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Gesundheit: Sitzenbleiben, aber nur zum Halbjahr

Von George Turner, Wissenschaftssenator a.D.

Jüngst gab es zwei frohe Kunden für Schüler: 1. Elternvertreter und Politiker setzen sich dafür ein, das Sitzenbleiben abzuschaffen. 2. die Ergebnisse der neuen PISAUntersuchung sind besser als die der vorausgegangenen.

Der Vorschlag, das Sitzenbleiben gänzlich aus der Schule zu verbannen, mutet weltfremd an. Was soll denn mit denen geschehen, die partout das Klassenziel immer wieder nicht erreichen? Will man sie weiter durchschleppen? Auch Lehrern sollte eine begrenzte Leidensfähigkeit zugestanden werden. Und sollen leistungsschwache Schüler auch Abschlussprüfung passieren können, selbst wenn die Ergebnisse nicht ausreichen? Schulabschluss durch Ersitzen also, ähnlich dem aus der Politik bekannten Aussitzen?

Der PISA-Schock vor drei Jahren hat zu einer verbesserten Förderung geführt. Dies hat offenbar eine Leistungssteigerung in der Spitze und bei den schwächeren Teilnehmern bewirkt. Noch mehr Förderung müsste also, so könnte man meinen, das Sitzenbleiben überflüssig machen. Ob dies je zu erreichen ist, erscheint zweifelhaft.

Warum denkt man nicht an andere Maßnahmen, welche die Folgen des Scheiterns entweder korrigieren oder erträglicher machen? So könnte man denjenigen, die das Ziel der Klasse verfehlen, am Ende der Ferien die Möglichkeit einer Nachhol-Prüfung einräumen, wie es in Berlin schon praktiziert wird. Der Hinweis, dass damit die Ferien belastet würden, ist ebenso wohlfeil wie überflüssig. Wer nicht will, muss sich einer solchen Prozedur nicht unterwerfen.

Wenn nicht in erster Linie mangelnde Fähigkeiten zum schlechten Zeugnis geführt haben, sondern fehlende Lernbereitschaft, ist ein Jahr Zeitverlust in der Tat ein hoher Preis. Was spricht eigentlich dagegen, die Schulzeit in Halbjahreszyklen aufzuteilen? Nun kann man einwenden, dass eine solche Radikalkur unangebracht sei, wo es doch nur um einen kleinen Teil der Schüler gehe.

Die Gliederung der Schulzeit in Halbjahresabschnitte hätte aber auch einen anderen Effekt: Bei der Einschulung geht es heute ebenfalls um ein ganzes Jahr. Entweder ein Kind kommt z. B. mit knapp sechs Jahren in die Schule oder muss ein Jahr lang warten und ist dann fast sieben. Es dürfte unstreitig sein, dass der kindlichen Entwicklung besser entsprochen wäre, gäbe es eine Zwischenlösung.

Eine solche Umgestaltung des Schulwesens würde in der Tat große organisatorische Probleme mit sich bringen. Aber wären die so erheblich, dass sie verhindern, Lösungen zu finden, die den Interessen derer gerecht werden, für die Schule da ist – mögen es Sitzenbleiber oder Erstklässler sein?

Wer mit dem Autor diskutieren möchte, kann ihm eine e-mail schreiben: g.turner@tagesspiegel.de

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