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Gesundheit: Spermien im Vorruhestand

Warum beim Mann die Zeugungsfähigkeit mit den Jahren abnimmt

Pablo Picasso, Anthony Quinn: Ein paar prominente Namen später Väter fallen sofort, wenn in einer Runde die Frage erörtert wird, wie lange Männer eigentlich Kinder zeugen können. Bei Frauen ist die Sache klar: Spätestens mit der Menopause, leicht zu erkennen am Ende der monatlichen Blutungen, reifen keine Eizellen mehr heran. Das Ende der fruchtbaren Jahre ist erreicht. Schon lange vorher hören viele Frauen die „biologische Uhr ticken“. Sie wissen, dass die Chance, schwanger zu werden, mit den Jahren abnimmt.

Frauen sind anders – und Männer vielleicht auch: Ein Team um Brenda Eskenazi von der Universität im kalifornischen Berkeley hat Samenflüssigkeit von 97 gesunden Nichtrauchern zwischen 22 und 80 Jahren auf ihre Fruchtbarkeit hin untersucht. Die Ergebnisse sind jetzt in der Fachzeitschrift „Human Reproduction“ (Band 18, Nr. 2, Februar 2003) veröffentlicht.

In jedem Lebensjahr nahm die Menge der Samenflüssigkeit um 0,03 Milliliter ab. Davon ist jedoch, anderen Untersuchungen zu Folge, nicht unbedingt die Anzahl der Spermien betroffen. Weit wichtiger ist, dass auch die Beweglichkeit der Samenzellen pro Jahr um 0,7 Prozent abnahm, und die zielgerichtete Bewegung, die für das Rendezvous der Keimzellen beider Partner bedeutsam ist, sogar um 3,1 Prozent. „In erster Linie nimmt mit dem Alter die Beweglichkeit der Spermien ab, nicht so sehr deren Zahl“, bestätigt auch Gerhard Haidl, Spezialist für Männerheilkunde an der Universität Bonn. „Ein weiteres Problem ist die Zunahme fehlgeformter Samenzellen." Beide Veränderungen haben Einfluss auf die Fruchtbarkeit.

Für eine andere, im letzten Jahr ebenfalls in „Human Reproduction“ veröffentlichte Studie wurde das Schicksal von 782 Paaren aus ganz Europa verfolgt, die sich Kinder wünschten. Dabei zeigte sich erwartungsgemäß, dass das Alter der Frauen starken Einfluss darauf hatte, wie schnell sie schwanger wurden. Die unter 26-Jährigen konnten gegenüber den über 35-Jährigen mit fast doppelt so hoher Wahrscheinlichkeit damit rechnen, innerhalb eines Zyklus schwanger zu werden. Das heißt aber keineswegs, dass Frauen mit Mitte 30 schon dafür gestraft würden, das Ticken der imaginären biologischen Uhr überhört zu haben: Immerhin wurden auch fast 30 Prozent von ihnen innerhalb eines Monats schwanger – jedoch nur, wenn ihr Partner nicht wesentlich älter war als sie. Schon mit einem 40-Jährigen Partner sank die Chance auf 18 Prozent. Das Alter des Mannes wird für das Tempo, in dem ein Kinderwunsch sich erfüllt, besonders dann von Bedeutung, wenn die Partnerin über 35 ist. Sollten Frauen ab 35 mit Kinderwunsch also gezielt nach jüngeren Lovern Ausschau halten? Zur Dramatisierung geben die Zahlen nach Ansicht der Forscher jedoch keinen Anlass: „Man kann die Ergebnisse kaum dazu hernehmen, um Männern im Alter von 35 Jahren zu empfehlen, Samenzellen einfrieren zu lassen“, kommentiert etwa der Biologe Svend Juul von der dänischen Universität Aarhus.

Individuelle Unterschiede

Einen definierten Zeitpunkt, von dem an es endgültig zu spät wäre, gibt es bei Männern eben nicht. Zwar sind 50 Prozent der über 80-Jährigen unfruchtbar. Einige ihrer Altersgenossen aber zeugen Kinder, die ihre eigenen Urenkel sein könnten. „Die Zeugungsfähigkeit nimmt im Verlauf der Zeit graduell ab“, sagt Haidl. „Aber es gab da große individuelle Unterschiede.“ Teilweise lassen sie sich durch den Lebensstil erklären: Vom Rauchen bis zum Tragen enger Trikots beim Radfahren wurden im Lauf der letzten Jahre viele Faktoren diskutiert. Dass die Spermienqualität insgesamt in den letzten Jahrzehnten abgenommen habe, konnte jedoch durch wissenschaftliche Studien nie zweifelsfrei bewiesen werden.

Die allmähliche Abnahme der männlichen Fruchtbarkeit mit zunehmendem Alter wird von den Spezialisten zum Teil mit Veränderungen des Hodengewebes erklärt. Vor allem die Nebenhodenkanälchen sind davon betroffen, in denen die Samenzellen ausreifen. „Kommt es im Nebenhoden zu Veränderungen oder zu Entzündungen, so nimmt wahrscheinlich die Beweglichkeit der Spermien ab“, sagt Haidl.

Die zweite Ursache sind hormonelle Veränderungen. So nimmt bei älteren Männern die Zahl der Leydig-Zellen, die im Hoden für die Testosteron-Produktion zuständig sind, meist deutlich ab. Gleichzeitig führen Veränderungen der zentralen Regelkreise dazu, dass das Testosteron im Körper weniger verfügbar ist. Vor einigen Jahren wurde angesichts dieses „Hormontiefs des Mannes“ sogar der Begriff der „Andropause“ in die Debatte geworfen. Er ist schon deshalb reichlich überzogen, weil er sprachlich nicht weniger als das „Ende des Mannseins“ bezeichnet, während sein weibliches Pendant, die Menopause, nur das Aussetzen der monatlichen Blutungen benennt. Zudem gibt Haidl zu bedenken, ein niedriger Testosteronwert sei „mit einer vernünftigen Fertilität durchaus vereinbar“.

Ein echtes Hemmnis für die späte Fruchtbarkeit vieler Männer sind aber Krankheiten wie Diabetes und Arteriosklerose, die Auswirkungen auf die Erektionsfähigkeit haben können. Während die Sorge um die erfüllte Sexualität zahlreiche ältere Männer in die Sprechstunde eines Urologen führt, sucht bei Haidl sehr selten ein Mann über 65 wegen eines unerfüllten Kinderwunsches Rat. Der Androloge müsste dann auch darauf hinweisen, dass mit dem Alter des Vaters – ebenso wie mit dem der Mutter – das Risiko steigt, genetische Schäden an das Kind weiterzugeben. Wahrscheinlich sind die Kontroll- und Reparaturmechanismen, die wirksam werden, wenn sich bei der Entwicklung der Samenzellen Fehler einschleichen, im höheren Lebensalter nicht mehr so verlässlich.

Fazit: Im Schnitt nimmt die Fruchtbarkeit auch bei Männern mit dem Alter deutlich ab – allmählich, nicht abrupt. Manche Männer werden aber auch mit 90 noch Vater. Eine verlässliche Methode der Empfängnisverhütung sollte in der Wahl eines älteren Partners also besser nicht gesehen werden.

Adelheid Müller-Lissner

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