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Gesundheit: Stoff auf Rezept

Heroin statt Methadon, um Schwerabhängigen zu helfen? Ergebnisse einer groß angelegten Studie sprechen dafür

Lächelnd sitzt Sven-Uwe in einer Hamburger Drogenambulanz, wo er an der deutschen Heroinstudie teilnimmt. Er hat das Gefühl, das große Los gezogen zu haben. Aus einem Karteikasten mit mehreren hundert Briefumschlägen hat er einen gezogen, der ihn der Heroingruppe zuteilt, nicht der Kontrollgruppe „Methadon“. Denn der gelernte Schreiner, seit 20 Jahren opiatabhängig und schwer krank, hat wie fast alle Probanden bereits mehrere gescheiterte Versuche einer Ersatztherapie mit Methadon hinter sich.

Die Ergebnisse der deutschen Heroinstudie wurden jetzt auf einem Symposium des Bundesministeriums für Gesundheit in Köln vorgestellt. Auf Grundlage der Studie soll entschieden werden, ob es in Deutschland künftig Heroin auf Rezept geben wird. Für viele käme eine von den Krankenkassen finanzierte Heroingabe einer Kapitulation vor der Drogensucht gleich. Andere sehen in der Heroingabe unter ärztlicher Aufsicht eine Möglichkeit, Schwerabhängige vor Verelendung und sozialer Isolation zu bewahren, die Beschaffungskriminalität zu senken und über die Bindung an Drogenambulanzen den Weg zu weiteren Hilfen zu ebnen.

Noch in diesem Jahr, vermuten Experten, wird eine Entscheidung fallen, ob Suchtmediziner künftig hochreines Heroin verschreiben dürfen. Dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte liegt bereits ein entsprechender Eilantrag vor, die Substanz als Pharmakon zuzulassen. Aber es bedarf zunächst eines Gesetzes, um Heroin überhaupt als Medikament anwenden zu dürfen.

Die Zeichen für eine Zulassung von Heroin auf Rezept stehen günstig. Denn die deutsche Heroinstudie mit mehr als tausend Probanden hat ergeben, dass langjährig Süchtigen effektiver geholfen werden konnte durch hochreines Heroin, das sie sich unter medizinischer Aufsicht in Drogenambulanzen injizierten, als durch oral verabreichtes Methadon.

1015 schwerabhängige Probanden aus sechs Städten (Hamburg, Köln, Bonn, Frankfurt, Karlsruhe und München) sind nach dem Zufallsprinzip der Methadon- oder der Heroingruppe zugeteilt worden. Sie mussten seit wenigstens fünf Jahren opiatabhängig sein, in schlechter körperlich-seelischer Verfassung und vergeblich an Heroinsubstitutions- oder Entzugsprogrammen teilgenommen haben. Achtzig Prozent waren Männer. Die Probanden hatten im Mittel um das 20. Lebensjahr mit Heroin begonnen und waren bei Studienbeginn im Durchschnitt 36 Jahre alt. Heroin und Methadon wurden individuell dosiert (maximal ein Gramm Heroin am Tag). Die Patienten der Methadongruppe konnten nach einem Jahr zu Heroin wechseln (Switchers). Allen wurden psychosoziale Unterstützung und Drogenberatung angeboten.

Nach einem Jahr hatten sich in der Heroingruppe noch 67,2 Prozent an das Studienprotokoll gehalten, in der Methadongruppe nur 40 Prozent. Unter Heroin hatte sich der gesundheitliche Zustand bei 80 Prozent deutlich gebessert, unter Methadon bei 74 Prozent. 69 Prozent in der Heroin- und 55 Prozent in der Methadongruppe gaben an, auf Straßenheroin zu verzichten. Die Unterschiede waren statistisch signifikant. Außerdem begingen die Probanden bei heroingestützter Behandlung weniger Ladendiebstähle und Raub und dealten weniger.

In der Heroingruppe traten aber auch deutlich mehr schwere Nebenwirkungen auf als unter Methadon (32,7 versus 11,1 Prozent), vor allem Atemschwäche, Krämpfe und allergische Reaktionen, wie sie bei Opiatkonsum seit langem bekannt sind. Kein Proband starb daran.

434 Teilnehmer aus der ersten Studienphase nahmen an der zweiten teil, die über weitere zwölf Monate lief: 344 aus der Heroingruppe und 90 Probanden, die von Methadon zu Heroin gewechselt hatten. Die Ansprechrate (gesundheitlicher Zustand und Verzicht auf Straßenheroin) blieb – nach vorläufiger Auswertung – in der Heroingruppe mit 70 Prozent stabil, bei jenen, die gewechselt hatten, stieg sie auf dieses Niveau an. Hatten zu Beginn der Studie nur 16 Prozent eine Arbeit, waren es nach 12 Monaten in beiden Gruppen 27 Prozent und nach zwei Jahren 29 und 27 Prozent (Heroingruppe und Methadon-Heroin-Switchers).

„Das Studienergebnis belegt, dass ein Teil der Schwerabhängigen auch mit einem Methadonprogramm wieder erreicht werden konnte, dass aber die heroingestützte Behandlung einen größeren Anteil ansprach und effektiver war“, sagt Uwe Verthein vom Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung (ZIS) an der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf, das die Studie leitete.

Diejenigen, die von Methadon auf Heroin gewechselt haben, erreichten in den darauf folgenden 12 Monaten den Level der Heroingruppe, deren Zustand sich weiter stabilisiert hatte. „Das ist ein sehr ermutigendes Ergebnis“, so Verthein. Die Heroinsubstitution, meist mit Methadon, bleibe die Methode der ersten Wahl für die Behandlung von Opiatabhängigen, die einen Drogenentzug nicht oder noch nicht schaffen, sagt Christian Haasen vom ZIS klar. Es gehe bei der Heroingabe unter ärztlicher Aufsicht darum, Schwerabhängigen zu helfen, die entweder Programme zur Methadonsubstitution abgebrochen hätten oder nach Entzug rückfällig geworden seien und die man anders zunächst nicht erreichen könne.

Bis Juni 2006 können Teilnehmer der Studie, die das möchten, wie bisher in den Drogenambulanzen betreut werden. Wie ein Damoklesschwert hängt ein Ende des Modellprojekts über den Probanden. „Die Einstellung des Projektes wäre für mich ein Rückschritt in die Steinzeit, in Depressionen, Illegalität und Krankheiten“, sagt ein Patient.

In der Schweiz, den Niederlanden und England hat sich die heroingestützte Therapie schon außerhalb von Studien etabliert. Dort hat man die Erfahrung gemacht, dass sich ein Teil der Süchtigen über diesen Weg später zu Heroinersatz- oder Entzugstherapien motivieren lässt.

Nicola Siegm, -Schultze

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