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Hand anlegen. Rund 40 Prozent der Deutschen haben Bluthochdruck. Regelmäßige Messungen und ein veränderter Lebensstil können viel bewirken – auch ohne Pillen. Foto: ddp

© ddp

Gesundheit: Stiller Killer

Die meisten Menschen wissen gar nicht, dass sie Bluthochdruck haben. Sie fühlen sich großartig Doch die Folgen sind Schlaganfall oder Herzinfarkt. Im November wollen zahlreiche Vorträge aufklären

„Bitte machen Sie den Oberarm frei.“ Die schwarze Blutdruckmanschette fühlt sich kühl auf der Haut an. Dietrich Andresen, Direktor der Klinik für Kardiologie in den Vivantes Kliniken Am Urban und im Friedrichshain, drückt den Klettverschluss zusammen. „Man misst am Oberarm, weil der in gleicher Höhe wie das Herz ist“, erklärt er. Dann pumpt er Luft in die Manschette. Sie presst den Arm zunächst sanft, dann bestimmt zusammen. Andresen löst den Druck und blickt auf die Skala, zwei Mal. „135/80“, sagt er. „Ein normaler Wert. Vielleicht etwas erhöht, weil sie gerade hier sitzen, mir zuhören, Fragen stellen und daraus einen Artikel machen. Wären sie entspannt zu Hause, hätten Sie vermutlich um die 120/80. Wir nennen das den Weißkitteleffekt. Aber Sorgen brauchen Sie sich nicht zu machen.“

Andere schon. Zwischen 30 und 40 Prozent der Bevölkerung in Deutschland haben einen zu hohen Blutdruck, sagt die Deutsche Herzstiftung, deren Vorstand Dietrich Andresen angehört. Deshalb hat sie das Thema zum Schwerpunkt ihrer diesjährigen bundesweiten Herzwochen gemacht. Noch bis Ende November bieten Krankenhäuser – auch in Berlin – zahlreiche Vorträge zum richtigen Umgang mit Bluthochdruck an (siehe Kasten).

Was ist überhaupt Blutdruck – und welche Funktion hat er? „Das Herz pumpt Blut in den Kreislauf“, erklärt Dietrich Andresen, „und dabei entsteht ein Druck in den Blutgefäßen. Umso höher er ist, umso leistungsfähiger und wacher sind wir. Evolutionär gesehen ist das eine nützliche Reaktion auf Gefahren und Bedrohungen.“ Denn so werden Flucht- und Abwehrreflexe in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. Der Blutdruck ist durch einen oberen (systolischen) und einen unteren (diastolischen) Wert definiert. Da das Herz sich zusammenzieht, fließt das Blut nicht kontinuierlich, sondern wellenförmig durch die Gefäße, mit einem Wellenberg und einem Wellental. Beide Werte werden in der Einheit „mmHg“ ausgedrückt – hundert mmHg ist der Druck, den eine hundert Millimeter hohe Quecksilbersäule ausübt.

Als überhöht gilt der Druck, wenn er auch nach mehrtägigen Messungen konstant über 140/85 mmHg liegt. Die Gründe für diese auch „arterielle Hypertonie“ genannte Störung können vielfältig sein. Der Lebensstil spielt eine Rolle, ebenso das Verschwinden der Grenze zwischen Arbeit und Freizeit. Aber mit zunehmendem Alter wächst man auch in einen höheren Blutdruck hinein. Denn die Gefäßwände verlieren an Elastizität und werden steifer, bieten also dem Blut mehr Widerstand, wodurch sich der Druck erhöht. Einen „natürlichen Prozess mit unnatürlichen Nebenwirkungen“ nennt das Andresen. Der Herzmuskel selbst wird immer schwächer, kleine Gefäße, etwa im Gehirn, können ein- oder gar durchreißen. Dann kommt es zum Schlaganfall mit Lähmungen an Armen und Beinen sowie Seh- und Sprachstörungen. Andere Folgen sind Herzinfarkt und chronische Verschlechterung der Nierenfunktion.

Das Problem: Die meisten Menschen wissen gar nicht, dass sie einen erhöhten Blutdruck haben. „Im Gegenteil“, sagt Andresen. „Sie fühlen sich großartig, sind bei guter Laune, brauchen wenig Schlaf, erledigen viel Arbeit, sind beruflich erfolgreich.“ Den Bluthochdruck spüren sie nicht. Deshalb nennt man ihn auch „Silent Killer“ – im Unterschied übrigens zu niedrigem Blutdruck. Der macht weitaus weniger Probleme, weil er keine Folgeerkrankungen hervorruft und epidemiologisch auch viel seltener ist. „Sie können einen Wert von 90/70 haben, aber wenn es ihnen gut geht, macht das gar nichts“, sagt Andresen. Die Deutsche Herzstiftung empfiehlt, den Blutdruck bei Schuleintritt, im Jugendalter und im früheren Erwachsenenalter zu messen, dann ab 40 jährlich, ab 50 halbjährlich. Wer allerdings weiß, dass in seiner Familie eine Veranlagung zu Bluthochdruck herrscht, sollte frühzeitig zum Hausarzt gehen. Der überweist ihn an einen Internisten oder Kardiologen.

Bei der Therapie verfolgt man inzwischen ein ganzheitliches Konzept, versucht also primär, den Lebensstil des Patienten zu ändern: weniger Alkohol, leichte Mittelmeerkost, beim Essen nicht nachsalzen, drei Mal die Woche 30 Minuten Ausdauersport – und natürlich regelmäßige Blutdruckmessungen. Selbst messen ist besser, da es den „Weißkitteleffekt“ ausschaltet. Ein Blutdruckmessgerät kostet um die 30 Euro und ist im Sanitärhandel, bei Apotheken oder auf eBay erhältlich. Dietrich Andresen empfiehlt außerdem die Stiftung Warentest.

Sinkt die Hypertonie so nicht, muss auf Medikamente zurückgegriffen werden. Aber: „Wir haben heute sehr viele gute Wirkstoffe, die an verschiedenen Stellen blutdrucksenkend eingreifen, indem sie Flüssigkeit entziehen oder Gefäße weiten“, sagt Andresen. Allerdings nehmen die Patienten die Pillen nicht gerne, da sie deren Notwendigkeit nicht sehen – sie fühlen sich ja gut. Die sogenannte Compliance-Rate nimmt ab mehr als einer Pille am Tag drastisch ab. Deshalb setzt man heute zunehmend eine Kombinationstherapie ein, bei der eine einzige Pille bis zu drei Wirkstoffe enthält.

Hilft das alles nichts mehr, hilft nur noch eine Nierengefäßablation. Andresen hat das Verfahren vergangenes Jahr erstmals am Urbankrankenhaus durchgeführt – an einem 45-jährigen Patienten mit einem Spitzenwert von 290 mmHg. Aber das sind Extremfälle. Die meisten Menschen müssen es erst gar nicht so weit kommen lassen, wenn sie eine einfache Regel beherzigen, die gerade beim Bluthochdruck gilt: Weniger ist mehr.

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