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Gesundheit: Speers Erbe

Beim Wiederaufbau von Berlin spielten die Pläne von Hitlers Architekten eine wichtige Rolle

Die nummerierten Flächen reißen große, farbige Leerstellen in den Stadtplan. Er stammt aus der Berliner Machtzentrale Albert Speers am Pariser Platz 4. Spätestens seit der ARD-Dokumentation „Speer und Er“ ist der Name von Hitlers oberstem Architekten wieder in aller Munde. Der Stadtplan aus dem Jahre 1941 zeigt Berliner Stadtgebiete, die, um Adolf Hitlers große Nord-Südachse zu verwirklichen, rechts und links davon abgerissen werden sollten. Betroffen waren Geschäftshäuser und Wohnstraßen in Tiergarten, Schöneberg, Kreuzberg und Tempelhof – alles gute, gewachsene Bausubstanz.

Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass Generalbauinspektor Speer die Ausmietung und Deportation der Berliner Juden gezielt betrieben hat, um Ersatzwohnungen für die Mieter aus den Abrissgebieten bereitstellen zu können. „Speer war auch einer der Ersten, die mit Sprengstoff abgerissen haben“, erzählt der Architekt und Bauhistoriker Klaus Kürvers. Die durch Umsiedlung, Enteignung und Abrisse entstandenen freien Flächen hätten eine „Kontinuität des Faktischen“ geschaffen. Eine Kontinuität, die sich bis heute fortschreiben lässt: „Alles was hier neu gebaut wurde – zwischen Regierungszentrum, Kulturforum und Potsdamer Platz – wäre ohne Speers Politik nicht denkbar“, so Klaus Kürvers.

Mit Hitlers oberstem Architekten wird bis heute in erster Linie „Germania“ assoziiert: die große Halle, Monumentalbauten und große Aufmarschstraßen nach dem Vorbild der Pariser Champs-Elysées. Weniger bekannt dagegen – und das ist eine nationale Verdrängungsleistung – ist die Tatsache, dass die Grundlagen für die Wiederaufbauplanung in der deutschen Nachkriegszeit noch in Speers Behörde gelegt wurden – theoretisch und teilweise auch praktisch.

Als 1943 die ersten Bomben auf Berlin fielen, mussten neue Prioritäten gesetzt werden. Es galt auf die durch den Luftkrieg entstandenen Schäden zu reagieren und diese in die Neugestaltung mit einzubeziehen. Zu diesem Zweck rief Speer den im Oktober 1943 von Hitler legitimierten Wiederaufbaustab ins Leben. In seiner programmatischen Rede zur „Wiederaufbauplanung der deutschen Städte“ im November 1943 forderte der Generalbauinspektor: „Wenn wir diese Arbeit jetzt nicht leisten, dann wird nach dem Krieg die Entwicklung über uns und über jede geordnete Planung zur Tagesordnung hinweggehen, (...) und spätere Generationen werden es unverständlich finden, dass man nicht frühzeitig mit der notwendigen Vorsicht die Städte geplant und den Wiederaufbau planvoll durchgeführt hat.“ Die neuen Schlagworte hießen Entballung, Durchgrünung und Dezentralisierung. Eine unregelmäßige Baustruktur und organische Formen mit viel Grün sollten die Gefahr eines Feuersturms verringern – die engen Gassen der alten Stadt wirkten da wie ein Schlot – und dem Feind ein Flächenbombardement erschweren. Übersichtlich und kontrollierbar sollte die neue Stadt sein, die straffe organisatorische Struktur des Deutschen Reiches in „Wohn- und Siedlungszellen“ ihre Entsprechung finden. „Stadt sollte ersetzt werden“, erklärt Klaus Kürvers, „die neuen Konzepte basierten auf der großflächigen Zerstörung der alten Bausubstanz.“

Zynischerweise sind es gerade die durch alliierte Bomber angerichteten Verwüstungen, die den Architekten um Speer den Vorwand lieferten, ihre Vorstellungen auch inhaltlich zu zementieren. Sie griffen auf Ideen zurück, die in der Weimarer Republik von den Architekten des „Neuen Bauens“ vertreten worden waren. Die im Januar 1945 von Johannes Göderitz, Roland Rainer und Hubert Hoffmann auf Anweisung Speers publizierte Schrift „Die gegliederte und aufgelockerte Stadt“ fasst die Konzepte erstmals als Theorie zusammen. Sie wurde 1957 unter gleichem Titel und in nur wenig abgeänderter Form erneut herausgebracht und in viele Sprachen übersetzt. Da das Buch auch international dem geltenden Stilempfinden entsprach, prägte es – vorwiegend im Westen – das ästhetische Leitbild einer ganzen nachfolgenden Architektengeneration.

Die Luftkriegserfahrungen haben die Überlebenden nachhaltig traumatisiert. Das mag die unter Stadtplanern und Architekten verbreitete Ablehnung historischer Stadtstrukturen erklären. Neben der theoretischen Kontinuität gab es aber auch eine personelle: Viele der engsten Mitarbeiter Albert Speers konnten sich in Westdeutschland – möglichst weit weg von der ehemaligen Hauptstadt und dem Zugriff der sowjetischen Besatzungsmacht – in zentralen Positionen der Stadtplanung etablieren: Friedrich Tamms in Düsseldorf, Herbert Rimpl in Mainz, Rudolf Hillebrecht in Hannover.

Aufgrund des Vier-Mächte-Status lief das in Berlin nicht ganz so bruchlos. Hier kam 1945 ein Architekt ans Ruder, der unter den Nazis keine exponierte Rolle gespielt hatte: Hans Scharoun – ebenfalls ein Anhänger der Ideen des „Neuen Bauens“. Er wird von dem sowjetischen Stadtkommandanten Generaloberst Bersarin zum Stadtbaurat ernannt. Dass diese Lösung nicht von langer Dauer war, läge an dem damals in westlichen Stadtteilen verbreiteten fast hysterischen Antikommunismus, erzählt der Architekt Heiner Moldenschardt: „Scharoun galt als zu Sowjet-freundlich.“ So kam es, dass sich die West-Berliner SPD 1946 für einen langjährigen Mitarbeiter des Generalbauinspektors als Nachfolger entschied: Karl Bonatz. Bonatz blieb nur eine Zwischenfigur. Entscheidend war, dass er es seinem ehemaligen Vorgesetzten Hans Stephan ermöglichte, im Nachkriegs-Berlin wieder Fuß zu fassen. Rückblick: Als Albert Speers Stellvertreter war Hans Stephan seit Februar 1942 für alle Berlin betreffenden Stadtplanungen zuständig gewesen. Am 28. Januar 1944 beauftragte Speer ihn mit der Wiederaufbauplanung. Stephan beginnt mit einer Schadenskartierung, auf der auch Hans Scharouns Wiederaufbauplan, der so genannte „Kollektivplan“, basiert.

Seit 1948 hat Hans Stephan die West-Berliner Senatsbauverwaltung mit aufgebaut, von 1956 bis 1959 war er – gegen Scharouns Protest – Senatsbaudirektor. In dieser Leitungsfunktion konnte er, wie einst unter Speer, maßgeblich Einfluss auf die Berliner Baupolitik nehmen. Noch einmal zeigt sich, wie Speers Gefolgsleute sich die Umsetzung von Stadtplanung vorstellten. Ausgehend von einem zentralistischen Planungsgedanken tauchen die nationalsozialistischen „Siedlungszellen“ als „Nachbarschaften“ wieder auf: unter anderem in dem Entwurf zur Neuplanung von Bereichen des Berliner Stadtteils Wedding – dem späteren Sanierungsgebiet Gesundbrunnen. Während der großen internationalen Architekturausstellung „Interbau“, die 1957 im Hansaviertel stattfand, wird das Projekt exemplarisch vorgeführt: im Rahmen der Ausstellung „Die Stadt von morgen“. „Im Wedding war trotz der Bombardierung viel an Bausubstanz erhalten geblieben, so wie im Kreuzberger Stadtteil SO 36 oder im Prenzlauer Berg. Da hätte man auch behutsam entkernen und auffüllen, also Stadt reparieren können“, meint Klaus Kürvers. Aber 1964, nach der Fertigstellung des Märkischen Viertels, das die Umsiedlung der Weddinger Mieter ermöglichte, gehen die Abrisse und Sprengungen los. Hans Stephan hat dafür noch die Weichen gestellt.

Barbara-Ann Rieck

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