zum Hauptinhalt

Gesundheit: Sprachlose Affen

Der Schimpanse klatscht, zerrt, hebt den Arm – warum sagt er nichts? Ihm fehlt die Grammatik, meinen Forscher

Kanzi beherrscht 200 Wörter. Er kann sie zwar nicht aussprechen, aber immerhin „gib mir“ und „Banane“ auf einer Tastatur eingeben. Kanzi ist ein Bonobo. Der berühmte Zwergschimpanse hat das „Sprechen“ im Labor gelernt.

Hoover dagegen kennt nur ein paar Wörter. Aber er kann sie aussprechen. „Hey“ und „Hoover“ klingt aus seinem Mund wie aus der rauen Kehle eines Fischers. Tatsächlich ist er von einem Fischer in der Badewanne großgezogen worden. Denn Hoover ist ein Delfin.

Es gibt viele Beispiele für Tiere, die irgendwie sprechen können. Was unterscheidet ihre Sprache von der des Menschen? Oder gibt es womöglich gar keinen Unterschied, und unser Sprachtalent ist nicht einzigartig? Der Biologe Tecumseh Fitch von der Harvard University hat die menschliche und die tierische Sprache miteinander verglichen. Die Ergebnisse seiner Studien stellte er kürzlich im Wissenschaftskolleg in Berlin vor.

„Das, was Affen sprechen, ist eine Protosprache, eine Vorstufe der Sprache“, sagte Fitch. Der Bonobo Kanzi etwa hat seinen symbolischen Wortschatz im Language Research Center der University of Georgia in Atlanta gelernt. Er selbst wurde nicht an der Tastatur trainiert, sondern von seiner Mutter. Kanzi aber war so schlau, sich den Gebrauch der Symbole abzugucken.

Viel mehr als 200 Wörter hat Kanzi jedoch nie erworben. Menschenkinder dagegen plappern im Alter von nur wenigen Jahren munter drauflos. Als Erwachsene haben sie dann einen immensen aktiven Wortschatz: Ein gebildeter Mensch beherrscht bis zu 60000 deutsche Wörter.

Doch nicht allein mit der schieren Zahl übertrumpft er die tierischen Verwandten. Erst die Grammatik erlaubt es ihm, aus der begrenzten Zahl von Wörtern unendlich viele Sätze zu formen. Sprache bedeutet vor allem eine unbegrenzte Flexibilität. Erst sie macht den Menschen zum Menschen.

Die Rolle des Kehlkopfs

Was hindert Tiere wie Kanzi aber daran, so wie wir Worte auszusprechen und sie zu Sätzen zu kombinieren? Vielleicht fehlen ihnen einfach die körperlichen Voraussetzungen. Schließlich liegt der Kehlkopf beim Menschen deutlich tiefer als beim Affen. Erst das schafft Platz für einen großen Rachenraum, in welchem die Sprachlaute fein moduliert und so eine Vielzahl von Worten erzeugt werden können. Kanzi fehlt dieser Resonanzkörper. Er kann nicht richtig sprechen, zumindest nicht mit der Stimme.

Lange dachten Forscher, der tiefgelegte Kehlkopf beim Menschen wäre wie seine Sprache: einzigartig. Mittlerweile haben Forscher das Gegenteil gezeigt. Wie der Delfin Hoover Laute erzeugt, ist zwar noch nicht vollständig geklärt. Wahrscheinlich spielt aber der Kehlkopf dabei eine Rolle. Und es gibt Tiere, deren Kehlkopf wie beim Menschen abgesenkt ist. So zum Beispiel bei Löwen – und sie sprechen doch nicht. Sie können damit nur tiefer brüllen. Der Kehlkopf allein reicht zur Sprache bei weitem nicht.

Wenn wir Menschen Sprache erlernen, machen wir von einer besonderen Fähigkeit Gebrauch: der Imitation. Wir hören die Wörter von unseren Eltern und ahmen sie nach. Das ist einzigartig unter den Primaten. Die Menschenaffen tun sich mit dem Nachäffen von Lauten ganz schön schwer. „Schimpansen können nicht mal die einfachsten Laute nachmachen“, sagte Fitch. Da hat Hoover Kanzi wieder etwas voraus: Delfine können Laute imitieren. Hoover ist allerdings der einzige Delfin, der Wörter aufgeschnappt hat. Und nicht allzu viele.

Affen unterhalten sich in der Natur allerdings sowieso nicht mit Lauten, sondern mit Gesten. Sie heben ihren Arm oder klatschen in die Hände, um Aufmerksamkeit zu erheischen. Sie schubsen, zerren, schieben – das alles hat seine Bedeutung in der Affenwelt.

„Doch auch ihre Gebärdensprache lernen die Menschenaffen vermutlich nicht durch Imitation“, bestätigt die Affenforscherin Katja Liebal vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig. „Sonst müssten räumlich getrennte Gruppen auch ein ähnliches Repertoire haben.“ Das ist aber nicht der Fall. Immerhin konnte Kanzi die Benutzung der Symbole von seiner Mutter abgucken, allerdings nicht in der Natur, sondern im Labor.

Mit der Imitation tun sich Affen also recht schwer. Und wie steht es mit der Grammatik, also mit jenem Sprachmuster, das es uns erlaubt, Wörter so aneinander zu reihen, dass unendlich viele Bedeutungen entstehen? „Schimpansen sind in ihren Gesten nicht mal zu einfacher Grammatik fähig“, sagt Katja Liebal. Werden zwei Gesten von einem Affen gleichzeitig verwendet, erhalten sie trotzdem keine neue Bedeutung.

Äffische Regeln

Fitch hat das äffische Unvermögen zur Grammatik im Experiment getestet. Er hat Tamarin-Äffchen einfache Lautfolgen vorgespielt, so als wären es Sätze. Wurde nach einer Weile die Abfolge der Laute verändert, reagierten die Affen: Sie drehten sich zum Lautsprecher. „Eine einfache Grammatik können sie durchaus erkennen“, sagte Fitch. Wurden ihnen aber komplizierte Lautfolgen vorgespielt, reagierten sie auf eine Änderung nicht mehr; für sie hörte sich alles gleich an. Fitchs Fazit: Den Affen fehlt die Grammatik, die es uns ermöglicht, Sätze hierarchisch zu verschachteln. „Und die ist unerlässlich für Sprache“, sagte er.

Der Biologe geht noch einen Schritt weiter: „Unser Gehirn hat dafür vermutlich einen Verrechnungsmechanismus, das der Affen nicht.“ An dieser Stelle kommt Noam Chomsky ins Spiel. Der Linguist hat vor einem halben Jahrhundert die heftig umstrittene Theorie geprägt, nach der das menschliche Sprachtalent angeboren ist.

„Heute sind sich Sprachforscher weitestgehend einig, dass Sprache eine angeborene Komponente hat“, sagt die Psycholinguistin Barabara Höhle von der Universität Potsdam. „Der Streit geht darum, ob es sich um ein spezielles Sprachorgan oder aber um einen allgemeinen Mechanismus handelt wie Imitation oder die Fähigkeit zu Abstraktion."

Fitch argumentiert mit Chomsky, dass unser Sprachtalent auf dem unbewussten Wissen von den Regeln beruht, auf die sich alle komplizierten Grammatiken dieser Welt zurückführen lassen. Die sind so komplex, dass sie nicht erlernt werden können. Es ist diese Universalgrammatik, die uns die Sprache ermöglicht, nicht aber den Affen.

Elke Binder

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false