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Gesundheit: Stammwähler und Stammzellen

Die Forschung mit Embryonen ist im US-Wahlkampf auf die politische Agenda gerückt

Vor drei Jahren traf US-Präsident George W. Bush in seiner ersten Fernsehansprache die, wie er es nannte, „womöglich wichtigste Entscheidung meiner Amtszeit“: in welchem Umfang nämlich Bundesmittel in die umstrittene Stammzellforschung fließen sollten. Nun schlägt die Debatte um Stammzellen abermals hohe Wellen. Denn im amerikanischen Wahlkampf geht es immer öfter um jene Alleskönner, die sich im Körper zu fast jedem Gewebe entwickeln können.

Mediziner hoffen, damit eines Tages beeinträchtigtes Gewebe regenerieren und Krankheiten wie Alzheimer, Diabetes, Krebs oder Rückenmarksverletzungen bekämpfen zu können. Zwar finden sich Stammzellen überall im Körper, wo sie helfen, Gewebe zu erneuern. Doch genügt vielen Forschern diese Fundgrube nicht.

Adulte Zellen, behaupten sie, seien bei weitem nicht so vielseitig wie jene, die sich aus befruchteten Eizellen gewinnen lassen. Die Sache hat indes einen Haken: Um diese omnipotenten Zellen zu gewinnen, müssen sie Embryonen zerstören.

Nicht nur in den Augen christlich-konservativer Kreise, die zu Bushs wichtigster politischer Basis gehören, ist dies eine Grenzüberschreitung. Der US-Präsident lavierte sich daher zunächst geschickt aus der Zwickmühle: Staatliche Gelder würde es nur noch für die Forschung an den bereits vor drei Jahren bestehenden 78 Stammzelllinien geben, nicht aber für neu geschaffene. Herausforderer John Kerry verspricht jetzt, diese Beschränkung aufzuheben. „In Amerika opfern wir die Wissenschaft nicht der Ideologie“, sagte er in einer Radioansprache.

Eine der Hauptakteurinnen in der Debatte ist Nancy Reagan, die Frau des Ex-Präsidenten Ronald Reagan, der im Juni dieses Jahres nach einer langjährigen Alzheimer-Erkrankung starb. Sie wirbt schon lange für eine Lockerung der strikten Beschränkungen der Stammzellforschung. Doch hielt sie sich mit offener Kritik an George W. Bush bisher zurück. Das aber erledigte kürzlich ihr Sohn Ron Reagan. Beim Bostoner Nominierungsparteitag der Demokraten plädierte er schlicht dafür, im November „für die Stammzellforschung zu stimmen“.

Als das republikanische Lager erkannte, dass Herausforderer Kerry mit solchen Auftritten punktete, bliesen die Strategen zum Gegenangriff. Laura Bush, deren erklärter Vorsatz bislang lautete, sich nicht politisch zu äußern, verteidigte vergangene Woche die Stammzellpolitik ihres Gatten. Rons Halbbruder Michael Reagan, Kommentator für den konservativen Fernsehsender „Fox“, distanzierte sich von dessen Äußerungen.

Ob das Leben erst mit dem Wachsen des Fötus in der Mutter oder bereits mit der Befruchtung einer Eizelle beginnt, ist eine Weltanschauung. Die embryonale Stammzellforschung erscheint manchem als einmalige Chance, todbringende Krankheiten zu bekämpfen. Embryonen ließen sich zuhauf in Kühlhäusern von Fruchtbarkeitskliniken finden: überzählig, übrig geblieben nach In-Vitro-Befruchtungen. Früher oder später würden sie ohnedies entsorgt.

Andere sehen in der Prozedur dagegen nur die Zerstörung von Leben mit hohem Risiko und ungewissem wissenschaftlichen Nutzwert. So muss sich auch Reagans Witwe vorhalten lassen, dass Alzheimer eine das gesamte Gehirn betreffende Krankheit ist, die sich wohl kaum durch lokale neuronale Regeneration heilen lässt. Bislang wurde noch keine Stammzelltherapie klinisch getestet.

Dennoch kann die Forschung mit durchaus überraschenden Ergebnissen aufwarten. So hat der an der Stanford University lehrende Neurowissenschaftler Gary Steinberg kürzlich durch einen Schlaganfall geschädigte Gehirnareale von Ratten mit menschlichen Stammzellen regeneriert. Unerwarteterweise wehrte das Nagerhirn die artfremden Eindringlinge nicht ab. Mehr noch: Über chemische Signale fanden die Zellen ihren Weg zielstrebig zu der lädierten Stelle. Doch die Stammzellen, die Steinberg verwendete, entstammten nicht Embryonen, sondern abgetriebenen Föten. Auch er unterstützt indessen die embryonale Stammzellforschung: „Ich glaube, Bushs Einschränkungen hindern uns, innovative und wichtige Forschung zu betreiben.“

Die Bedenken enden jedoch nicht bei der Zerpflückung der Embryonen. Wer so Stammzellen gewinnt, will zudem Klone schaffen. Denn um einen Patienten zu behandeln, so der Plan, soll das Erbgut eines Embryos entnommen und durch das Erbgut des Patienten ersetzt werden. Anschließend werden aus dem neu entstandenen Embryo neue Stammzellen gewonnen. Diese Zellen stößt das Immunsystem dann nicht mehr ab, hoffen Wissenschaftler.

In Großbritannien hat die zuständige Behörde jetzt erstmals einen Antrag auf dieses „therapeutische Klonen“ genehmigt. In Deutschland ist diese Methode, wie in den meisten europäischen Ländern, verboten. Der Mediziner Miodrag Stojkovic von der britischen Universität Newcastle aber, der lange Jahre in München forschte, will damit nun Möglichkeiten finden, Diabetes zu bekämpfen. Innerhalb von fünf Jahren, glaubt er, wird er bereits die ersten Patienten mit Stammzellen therapieren.

Die amerikanische „Juvenile Diabetes Research Foundation“ hat soeben einen Bericht zu Bushs Stammzellpolitik veröffentlicht. Demnach stehen nur 21 der 78 förderwürdig erklärten Zelllinien in den USA für Forschungszwecke zur Verfügung. Außerdem seien diese nicht so ergiebig wie jene Linien, die seither geschaffen wurden.

Doch Präsident Bush, der John Kerry vorwirft, sein Fähnchen nach dem Wind zu drehen, kann es sich politisch nicht leisten, so kurz vor der Wahl als wankelmütig zu gelten. Deshalb ist die Hoffnung gering, dass er seine Haltung ändern wird. Kerry dagegen versucht, sich als Pragmatiker zu profilieren, der den Verheißungen von Technik und Forschung Glauben schenkt – im Gegensatz zu einem als wissenschaftsfeindlich angeprangerten Präsidenten, der auch die Klimaerwärmung vernachlässige und seine wissenschaftlichen Beiräte mit genehmen Köpfen besetze.

Dabei bleibt freilich die Frage offen, inwieweit Bushs spärliche Fördergelder die Stammzellforschung in den USA überhaupt aufhalten. Denn auch ohne Fördermittel schreitet die kommerzielle Forschung mit dem Segen des Gesetzgebers voran. Auch die US-Bundesstaaten können solche Projekte fördern. So dürfen im November die Kalifornier nicht nur zwischen Bush und Kerry wählen, sondern auch darüber abstimmen, ob sie künftig die Stammzellforschung mit drei Milliarden Dollar fördern wollen.

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