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Gesundheit: Schwimmende Atomreaktoren

Russland will kleine Kernkraftwerke auf der Basis von Schiffsantrieben bauen

Neben Gas und Öl soll bald auch die Atomenergie Russlands Wirtschaft stärken. Das lässt sich der Ankündigung des Kraftwerkbetreibers Rosenergoatom entnehmen, der im Hafen von Sewerodwinsk an der Küste des Weißen Meeres im Nordwesten Russlands ein schwimmendes Atomkraftwerk bauen will. Es soll mit zwei relativ kleinen Kernreaktoren mit einer elektrischen Leistung von zusammen 70 Megawatt ausgestattet sein, wie sie so ähnlich seit langem in Atomeisbrechern laufen. Das Kraftwerk soll einen Militärhafen mit Strom versorgen.

Derzeit liefern 31 Kernreaktoren etwa 17 Prozent des elektrischen Stroms für das Riesenreich. Dieser Anteil soll auf 25 Prozent gesteigert werden. Für den Ausbau der Kernenergie bieten sich vor allem die Städte im hohen Norden Russlands an. Dort verhindern oft extreme Wetterbedingungen die Anlieferung großer Mengen von Öl und Gas. Das schwimmende Kernkraftwerk dürfte dagegen nur alle drei Jahre ein paar Tonnen Uran benötigen, die leicht im Sommer herangeschafft werden können.

Obendrein sind viele Ölkraftwerke veraltet und marode. Zwar könnten auch kleinere Mini-Kernkraftwerke an Land als Ersatz dienen. Das wäre aber relativ aufwändig, wie Heinz-Peter Butz von der Gesellschaft für Reaktorsicherheit in Köln erklärt. So müsste der Standort auf Erdbebengefahren und Probleme mit Grundwasser oder Dauerfrostboden durchleuchtet werden. Auf dem Meer entfallen solche Vorarbeiten weitgehend. Obendrein stehen dort praktisch unerschöpfliche Kühlwassermengen zur Verfügung. Durch geeigneten Stahl oder Entsalzen des Wassers kann man das Problem der Korrosion in den Griff bekommen, das durch Salzwasser droht.

Erhebliche Gefahren sieht die Umweltschutzorganisation Greenpeace in der Bauweise an sich. Werden die Mini-Kernkraftwerke in einem Schiff oder auf einem schwimmenden Ponton installiert, kann der Reaktor bei Kollisionen oder Feuer leicht beschädigt werden. Dabei könnten große Mengen radioaktiver Substanzen ins Meer gelangen, die sich leicht über große Entfernungen verteilen.

Die russischen Ingenieure kontern solche Bedenken mit einem aufwändigen Sicherheitskonzept: Dicke Stahlplatten ummanteln die modifizierten Leichtwasserreaktoren vom Typ KLT-40S, die seit vielen Jahren auf Atomeisbrechern laufen. So soll der Austritt von Radioaktivität verhindert werden.

Fünf verschiedene Sicherheitssysteme schalten den Reaktor bei Störfällen ab, drei Kreisläufe sorgen für die Kühlung. Eine Doppelwandkonstruktion mit zahlreichen Sicherheitsschotten und Luftkammern soll das 140 Meter lange und 30 Meter breite Energieschiff praktisch unsinkbar machen. Trotzdem bleibt wie bei jeder Technik ein Restrisiko, das sich auf dem Meer naturgemäß schwieriger beherrschen lässt als an Land.

Russland sieht trotzdem gute Gründe für den Bau schwimmender Kernkraftwerke. So lassen sich die Reaktoren samt Kontrollräumen und Sicherheitseinrichtungen in einer Werft relativ problemlos in Schiffe einbauen oder auf Pontons installieren. Auf dem Wasserweg werden die Atomkraftwerke zum Einsatzort geschleppt. Dort ein konventionelles Kraftwerk zu bauen, wäre dagegen vergleichsweise schwierig. Vom schwimmenden Reaktor aus lassen sich Stromleitungen und Heizungsrohre relativ einfach verlegen. Wenn der erste schwimmende Reaktor in etwa vier Jahren für knapp dreihundert Millionen Euro fertig gestellt ist, könnte er so auch die 200 000 Einwohner von Sewerodwinsk mit Fernwärme versorgen.

Insgesamt gibt es im Norden und Osten Russlands Bedarf für rund zwanzig solcher Mini-Atomkraftwerke, die gut fünf Prozent der Leistung eines großen deutschen Kernreaktors bringen. Dies berichtet die russische Zeitung Iswestija. Einen lukrativen Markt für schwimmende Nuklearmeiler sehen die Russen auch in den Wüstenländern der Erde. Dort könnte der Strom eines Atomschiffs zum Beispiel 240 Millionen Liter Meerwasser vom Salz befreien und in Trinkwasser für eine Million Menschen verwandeln.

Die Exportchancen dürften ein weiterer Grund für die schwimmenden Reaktoren sein. Doch verbietet es der Atomwaffensperrvertrag nicht, einen nuklearen Reaktor vor der Küste von Iran, Saudi-Arabien, Indonesien oder den Philippinen zu betreiben? Arbeiten die Mini-Kernreaktoren doch mit hoch angereichertem Uran, das auch für Atomwaffen zu gebrauchen ist. Der Ausweg: Wenn russische Experten das Kraftwerk betreiben und das Energieschiff nur geleast wird, greift der Atomwaffensperrvertrag nicht.

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