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Gesundheit: Schwere Geburt leicht gemacht

Einst war er ein Noteingriff – heute wollen immer mehr Frauen ihr Kind mit einem Kaiserschnitt zur Welt bringen

Von Adelheid Müller-Lissner

Das junge Paar kam mit einem präzisen Wunsch in die Sprechstunde: Vor knapp einem Jahr hätten die beiden sich kennengelernt, so erzählten sie dem Gynäkologen. Nun solle das Baby, das sie inzwischen erwarteten, genau am Jahrestag – also in der 38. Schwangerschaftswoche – ganz nach Plan und per Schnittentbindung das Licht der Welt erblicken. Ob man das in seiner Klinik bewerkstelligen könne?

40 bis 50 Mal pro Jahr kommt der Wunsch nach einem Kaiserschnitt ohne klare medizinische Begründung inzwischen auf die Ärzte seiner Klinik zu, schätzt Joachim Dudenhausen, Leiter der Klinik für Geburtsmedizin der Charité, Campus Virchow. „Es bedeutet dann viel Arbeit, die Patientinnen nach ihren Motiven zu befragen und von den Alternativen zu überzeugen.“

Die Alternativen – sie bestehen im natürlichen Weg, mit oder ohne Schmerzbehandlung. Ärzte und Hebammen, die dabei helfen, unterstützen auch nach Ansicht der Juristen einen natürlichen Vorgang, während der Kaiserschnitt – wie jede Operation – streng genommen eine Körperverletzung darstellt. Wenn eine vaginale Entbindung Mutter oder Kind gefährden würde, besteht kein Zweifel an der Berechtigung des Eingriffs. Längst ist er allerdings weit mehr als ein „letzter Ausweg“ in lebensgefährlichen Situationen.

„Regelwidrigkeiten, die die Belastbarkeit von Mutter und Kind während der Geburt zu übersteigen drohen, können Gründe sein.“ So umriss Dudenhausen letzte Woche auf einer Konferenz der Kliniken in Berlin und Düsseldorf die aktuelle Lage. Eine solche „Regelwidrigkeit“ kann zum Beispiel eine ungewöhnliche Lage des Kindes im Mutterleib sein.

Auch das Alter der Mutter wird zunehmend ein Grund, die Planbarkeit der Geburt, die Belastungsintoleranz der Mutter und – nicht ganz unwichtig – ihres Partners. Die Kriterien werden also weicher, auch subjektiver. Und das nicht zuletzt, weil sich auch der operative Eingriff selbst inzwischen durch neue Techniken (siehe Infokasten) und rückenmarksnahe Anästhesie statt Vollnarkose verändert hat. Vom „sanften“ Kaiserschnitt zu sprechen, ist trotzdem immer noch eine Übertreibung.

Angst vorm Versagen

Auch den Begriff „Kaiserschnitt auf Wunsch“ möchte Dudenhausens Kollege Hans Georg Bender lieber nicht gebrauchen. Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, per Konferenzschaltung auch in Berlin zu hören, gab zu bedenken: „Kann man einer Frau denn überhaupt unterstellen, dass sie sich eine Operation wünscht?“ Der „Wunsch“ wird für ihn nur richtig interpretiert, wenn man ihn als Resultat einer Güterabwägung begreift: „Wir dürfen die tiefer liegenden Gründe nicht ignorieren.“

Dazu gehört auch Angst vor Schmerzen und vor dem eigenen Versagen bei der Entbindung. Eine finnische Studie konnte im vergangenen Jahr zeigen, dass eine große Mehrheit einer Gruppe von Frauen, die während der Schwangerschaft von sich aus um eine Schnittentbindung baten, nach mehreren verhaltenstherapeutisch orientierten Sitzungen mit Ärzten und Hebammen von ihrem Wunsch Abstand nahmen. Über die Ängste zu sprechen und ihnen Informationen entgegenzusetzen – auch über Methoden der Schmerzbekämpfung während einer vaginalen Entbindung –, zeigt demnach Wirkung.

Beim eingangs geschilderten Fall musste Bender solche Methoden allerdings nicht anwenden: Die jungen Leute, die in seiner Klinik eine Schnittentbindung am Tag des Kennenlernens „bestellen“ wollten, waren Journalisten und hatten das Gespräch für ihren Sender mit der versteckten Kamera gefilmt, wie sich wenig später herausstellte. Sie recherchierten auf diese ungewöhnliche Art über ein Thema, das auch in Mediziner-Kreisen an Brisanz gewonnen hat.

„Abweichendes Geburtserlebnis“

Der Gynäkologe Peter Husslein von der Universität Wien führte seinen Kollegen vor einiger Zeit vor Augen, welche Vorteile es für Frauen haben kann, ihr Kind durch einen sauberen Schnitt das Licht der Welt erblicken zu lassen. Der natürliche Weg, in der Antike drastisch als „inter faeces et urinam“ (zwischen Kot und Urin) beschrieben, hat schließlich für viele Frauen kurzfristig Probleme mit der Kontrolle von Harn- sowie Stuhlabgang und mit der Sexualität, aber auch langfristige Beckenbodenprobleme zur Folge. Solche Argumente für den Kaiserschnitt fallen mehr ins Gewicht, seit die Gefahr, an den Folgen der Operation zu sterben, fast genauso gering geworden ist wie bei der vaginalen Entbindung.

Ein Drittel aller Frauenärztinnen würde sich, einer Umfrage der Medizinzeitschrift „Lancet“ zufolge, von vornherein für eine Schnittentbindung entscheiden. Sie sind allerdings im Praxisalltag besonders häufig mit negativen Folgen der vaginalen Entbindung konfrontiert.

Ein Kaiserschnitt ist im juristischen Sinn kein „Heileingriff“. „Trotzdem kann er nach ausreichender Aufklärung der Patientin, die ihn wünscht, rechtskonform sein“, versicherte die Kölner Richterin Petra Rumler-Detzel. Die dreifache Mutter warf auf der Konferenz in Berlin einen nicht ganz unwichtigen Gesichtspunkt in die Debatte: „Man sollte die Frauen auch darauf aufmerksam machen, dass der Kaiserschnitt ein abweichendes Geburtserlebnis darstellt.“

Neuere Daten aus zwölf Bundesländern zeigen, dass es rein zahlenmäßig so „abweichend“ nicht mehr ist: Immerhin 17,4 Prozent aller Entbindungen erfolgen heute auf dem Weg, der alten Mythen zufolge Herrschern wie Cäsar und Göttern wie Äskulap vorbehalten war. Dudenhausen setzt sich dafür ein, dass er auch in Zukunft der seltenere Weg bleibt: „Ich sehe eine Aufgabe von uns Geburtshelfern darin, dass den Frauen, wenn möglich, das Geburtserlebnis in seiner ursprünglichen Form erhalten wird.“

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