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Gesundheit: Smogalarm am Nordpol

Man kann es sich nur schwer vorstellen: Smog am Nordpol. Gibt es in der Reinheit der Eiswüste, als die wir die Polargebiete zu verstehen gewohnt sind, überhaupt eine starke Luftverschmutzung?

Man kann es sich nur schwer vorstellen: Smog am Nordpol. Gibt es in der Reinheit der Eiswüste, als die wir die Polargebiete zu verstehen gewohnt sind, überhaupt eine starke Luftverschmutzung? Leider ja.

Jeweils im Frühjahr trüben gelblich-braune bis grauschwarze Schleier die Luft über dem Nordpolarmeer. Der fein verteilte Schmutz stammt zum überwiegenden Teil aus Emissionen von Industrieanlagen und Kraftfahrzeugen, obwohl es im Umkreis von mehr als 2000 Kilometern solche Quellen dafür gar nicht gibt. Dieser so genannte Arctic Haze (Arktischer Nebel) kann Aerosolkonzentrationen wie in Ballungsgebieten mittlerer Breiten erreichen.

Die anthropogene Herkunft des Arctic Haze haben amerikanische Wissenschaftler erst in den siebziger und achtziger Jahren entdeckt. Aber da dominierte das Interesse am Ozon. Dass dessen Zerstörung wesentlich durch chemische Prozesse unter Beteiligung des Aerosols stattfindet, hatte man noch nicht erkannt. Dem Aerosol wurde noch keine große Bedeutung für das Klima zugesprochen. Demzufolge waren die ersten Aerosolmessungen sporadisch, auf die Sommermonate beschränkt.

Messungen seit 1971

Point Barrow in Alaska ist die einzige Forschungsstation, die auf eine durchgängige längere Messreihe des Aerosols unter Tageslichtbedingungen (seit 1971) in hohen geographischen Breiten zurückblicken kann. Vulkanausbrüche führen uns vor, was passiert, wenn die Atmosphäre stark mit Aerosolen angereichert ist. 1816 zum Beispiel galt als das "Jahr ohne Sonne", verursacht durch die heftigen Ausbrüche des Mt. Tambora in Indonesien ein Jahr zuvor. Die Aschepartikel und Schwefeltröpfchen des Vulkans haben über fünf Jahre die ganze Nordhemisphäre beeinflusst. Es traten Hungersnöte auf, weil die Sonne nicht zu sehen war und der Weizen nicht reifte.

Die Forschung leidet heute noch darunter, dass es keine standardisierten Messgeräte gibt. So griff das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) auf ein "Fotometer" zurück, das der Atmosphärenphysiker Ulrich Leiterer vom Aerologischen Observatorium Lindenberg (bei Beeskow) gebaut und das die ostdeutschen Polarforscher erfolgreich in der Antarktis eingesetzt hatten. Nachdem die deutsche Arktisstation "Carl Koldewey" auf Spitzbergen im März 1991 gegründet worden war, begann das AWI sofort mit kontinuierlichen Aerosolmessungen über Nylesund.

Ein Sonnenfotometer ist eigentlich nichts anderes als ein Lichtmesser. Der Name besagt, dass es direkt in die Sonne schaut und das einfallende Licht aufnimmt. Es wird durch eine Linse gebündelt. Dahinter befindet sich ein "Filterrad", das automatisch gedreht wird, so dass der Reihe nach verschiedene Filtersysteme nur jeweils bestimmte Wellenlängen passieren lassen, die dann auf einen Detektor treffen. Beispielsweise lässt ein Filter nur Licht einer Wellenlänge von 500 Nanometer auf den Detektor fallen.

Mit welcher Energie dieser Wellenlänge am Außenrand der Atmosphäre ankommt, ist bekannt. Auf der Erdoberfläche kommt jedenfalls wenig an. Die Differenz ist ein Maß für die Reinheit der Atmosphäre. Aus dieser Verhältnismessung erhält man die "Aerosol-Optische Dicke" (AOD) - eine dimensionslose Größe. Auf diese Weise versuchten die Forscher auf der Koldewey-Station, die Verschmutzung der polaren Atmosphäre zu messen und festzustellen, wieviel davon auf menschliche Aktivitäten zurückgeht.

Messungen waren anfangs jedoch nur von Frühjahr bis Herbst möglich - nie während der Polarnacht, wo ja keine Sonne scheint. Diese Wissenslücke schmerzte, denn in der dunklen Jahreszeit bereiten sich die Dinge vor, die dann im Frühjahr beispielsweise als Arctic Haze zu Tage treten. Auch die Zerstörung des Ozons beginnt an Wolken in der Stratosphäre des Pols, die sich vielleicht schon im Polarwinter bilden.

Nachdem Experimente auf Spitzbergen, statt der Sonne das Mondlicht für Aerosolmessungen zu nutzen, günstig verlaufen waren, gelang es im vergangenen Winter zum ersten Mal, die Aerosolkonzentration während der gesamten Polarnacht zu messen. Das ging nur, weil das Sternenlicht als Energiequelle herangezogen wurde.

Dies ging nur mit einem Detektor, der um zwölf Größenordnungen empfindlicher ist, als Meßgeräte, die mit Sonnenlicht arbeiten. Die Anforderung erfüllte eine leistungsstarke Silizium-Diode der japanischen Firma Hamamatsu, die für andere Zwecke entwickelt worden war. Das Bundesforschungsministerium finanzierte die Anpassung der elektronischen Verstärkung an die Diode. Eine Ausgründung aus dem Lindenberger Observatorium, die Firma Dr. Schulz & Partner, stellte damit ein völlig neuartiges Sternfotometer her.

Die gemessenen Aerosol-Werte waren im Frühjahr viel höher als im Sommer - ein bemerkenswerter Unterschied zur Antarktis, wo keine jahreszeitlichen Veränderungen beobachtet wurden. Vom Sommer bis zum Anfang des Polarwinters ist der Aerosolgehalt am Nordpol sehr gering, er entspricht dann ungefähr den aus der Antarktis bekannten Konzentrationen.

In dieser Zeit stoppt die Polarfront den Luftstrom aus dem Süden - ohne deswegen eine völlig undurchlässige Barriere zu sein. Aber aufgrund ihrer Lage im Sommer bei 70 bis 75 Grad nördlicher Breite, dürfte in dieser Zeit in der Arktis der natürliche Aerosolgehalt vorherrschen.

Gegen Ende des Sommers beginnt sich die Polarfront nach Süden auf eine geographische Breite von etwa 55 Grad Nord zu verschieben. Dadurch liegen große Teile der Arktis in jenem Luftmassenbereich, der vom Menschen verursachte Aerosole enthält. Schmutz aus Industriegebieten gelangt innerhalb weniger Tage in hohe nördliche Breiten. Arctic-Haze-Ereignisse - definiert mit einer spektralen optischen Dicke über 0,1 - fallen auf. Dieser Wert entspricht eine Masse von 10 Milligramm Aerosol pro Quadratmeter, falls es sich um Schwefelsäuretröpfchen handelt.

Streuung auch an Luftmolekülen

Der bisher höchste Wert der optischen Dicke wurde mit 0,32 in der sibirischen Arktis gemessen. Das entspricht einem Gesamtverlust an solarer Strahlung von etwa 37 Prozent. Auf Spitzbergen findet sich mit 0,05 der geringste Wert, das sind 15 Prozent Strahlungsverlust, nur ein wenig mehr als das natürliche Defizit von 12 Prozent, das die solare Strahlung durch Streuung an Luftmolekülen ständig verliert.

Ein völlig neues Ergebnis war der Nachweis von Arctic-Haze-Ereignissen in der Polarnacht. Gegen Ende der dunklen Jahreszeit machen sie immerhin ein Viertel der Messungen aus. Im Frühjahr kommen besonders hohe Aerosolwerte hinzu, die vom Menschen verursacht sind.

Insgesamt erhält man das wenig erfreuliche Resultat, dass sich - entgegen anders lautender Vorstellungen - die Konzentration der Aerosole in den letzten zehn Jahren nicht verringert hat. Umstritten sind allerdings die Auswirkungen auf das Klima. Im globalen Mittel - das haben Modellrechnungen verschiedener Institute gezeigt - kühlt Aerosol die Atmosphäre ab; es wirkt also dem anthropogenen Treibhauseffekt entgegen.

Dieses Argument führten die amerikanische Unterhändler auf Umweltkonferenzen ins Feld, um den hohen Kohlendioxid-Ausstoß der USA zu rechtfertigen. Unter arktischen Verhältnissen sind die Strahlungsvorgänge aber komplizierter als in mittleren Breiten. Durch die starke Streuung des Sonnenlichts an der Eisoberfläche kommt es zur Mehrfachstreuung zwischen Oberfläche und Aerosol. Dadurch herrscht ein Überangebot an Strahlung, die von den Aerosolpartikeln absorbiert wird.

Rechnungen am Alfred-Wegener-Institut ergaben, dass das anthropogene Aerosol in der Arktis die Atmosphäre nicht abkühlt, sondern eher erwärmt. Eine Messkampagne mit japanischen Wissenschaftlern bestätigte dies für das Nordpolargebiet. So käme es dort bei einem weiteren Anstieg der CO2-Belastung zu einem zweiten Treibhauseffekt.

Gert Lange

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