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Gesundheit: Streit um Knochenmark

Das Institut für Qualität im Gesundheitswesen nimmt die Transplantation von Stammzellen ins Visier

Wie sinnvoll sind Knochenmarkübertragungen bei akut Leukämiekranken, wenn die Spender nicht mit dem Kranken verwandt sind? Um diese Therapieform ist ein heftiger Streit entbrannt. Ein Vorbericht des Kölner Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat der Therapie jetzt eine katastrophale Diagnose gestellt. Es liege „kein Beleg eines Nutzens“ gegenüber einer konventionellen Chemotherapie vor. „Entsprechende Studien wurden nicht identifiziert“, heißt es im Fazit des Vorberichts, der vom gemeinsamen Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (G-BA) in Auftrag gegeben worden.

Ein Urteil, das für Aufregung sorgt. Nur 30 Prozent der Leukämiekranken, für die ein Spender gesucht wird, haben heute Geschwister, die aufgrund wichtiger Merkmale des Immunsystems genau genug zu ihnen passen, um als Spender in Frage zu kommen. Alle anderen Kranken sind auf eine Fremdspende angewiesen.

Experten laufen Sturm gegen das von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt gegründete Kölner Instituts, das vor allem die Anwendung der Knochenmarkspende bei Akuter Myeloischer Leukämie (AML) oder Akuter Lymphatischer Leukämie (ALL) bei Erwachsenen in Frage stellt. Von „gravierenden Fehleinschätzungen“, die schwer kranke Patienten zu gerichtlichen Schritten zwingen könnten, ist die Rede. „Wir üben massive Kritik an diesem Bericht“ sagt Gerhard Ehninger von der Uniklinik Dresden, Geschäftsführender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie.

Das Fachgebiet des Gründers der Deutschen Knochenmarkspenderdatei ist tangiert: Stammzelltransplantationen bei akuten Leukämien Erwachsener. Mit seiner Einschätzung werde das IQWiG der Heterogenität der Leukämie-Erkrankungen nicht gerecht, kritisiert die Fachgesellschaft. „Bei einigen Formen sind sieben von zehn Patienten nach einer Chemotherapie geheilt, bei anderen überleben sie damit allenfalls das erste Jahr“, so Ehninger. Bei der Abschätzung der Chancen können sich die Mediziner heute auf molekularbiologische und zytogenetische Befunde stützen. Vor allem bei AML- und ALL-Patienten, die die Blutkrebsspezialisten als Hochrisikopatienten einstufen, wird heute meist die Übertragung von Knochenmark gegenüber der alleinigen Therapie mit Zellgiften vorgezogen.

Die Stammzelltransplantation ist allerdings riskant, viele Patienten überleben sie nicht. Zur Vorbereitung werden beim Kranken auch gesunde Zellen des Knochenmarks abgetötet, und nach der Übertragung der fremden Zellen richtet sich das Immunsystem des Spenders zum Teil massiv gegen den Empfänger. Die Überlebenswahrscheinlichkeit könne damit bei einigen Krankheitsformen jedoch um 30 Prozent erhöht werden, sagt der Rostocker Hämatologe Mathias Freund. Wichtige Studien seien bei der Abfassung des Berichts vom IQWiG von vorneherein ausgeschlossen oder nicht gebührend berücksichtigt worden.

Wissenschaftlich vergleichsweise gut untersucht sei nur die Transplantation des Knochenmarks von Familienmitgliedern, hält das IQWiG dagegen – die jedoch in der Mehrheit der Fälle nicht in Frage kommt. Für alle, die auf eine Fremdspende angewiesen sind, wurde in Deutschland in den letzten Jahren eine weltweit führende Knochenmarkspenderdatei aufgebaut. „Mit 2,6 Millionen Spendern bestreiten wir inzwischen rund ein Viertel der weltweit nötigen Spenden“, sagt Ehninger.

Werden sie nun nicht mehr gebraucht? „Das IQWiG fordert nicht das Ende der Therapie, wohl aber kontrollierte Studien, die in der Lage sind, die Überlegenheit der riskanten und teuren Transplantationsbehandlung gegenüber der Chemotherapie zuverlässig zu belegen“, sagt Stefan Lange, stellvertretender Leiter des IQWiG und für den Vorbericht verantwortlich. Diese Forderung gehe an der Wirklichkeit vorbei und sei dogmatisch, kontert die Fachgesellschaft. Es gebe einerseits Studien, die die 30-prozentig höhere Überlebenswahrscheinlichkeit nach der Transplantation von Geschwister-Stammzellen gegenüber einer Chemotherapie belegen. Andere zeigten die identischen Ergebnisse der Familien- und Fremdspende. Man könne indirekt daraus auf eine Überlegenheit der Fremdspende gegenüber der Chemotherapie in diesen Fällen schließen. „Kein Patient wäre unter diesen Umständen bereit, seine Einwilligung zu einer Studie zu geben, in der er per Zufall der Chemotherapiegruppe zugeteilt werden könnte“, sagt Ehninger. Eine solche Studie sei ethisch fragwürdig.

Man müsse die Patienten für eine solche Untersuchung keineswegs nach dem Zufallsprinzip verteilen, wenn das nicht möglich ist, entgegnet Lange. Und auch er macht ethische Überlegungen geltend: „Unser Motiv ist nicht zuletzt der Patientenschutz. Die Stammzelltransplantation ist so belastend und riskant, dass sie nicht auf der schwachen Basis indirekter Vergleiche und kleiner Studien angesetzt werden sollte.“

Die Leukämie-Spezialisten pochen auf ihre Erfahrung. Es sei ein Unterschied, ob man 30 Jahre lang Leukämie-Patienten behandelt habe oder vier Monate lang die Studienlage sondiere. Lange erwidert, dass in die IQWiG-Arbeit externe Sachverständige einbezogen wurden, die Kranke behandeln.

Am 29. August soll die wissenschaftliche Erörterung des Vorberichts stattfinden. Bisher lägen dem Institut 40 schriftliche Stellungnahmen vor, sagte eine Sprecherin. Man habe Mitglieder der Fachgesellschaft schon in einem frühen Stadium der Arbeit kontaktiert. Der Diskussionsprozess habe nach Erscheinen eines Vorberichts bisher in allen Fällen zu Veränderungen in der endgültigen Stellungnahme des Instituts geführt. Eine Einflussnahme sei durchaus noch möglich.

Das bezweifeln die Leukämie-Experten. Sie verweisen auf den letzten Stein des Anstoßes, den das IQWiG am 17. Juli gab. Da ging es um die Diabetes-Therapie. Die negative Einschätzung, die das IQWiG zum Nutzen einer neuen Sorte kurz wirksamer Insuline, der Insulinanaloga, in der Behandlung des Altersdiabetes abgab, brachte den Gemeinsamen Bundesausschuss dazu, sie von der Erstattung auszuschließen, wenn sie teurer als die bewährten Präparate sind. Der Protest von Firmen, Verbänden und Patientenvertretern verfing nicht.

Damit hat der Ausschuss zum ersten Mal auf eine Bewertung der Qualitätsprüfer hin eine Gruppe von Medikamenten aus der Erstattung der Krankenkassen herausgenommen. Ein Präzedenzfall? An die 40 Aufträge zu Teilaspekten der Behandlung der großen Volkskrankheiten von Asthma über Bluthochdruck bis zu Depression und Demenz liegen in Köln derzeit zu Bearbeitung vor. Der Streit über den Nutzen neuer, aber auch vermeintlich längst abgesicherter Therapien wird weitergehen.

Adelheid Müller-Lissner

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