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Gesundheit: Springen zwischen den Kontinenten

Diese Doktoranden sind um ihre Aussicht zu beneiden: der Blick aus dem Seminarraum des Graduiertenkollegs "Gesellschaftsvergleich" schweift über die in der Sonne glitzernde Spree.Ob die Berufsaussichten für die jungen Sozialwissenschaftler ähnlich glänzend sind, wird sich bald herausstellen, denn die frischgebackenen Doktoren haben den Sprung in den Berufsmarkt unmittelbar vor sich.

Diese Doktoranden sind um ihre Aussicht zu beneiden: der Blick aus dem Seminarraum des Graduiertenkollegs "Gesellschaftsvergleich" schweift über die in der Sonne glitzernde Spree.Ob die Berufsaussichten für die jungen Sozialwissenschaftler ähnlich glänzend sind, wird sich bald herausstellen, denn die frischgebackenen Doktoren haben den Sprung in den Berufsmarkt unmittelbar vor sich.

Abschlußsitzung der Kollegiaten im Centre Marc Bloch am Schiffbauerdamm: rund zwanzig junge Soziologen, Ethnologen und Historiker haben sich versammelt, um Bilanz zu ziehen.Hinter ihnen liegen drei Jahre gemeinsamer Arbeit."Besonders dankbar bin ich dem Kolleg, daß ich keine Fachidiotin geworden bin", resümiert eine Teilnehmerin.Spezialistentum sollen die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Land Berlin finanzierten Seminare für Doktoranden verschiedener Fachrichtungen verhindern.Daß das Nebeneinander sehr verschiedener Disziplinen mit völlig unterschiedlichen Standards nicht immer einfach war, kommt auch zur Sprache."Bei meinen Fragen zu manchen Theorien haben die Historiker gegähnt, aber mir ging ein Licht nach dem anderen auf", sagt eine Ethnologin.

Genau hier setzte das Konzept des Doktorandenseminars an, erläutert der Koordinator Armin Triebel.Bei allen unterschiedlichen Ansätzen der drei Disziplinen vereinen die Promovierenden zwei gemeinsame Anliegen: die Frage nach kollektiven Identitäten und der Gesellschaftsvergleich.Der Ruf nach einer internationalen Wissenschaft ertönt angesichts der allgegenwärtigen "Globalisierung" zwar immer lauter, wird aber selten tatsächlich umgesetzt."Die wenigsten Doktorarbeiten in Deutschland sind wirklich systematisch vergleichend", sagt der Soziologe und Sprecher des Kollegs, Martin Kohli.Dies zu ändern haben sich neun Hochschullehrer der Freien Universität, der Humboldt-Uni und des Centre Marc Bloch zusammengetan.Soeben wurden die Bewerber zum dritten Durchgang des Kollegs ausgewählt: nur zwölf von 67 Kandidaten wurden angenommen - in den kommenden drei Jahren werden weitere Stipendiaten als Gäste hinzustoßen.Mit dem Elitenbegriff hat Martin Kohli keine Probleme."Wir können nur die Besten fördern."

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft läßt sich das Graduiertenkolleg rund 300 000 Mark in drei Jahren kosten.Kritiker befürchten, die Universitäten würden das Engagement der DFG als Vorwand nutzen, im Etat der Universitäten noch mehr Mittelbaustellen abzubauen, um den Sparauflagen nachzukommen.Doch der Erfolg der Absolventen gibt der DFG recht: die Doktorarbeiten werden deutlich schneller fertig, und immerhin 52 Prozent der Postgraduierten verbleiben laut einer DFG-Statistik in der Forschung.

Das 1992 begonnene Kolleg ist eines der reisefreudigsten der Berliner Graduiertenkollegs.Feldforschungen und Recherchen rund um den Globus sind für die meisten Arbeiten unverzichtbar.Den Historiker Sebastian Conrad zog es nach Tokio.Sein Vergleich gilt der Geschichtsforschung in Deutschland und Japan nach dem Zweiten Weltkrieg.In Japan mit seiner marxistisch orientierten Geschichtsforschung, so ein Ergebnis des Vergleichs, wurde die Vergangenheit erheblich kritischer als hierzulande aufgearbeitet.

Die Ethnologin Susanne Brandt erforscht den Wandel der Geschlechterbeziehungen in China und Taiwan.Insgesamt ein Jahr hat sie auf asiatischen Fischerinseln verbracht und dafür einige Strapazen auf sich genommen."Am schlimmsten waren die hygienischen Zustände und die ständige Überwachung der chinesischen Parteifunktionäre", erinnert sie sich.Ihre Ergebnisse überraschen: trotz Kommunismus und propagierter Frauenbefreiung bestehen in China traditionellere Rollenbilder als im kapitalistischen Taiwan, wo stets ein konservatives Frauenbild gefordert wurde.

Dörfliche Strukturen vergleicht auch der Soziologe Kai Brauer anhand von Bauernfamilien in Iowa (USA) und Mecklenburg.Während in den USA trotz Modernisierung Gemeinschaften wichtig sind, werde in den neuen Bundesländern versucht, Familienbetriebe wiederzubeleben - mit wenig Erfolg."Die familiären Traditionen sind nach vierzig Jahren Kollektivierung abgerissen und ehemalige Genossenschaften weit erfolgreicher als Individualbetriebe", so Brauers Analyse.

Bei der Abschlußdiskussion reden die Kollegiaten Tacheles.Die Arbeit mit Professoren verschiedener Fakultäten habe ihre Vorteile."Es wäre aber schön, wenn die Professoren sich etwas mehr Zeit nehmen und nicht immer gleich nach der Sitzung zum nächsten Termin rasen würden", wünscht sich eine Doktorandin.Auch wenn manchen die zwei wöchentliche Termine, Oberseminar und Colloquium, als zu viel Aufwand erscheinen, herrscht über die Vorteile der Gemeinschaftlichkeit Einigkeit.Und die trägt auch außerhalb der Seminarräume, wie die Frage am Sitzungsende verrät: "Wer kommt noch mit auf ein Bier?" Eine der meistgestellten Fragen im Kolleg.Hier könnte man sicher auch Betrachtungen zur kollektiven Identität der Graduierten anstellen - aber von Wissenschaft möchte in der Kneipe eigentlich keiner mehr reden.

Die Kollegiaten bereiten eine Tagung vor: "(Deutsche) Vereinigungskrisen im Gesellschaftsvergleich" am 25.und 26.September im Wissenschaftszentrum (Reichpietschufer 50) und im Französischen Dom am Gendarmenmarkt.Informationen unter: Telefon 85 00-22 22.Aktuelle Projekte werden in einem Sammelband vorgestellt: Die Pragmatik des Gesellschaftsvergleichs, hrsg.von Armin Triebel, Leipziger Universitätsverlag 1997, 275 Seiten, 60 DM.

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