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Gesundheit: So strahlen des Tizians Kerne

Neutronen durchleuchten Gemälde

Da glaubt man nun, ein Gemälde von Tizian zu betrachten – zum Beispiel das „Mädchen mit Fruchtschale“ aus dem Jahr 1555, und dann ist’s eigentlich ein ganzer Comic-Strip. Denn unter ihrem Abbild ruhen noch ganz andere Ansichten. Wie Vexierbilder erscheinen – um 180 Grad gedreht – vielleicht ein alter Mann in weiter Robe? Oder ist es dann – wieder zurück gedreht – doch eher eine Sitzende im weiten Kleid? Birgit Schröder-Smeibidl beweist Letzteres, denn sie hat technische Hilfe: „Alte Meister – gesehen mit den Augen der Neutronen“ lautete das Thema ihres Vortrags im Kunstgewerbemuseum.

Zum Jahr der Chemie veranstaltet die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung noch bis in den Dezember hinein eine ganze Vortragsreihe über die Chemie der Kunst, und nun tritt eine Physikerin an? Birgit Schröder-Smeibidl, Mitglied in der wissenschaftlichen Geschäftsführung des Hahn-Meitner-Instituts (HMI) in Wannsee, hat sich lange Jahre mit der Autoradiografie befasst, die als einzige (fast) zerstörungsfreie Technik den Leinwänden richtig auf den Grund zu gehen vermag. Entwickelt wurde sie am New Yorker Museum of Art, aber das HMI hat das Verfahren für seinen Materialforschungs-Reaktor adaptiert.

So durchgeistigt die Gemälde sind, zu ihrer Anfertigung werden ganz irdische Farben verwendet. Und die bestehen aus Molekülen und Atomen. Deren Kerne sind es, die von den Neutronen bei der Bestrahlung im HMI getroffen werden, freilich von 250 Milliarden nur einer. Deshalb verändert die Untersuchung sicherlich winzige Teilchen des Ganzen, aber sie zerstört es nicht.

Der getroffene Atomkern reagiert prompt, verwandelt sich in ein radioaktives Isotop. Das wiederum heißt, dass sich der Kern – je nach seiner Halbwertszeit früher oder später – erneut umbaut, dann unter Aussendung eines Energiequants im Bereich der Gammastrahlung. Und die wird eingefangen, zum Beispiel dadurch, dass das Gemälde nach der Bestrahlung eine Packung Röntgenfilme verpasst bekommt.

Nach deren Entwicklung zeigt sich oft schon mal ein anderes Bild vom Bild, weil ja nun auch die unter der Oberfläche schlummernden Farbpigmente reagieren.

Die wohl berühmteste Untersuchung betraf den „Mann mit dem Goldhelm“. Er stammt – wie sich anhand der Pinsel-Strichführung nachweisen ließ – nicht von Meister Rembrandt, sondern nur aus seinem Malerei-Büro. Der Chef selbst war eben zu beschäftigt.

Weiteres im Internet unter:

www.bam.de/aktuell/veranstaltungen/chemie-der-kunst_i.htm

Gideon Heimann

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