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Gesundheit: Sie kleben am Papier

Wissenschaftler klagen über teure Fachzeitschriften. Im Internet zu publizieren, ist schneller und billiger

Kommt die Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse zum Erliegen? Wissenschaftler bringen in diesen Wochen massive Klagen gegen die Verlage vor: Sie trieben die Abo-Preise für Zeitschriften immer höher, obwohl die Autoren meist honorarfrei schreiben. Heike Andermann von der Unibibliothek Potsdam weist in einer Untersuchung für die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) nach, dass die Preise für weltweit führende Periodika der Lebenswissenschaften zwischen 1995 und 2001 fast verdoppelt wurden. Die Folge: Uni- und Institutsbibliotheken bestellen immer mehr Zeitschriften ab.

„Vor zehn Jahren hatten wir 5000 laufende Abos, jetzt haben wir nur noch 3000“, sagt der Direktor der Oldenburger Unibibliothek, Hans-Joachim Wätjen. Aber gerade wegen der Abbestellungen, also sinkender Auflagenzahlen, werden die Veröffentlichungen noch teurer. Einen ähnlichen Eindruck erweckt der Markt für Fachbücher. „Meine Studenten haben keinen Zugang mehr zu den Forschungsergebnissen“, klagt Mathematikprofessor Martin Grötschel von der Technischen Universität Berlin. Internationale Fusionen wie jüngst die zwischen der Fachverlagsgruppe Bertelsmann-Springer und einem niederländischen Partner schüren jedes Mal neue Ängste vor möglichen Monopolisten.

Marktschelte helfe aber schwerlich weiter, meint Wolf-Dieter Lukas, Sektionschef für wissenschaftliche Information im Bundesbildungsministerium. In Wirklichkeit gehe es um ein kompliziertes und rasantes Zusammenspiel von gemein- und eigennützigen, privaten und staatlichen, nationalen und internationalen Partnern, das sich im reinen Zweierschema von Angebot und Nachfrage kaum erfassen lässt.

Ein Beispiel ist der Wandel gerade in der chemischen Fachinformation. So erschien das Beilstein-Handbuch der organischen Chemie von 1881 bis 1998 im Druck. Eine elektronische Fassung des laufenden Literaturberichts wird bis heute von einer gemeinnützigen Stiftung weitergeführt. Sie bekommt Lizenzgebühren von einer Vertriebsgesellschaft, die zunächst der Stiftung selbst und einer kommerziellen Gruppe aus den USA gehörte und inzwischen an den (niederländischen) Elsevier-Verlag verkauft wurde. Gleichwohl sind deutsche Shareholder nicht ganz aus dem Rennen: Denn die Beilstein-Datenbank ist im vierteljährlichen Update bei STN (Scientific and Technical Network) International greifbar, einem Gemeinschaftsunternehmen des staatlichen Fachinformationszentrums Karlsruhe, der privaten American Chemical Society und des Japan Center of Science and Technology.

Die ordnende Hand des Staates muss in dieser dynamischen Umgebung laut Wissenschaftsförderer Lukas hauptsächlich drei Ziele verfolgen: Fachinformationen sollen allen Nutzern möglichst breit und kostengünstig zugänglich sein. Mithin ist eine maximale Vernetzung der elektronischen und gedruckten Texte notwendig; gleichzeitig brauchen die Wissensproduzenten als Anreiz den vollen Schutz ihres geistigen Eigentums.

Die „Nutzer“ des explosiven Wissenszuwachses und die Bibliotheken als ihre Agenten müssen, um den Markt zu beeinflussen, selber Marktmacht bilden, zum Beispiel eine Einkaufsgenossenschaft, wie das sechs Unis in Berlin-Brandenburg schon vor Jahren taten. Sie kamen mit Elsevier und zwei weiteren Verlagen überein, dass alle Hochschulen kostenlos auf die abonnierten Zeitschriften elektronisch zugreifen können und nur eine das traditionelle Papierexemplar bezahlt. Das war auch für die Medienunternehmen eine Alternative zur Abbestellung.

Längst nicht jede Instituts-, Uni- oder Landesbibliothek braucht alles. Der wirtschaftswissenschaftliche Informationsverbund EconDoc zum Beispiel gewährt (für eine Nutzungsgebühr von zwischen anderthalb und fünf Euro) den elektronischen Zugriff auf gedruckte Zeitschriftenaufsätze. Die zentrale deutsche Bibliothek für die technischen Fächer, die TIB in Hannover, stellt ihre Sammlung ebenfalls digital zur Verfügung ( www.getinfo-doc.de ).

Immer mehr Hochschulen wie etwa die Berliner Humboldt-Universität bieten ihren wissenschaftlichen Mitarbeitern hauseigene Publikationsmöglichkeiten im Netz. Über den Computer erreicht man die Fachwelt schneller und zudem viel billiger als mit der Druckmaschine. Auch die Max-Planck-Gesellschaft hat inzwischen ein Internetportal für ihre Forschungsergebnisse eröffnet.

Die deutsche Wissenschaft brauche einen Mentalitätswandel, sagt Wolf-Dieter Lukas. Die Wissensproduzenten „klebten“ an prestigereichen Verlags- und Zeitschriftentiteln. Und sie träten den Medienunternehmen alle Rechte ab, statt zeitlich begrenzte Lizenzen von ihren geistigen Produkten zu vergeben. Lukas spricht von einer gewohnheitsmäßigen Neigung der Gelehrten zur Selbstenteignung, die nur durch Aufklärung korrigiert werden könne. Mittlerweile entstehen allerdings schon an den Traditionsverlagen vorbei im Internet alternative „Markennamen“ etwa für sozialwissenschaftliche oder medizinische Publikationsreihen. Wie bei den Printmedien sortieren dort Herausgeber die Spreu vom Weizen.

Hermann Horstkotte

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