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Gesundheit: Singapur – sicherer Hafen für Stammzellforscher

Mit modernen Labors, großzügiger Förderung und liberalen Gesetzen ködert der Stadtstaat die Wissenschaftlerelite

Alan Colman hat einen guten Grund, warum er nach Singapur gegangen ist. „Wegen des Fußballs“, sagt der Mitschöpfer des Klonschafs „Dolly“. „Hier werden alle Spiele im Fernsehen gezeigt, auch die von Manchester United.“ Aber Fußball war nicht der einzige Grund, weshalb Colman der schottischen Biotechnik-Firma „PPL Therapeutics“ den Rücken kehrte. Seit Jahren fischt Singapur in internationalen Gewässern nach wissenschaftlichen Spitzenkräften aus dem Bereich der Biomedizin. Colman, kein Zweifel, war einer der dicksten Fische, die ins Netz gingen.

Seit 2002 leitet Colman die Geschicke von „ES Cell International“ (Esi), einer singapurischen Firma, die sich auf die Erforschung und Vermarktung von menschlichen embyronalen Stammzellen spezialisiert hat. Von den 42 Mitarbeitern sind 34 Wissenschaftler, drei davon aus Deutschland. „Unsere drei deutschen Flüchtlinge“ nennt Colman sie augenzwinkernd. Denn in Deutschland ist die Forschung an embryonalen Stammzellen stark eingeschränkt. Das sei „natürlich falsch“, sagt Colman.

Aber die deutsche Zurückhaltung bedeutet auch einen Konkurrenten im Kampf um einen Zukunftsmarkt weniger. Noch ist es mit den Gewinnen bei „ES Cell International“ nicht weit her. „Biotechnikfirmen schaffen kein Kapital – sie vernichten es“, scherzt Colman. Doch in diesem Jahr hat Esi einen großen Schritt nach vorne gemacht.

Esi-Forscher stellten acht neue Zelllinien her, die hohen Qualitätsansprüchen genügen. So sind diese menschlichen embryonalen Stammzellen nicht mehr mit tierischem Gewebe verunreinigt, das bisher als Nährboden diente. Damit ist Esi an der Weltspitze dabei. Fünf Millionen US-Dollar kostete die Herstellung der Zellen, 6000 Dollar müssen interessierte Forscher für eine Ampulle zahlen.

Colman hat große Pläne. Die Stammzellen sollen eines Tages zur Behandlung von Zucker- und Herzkranken dienen. Zu diesem Zweck müssen sie dazu gebracht werden, sich weiterzuentwickeln. Entweder zu Zellen, die das blutzuckersenkende Hormon Insulin produzieren und damit Zuckerkranken helfen. Oder zu Herzmuskelzellen, die verloren gegangenes Gewebe bei Herzinfarktopfern ersetzen sollen.

Bisher sind die Stammzellen nur an Mäusen getestet worden, und Colman ist mit den Ergebnissen noch nicht zufrieden. Anfang 2008 aber könnte es erste Experimente am Menschen geben, schätzt er. Eine Vermarktung sei frühestens 2012 denkbar. Angesichts der Häufigkeit von Zuckerkrankheit und Herzinfarkt wäre ein medizinischer Durchbruch dann wohl ebenfalls ein riesiger wirtschaftlicher Erfolg. Auch wenn die Therapie bei uns verboten wäre.

Die Firma Esi kann sich der Unterstützung durch die Regierung Singapurs sicher sein. Denn der Inselstaat investiert seit Jahren massiv in die Entwicklung von Biotechnik. Vor drei Jahren wurde der hochmoderne Forschungskomplex „Biopolis“ eröffnet (siehe Kasten), in dem auch Esi angesiedelt ist. Das Unternehmen kooperiert eng mit dem Stammzellkonsortium von Singapur, das die Aktivitäten der Wissenschaftler koordiniert und unterstützt. „In Singapur arbeiten Hunderte von Forschern an Stammzellen“, versichert Lee Eng Hin stolz, Chef des Stammzellkonsortiums. Das hat seine Büros natürlich auch in der Biopolis.

„Wir haben das Ethikproblem gelöst“, sagt Hin. Das klingt für europäische Ohren zunächst etwas befremdlich. Lassen sich doch die ethischen Probleme der Stammzellforschung nicht wie eine mathematische Formel oder ein technisches Problem lösen, sondern allenfalls durch einen Kompromiss zwischen verschiedenen Positionen und Interessen.

Aber genau dieser Kompromiss ist in Singapur geglückt. Die Stammzellforschung hat einen festen und zuverlässigen gesetzlichen Rahmen, der an das entsprechende britische Gesetz angelehnt ist. Die Gewinnung und die Erforschung von menschlichen embryonalen Stammzellen sind erlaubt, ebenso die Forschung an menschlichen Embryonen, sofern diese nicht älter als 14 Tage sind. Das Klonen zu medizinischen Zwecken ist erlaubt, während das reproduktive „Menschenklonen“ streng verboten ist.

Im September 2004 beschloss das Parlament das Gesetz; vorausgegangen waren intensive Debatten und Anhörungen der verschiedenen Religionsvertreter in dem Vielvölkerstaat. „Wir brauchten ein gutes Jahr, um der Öffentlichkeit zu erklären, was wir tun“, erinnert sich Ariff Bongso, singapurischer Stammzellforscher der ersten Stunde und Gründer von Esi. „Wir traten bei Podiumsdiskussionen und im Fernsehen auf und schrieben Zeitungsartikel. Bis auf die Katholiken befürworteten am Ende alle die Stammzellforschung.“

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