ist entschieden zu wenig.“

In Berlin sei ein einziger Schulpsychologe für mehr als 5000 Schüler zuständig, sagt Seifried. Weil deshalb oft erst viel zu spät eingegriffen werde, komme man in Berlin viel zu häufig zu dem Schluss, dass ein Kind „unbeschulbar“ sei. Dabei gibt es durchaus andere Ideen für den Umgang mit schwierigen und gewalttätigen Schülern. „Wir arbeiten viel mit der Polizei zusammen, und es ist manchmal wirkungsvoller, wenn der Kollege in Uniform kommt, als wenn der Schulpsychologe ein paar nette Worte sagt“, berichtet Seifried.

Heranwachsende, die wie Pascale unter einer schweren Störung der Impulskontrolle leiden, aggressiv sind und in der Gruppe überhaupt nicht zurechtkommen, müssen darüber hinaus oft stationär behandelt werden. „Für kurze Zeit sind Kliniken in der Lage, mit so einem Kind zurechtzukommen, aber an unsere Behandlung müssen sich immer andere Hilfen anschließen“, sagt Hans Willner, Chefarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie im St. Joseph-Krankenhaus Tempelhof. Dann braucht ein Kind etwa eine ambulante Psychotherapie, wie sie in Berlin von rund 350 Psychotherapeuten angeboten wird, unter Umständen aber auch ärztliche Behandlungen mit Medikamenten, eine Familientherapie, Hilfen beim Lernen, bei der Wiedereingliederung in die Schule oder bei der Suche nach einem neuen Ort zum Lernen. „Wenn jeder Fachbereich für sich allein agiert, wird die Verflechtung der Probleme erst zu spät sichtbar“, sagt Ursula Mohn-Kästle. Zusammen haben die Fachleute bessere Chancen, das Kind vor dem sprichwörtlichen Fall in den Brunnen zu bewahren.

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