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Gesundheit: Schulstreit in Hessen: Gegen den Willen der Eltern

Schon als Hessens Regierungsparteien CDU und FDP vor gut einem Jahr die "Querversetzung" einführten, hagelte es Kritik. Beim Übergang von der Grund- zu weiterführenden Schulen sollte der Elternwille eingeschränkt werden.

Schon als Hessens Regierungsparteien CDU und FDP vor gut einem Jahr die "Querversetzung" einführten, hagelte es Kritik. Beim Übergang von der Grund- zu weiterführenden Schulen sollte der Elternwille eingeschränkt werden. Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft sowie Oppositionsparteien warfen der Regierung vor, sie setze auf "Selektion statt Förderung".

Vor gut einem Jahr bekam die Prognose der Grundschule am Ende des vierten Schuljahrs, die die Lehrer formulieren, größeres Gewicht. Bestehen die Eltern auf einer Einschulung ins Gymnasium, obwohl die Grundschule dafür keine Empfehlung ausgesprochen hat, kann im fünften Schuljahr das Gymnasium gegen den Willen der Eltern die "Querversetzung" in eine Realschule veranlassen. Voraussetzung: Die Leistungen müssen unbefriedigend sein. Genauso können Realschüler ohne Empfehlung in die Hauptschule querversetzt werden.

Seitdem in dieser Woche erste Zahlen aus Frankfurt am Main über die Auswirkungen der Neuregelung kursieren, hat eine heftige Debatte begonnen, die an die Zeiten des hessischen Schulkampfs erinnern. Frankfurts grüne Schuldezernentin Jutta Ebeling und die GEW jedenfalls schlagen Alarm. Allein in Frankfurt am Main war im abgelaufenen Schuljahr für 103 Fünftklässler die Gymnasiums- oder Realschullaufbahn nach ein paar Monaten beendet. Ein Drittel der Kinder, die von ihren Eltern gegen die Empfehlung der Grundschulen in Gymnasien angemeldet worden waren (57), und die Hälfte der Kinder, die gegen das Grundschulvotum in Realschulen gewechselt waren (46), wurden erstmals querversetzt.

Als Beweis für den "Selektionswahn" der Landesregierung bewertet der Hessische Elternbund die Zahlen aus Frankfurt - als verheerendes Signal die grüne Schuldezernentin Jutta Ebeling, zumal bei den Querversetzten die Kinder ausländischer Eltern überrepräsentiert seien. Kultusministerin Karin Wolff, CDU, dagegen sieht es als Erfolg an, dass mit der Querversetzung ein absehbarer schulischer Leidensweg rechtzeitig beendet werde. Das Instrument habe sich bewährt.

Eine andere Zahl, die dem Tagesspiegel vorliegt, wird für weiteren Zündstoff sorgen. Sie dürfte auf die in Hessen ebenfalls verschärften Versetzungsbedingungen zurückgehen. Im abgelaufenen fünften Schuljahr scheiterten allein in Frankfurt, zusätzlich zu den 103 querversetzten, auch zahlreiche Kinder, die eine Empfehlung der Grundschule mitbrachten: 212 in Gymnasien und 108 in den Realschulen. Während in der Vergangenheit die fünfte und sechste Klasse als pädagogische Einheit gesehen wurde und die Nichtversetzung als zu begründende Ausnahme galt, scheiterten in Frankfurt somit im abgelaufenen Schuljahr von 2843 Kindern in den fünften Klassen der weiterführenden Schulen mehr als 400 Kinder, mithin jedes siebte. "So werden wir die Bildungsreserven in Hessen sicher nicht ausschöpfen", kommentiert Jochen Nagel, stellvertretender GEW-Vorsitzender. Die Landesregierung sortiere die Schüler in Kästchen, statt ihre Förderung zu organisieren.

Frankfurts Schuldezernentin Jutta Ebeling geißelt die "schwarze Pädagogik", der Kultusministerin, die Druck und Auslese propagiere, in der irrigen Annahme, bittere Medizin helfe jeweils am besten. Wie sie verweist auch der Hessische Elternbund auf den Fachkräftemangel in Deutschland, der mit einer solchen Schulpolitik nicht zu beheben sei.

Kultusministerin Karin Wolff dagegen ist überzeugt, auf Dauer werde die verschärfte Versetzungsordnung in Hessen, ähnlich wie in anderen Bundesländern, nicht zu höheren Sitzenbleiberquoten führen, sondern zu einer Verbesserung des Leistungsniveaus.

Christoph Schmidt-Lunau

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