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Gesundheit: Sprechtraining für Studierende: Wenn sie nicht gestorben sind ... - Gegen tödliche Langeweile in Seminaren

"Bitte schön!" Dozent Andreas Hartmann lächelt verschmitzt und eilt zur Videokamera.

"Bitte schön!" Dozent Andreas Hartmann lächelt verschmitzt und eilt zur Videokamera. Eine Studentin hat sich auf ihre Selbst-Präsentation vorbereitet. "Ja, ich bin Nevin Sözbir, und ...". Die angehende Lebensmitteltechnologin spricht über ihren Weg zu diesem Studienfach, ihre beruflichen Ziele, welche Werte für sie zählen und was sie gut kann. Sieben andere Studenten in dem Seminar an der Technischen Fachhochschule Berlin machen derweil Kreuzchen auf einem Formblatt. Der Anfang hätte origineller sein können, andererseits hat sie frei gesprochen und die Zuhörer angesehen - wenn auch zumeist die auf der linken Seite. Um den roten Faden nicht zu verlieren, beschleunigte sie die Sprechgeschwindigkeit, um den Vortrag aufzulockern, streute sie Anekdoten ein.

Es geht auch mit mehr Action

Nichts prägt den Uni-Alltag so sehr wie tödlich langweilige Referate, gehalten von temperamentlosen aber geschwätzigen Kommilitonen. Mit dem Esprit einer Schnecke walzen sie den Inhalt eines Aufsatzes 90 Minuten lang aus, während das Publikum ihnen am liebsten einfach den Ton abstellen würde. Ja, es ist wahr, die Wissenschaft ist kein Action-Film und Inhalt geht vor Form. Aber geht es nicht dennoch anders? An einer Reihe von Berliner Hochschulen und Einrichtungen können Studierende lernen, ihren Kommilitonen das Schlimmste zu ersparen.

Die Studenten im Seminar der Technischen Fachhochschule kennen sich nur flüchtig, deswegen ist das Referat der Studentin über sich selbst einem richtigen Vorstellungsgespräch vergleichbar. Die Studenten sollen hier lernen, mit diesem Rampenlichtgefühl umzugehen. Der Kurs heißt "Vorbereitung auf das Berufsleben", und stellt in einer Mischung aus Vorlesung, Seminar und Übung die "Bausteine zur sozialen und humanistischen Kompetenz" vor. Viele andere meiden solchen Stress. Gerade die aufgelockerte Studienstruktur von Universitäten lädt dazu ein, sich zu drücken.

In "kommunikationslastigen" Studiengängen, etwa beim Kommunikations- oder Produktdesign der Hochschule der Künste und der Kunsthochschule Weißensee, gehört Präsentationstraining zum Studienprogramm. Anderen Universitäten und Hochschulen bieten - meist nur für Immatrikulierte und Mitarbeiter - zusätzliche Seminare an. An der Freien und der Technischen Universität sind Präsentationsseminare in den zentralen Career-Service eingebettet. An der Evangelischen Fachhochschule gehört Präsentations- und Moderationstechnik dagegen sogar zu den Wahlpflichtfächern. "Es wird sehr stark nachgefragt, und wir haben Null Fluktuation," erzählt Dozent Peter Sauer. Von 40 Anmeldungen konnten nur 15 berücksichtigt werden.

Nach Nevins Präsentation im Kurs der TFH wird von allen Teilnehmern die Videoaufzeichnung ausgewertet: Keine fahrigen Gesten, keine gekreuzten Arme oder Beine. Der Vortrag wird als gut angesehen, so ist auch ihre Selbsteinschätzung. Ein vorsichtiger Kritiker merkt an, dass es vielleicht etwas zu schnell gesprochen war. Hartmann stimmt zu. Nevin relativiert: "Wenn ich schneller spreche, kann ich den roten Faden besser behalten." Ein Zuhörerin widerspricht: "Ich fand das nicht zu schnell."

Immer ein bisschen dazu lernen

Auch die Volkshochschulen bieten Kurse an oder auch private Stunden. Dabei üben die Teilnehmer so grundlegende Dinge, wie Wortanfang und -ende deutlich auszusprechen, die Vokale klingen und Konsonanten Akzente setzen zu lassen. Private Stunden sind zwar teurer, aber wenn in 90 Minuten Volkshochschulkurs sieben Leute sprechen üben, bleiben für jeden nur zehn Minuten. Für das gleiche Geld bekommt man auch zwei Stunden Einzelsitzung.

"Im Privatunterricht konfrontiere ich die Leute mit allen Pannen, vom Rampenlichtgefühl bis zur Manuskriptvorbereitung," erläutert Kraft-Eike Wrede, Pädagoge für Sprecherziehung. Einzelunterricht kann das Vortragen vor Gruppen jedoch nicht ersetzen, glaubt Hans Küpper, der an der Alice Salomon Fachhochschule Präsentation trainiert: "Der Einstieg gelingt besser in der Gruppe. Man muss auch mal auf die Bühne, und braucht die Gruppe als Gegenüber." Das Arbeitsfeld künftiger Pflegemanager etwa besteht nicht im künstlerischen Vortrag. Sie sollen ihre Mitarbeiter anweisen können, ohne dass sich ihre Stimme überschlägt.

"Das Wichtigste an solchen Kursen," sagt die TFH-Studentin Annett Kampe, "dass man hier übt, die Eigenschaften, die man hat auch noch positiv zu verkaufen." Kritiker dieser Seminare sehen dagegen eine Styling-Maschinerie am Werk, die aus hoffnungsvollen Individuen marktkonformen Personalvorrat macht. "Man muss ja kein Perfektionist werden," meint Kampe dazu, "aber immer ein bisschen was dazulernen und in die Persönlichkeit einbauen."

Mike Scheller

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