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Gesundheit: Studienplätze: Jedes Land kürzt für sich allein

In Berlin sind die 85 000 Studienplätze gefährdet und in Brandenburg wird es bis zum Jahr 2008, dem Höchstandrang der Studenten, weniger Studienplätze geben, als je geplant und mit Berlin verabredet worden war. Jedes Land streicht und spart an den Hochschulen auf seine Weise.

In Berlin sind die 85 000 Studienplätze gefährdet und in Brandenburg wird es bis zum Jahr 2008, dem Höchstandrang der Studenten, weniger Studienplätze geben, als je geplant und mit Berlin verabredet worden war. Jedes Land streicht und spart an den Hochschulen auf seine Weise. Und das ungeachtet aller Mahnungen des Wissenschaftsrats an beide Regierungen, Berlin und Brandenburg als eine Region zu begreifen und sich entsprechend abzustimmen.

Statt der einst zwischen Senator Manfred Erhardt und Brandenburgs Wissenschaftsminister Hinrich Enderlein vereinbarten Politik des Abbaus von Studienplätzen in Berlin und des Aufbaus von Studienplätzen in Brandenburg, gibt es heute nur noch eine Streichpolitik ohne Abstimmung zwischen den Ländern. 1993 galt noch: Berlin verringert die Zahl der Studienplätze von 115 000 auf 100 000 und Brandenburg baut seine drei Universitäten und fünf Fachhochschulen auf 34 000 Studienplätze aus. Als Ausbauziel wurde das Jahr 2000 angegeben. Heute hat Brandenburg erst knapp 20 000 Studienplätze wirklich geschaffen. Für die nächsten Jahre ist nur noch mit geringstem Zuwachs zu rechnen.

Neue Schätzung der Studentenzahlen

Wie immer müssen neue Schätzungen der Studentenzahlen zur Begründung der Sparpolitik herhalten. Ging Brandenburg noch bis vor kurzem davon aus, das während des Spitzandrangs mit 50 000 Studenten an den drei Universitäten und fünf Fachhochschulen des Landes zu rechnen sei, wird unter der neuen Ministerin Johanna Wanka (CDU) alles nach unten korrigiert.

Auf einer Tagung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) am Wochenende nannte Wankas Staatssekretär Christoph Helm jetzt die neuen Ausbauzahlen: Die 34 000 Studienplätze, die ursprünglich bis zum Jahre 2000 erreicht sein sollten, hat Brandenburg völlig abgeschrieben. Helm will von dem alten Maßstab nichts mehr wissen. Das Land plant für den Hauptandrang zwischen den Jahren 2006 bis 2010 jetzt nur noch mit 25 000 Studienplätzen. Und dabei soll es bleiben, weil nach dem Höhepunkt des Studentenandrangs der Abfall komme. Während des Höhepunkts soll es nur noch 40 000 Studenten geben und nach dem Abfall des Andrangs bis zum Jahr 2015 wird - oh Wunder - mit der schon heute vorhandenen Studentenzahl gerechnet: nämlich 32 000. So kann man Sparpolitik begründen, denn Studienplätze kosten Geld. Sie sind der eigentliche Maßstab für die Ausstattung einer Hochschule.

Helm räumte ein, dass die Haushaltssituation für den Bereich Hochschule Kultur und Forschung in seinem Land zur Zeit einen Tiefpunkt erreicht habe und er alle Kraft daransetzen müsse, um eine Trendwende zu erreichen. Das Land müsse das Kunststück fertigbringen, entgegen dem Trend zur allgemeinen Haushaltseinsparung die Ausgaben für die Wissenschaft hochzufahren, wenn es nicht weiterhin Schlusslicht in der Finanzausstattung unter den 16 deutschen Ländern bleiben wolle.

Der Rektor der Universität Potsdam, Wolfgang Loschelder, bezeichnete die Studienplatzpolitik "als Skandal". Die Folge dieser Sparpolitik ist an seiner Universität inzwischen ein ausufernder Numerus clausus: 40 Studiengänge haben Zulassungsbeschränkungen. Dabei braucht das Land mehr junge Leute mit akademischen Abschlüssen. "Aber eine Sparpolitik ohne Prioritäten macht es den Hochschulen unmöglich, das zu leisten, was das Land braucht."

Auch die Wirtschaft sieht diese Entwicklung mit Bauchschmerzen. Bernd Rissmann, der stellvertretende DGB-Vorsitzende des Bezirks Berlin-Brandenburg, erklärte: Beide Landesregierungen in Berlin und Brandenburg erfüllten nicht die Voraussetzungen, um der Bildung echte Priorität zu geben. Beide Länder setzten sich trotz anders lautender Sonntagsreden nicht genügend für das erklärte Ziel ein, in einer industriearmen Region in die Köpfe der jungen Menschen zu investieren. Rissmann betonte, dass sich Gewerkschaften und Unternehmer in dieser Einschätzung einig seien und versuchten einen entsprechenden Druck auf die Regierungen in Berlin und Potsdam auszuüben, um eine Trendwende zu erreichen.

Und wie sieht es in Berlin aus? Die Politiker preisen Berlin als Wissenschaftsmetropole. Aber in der Politik gelten bis auf den Ausbau von Adlershof zur Zeit so gut wie keine Prioritäten mehr: Der weitere Ausbau der Charité in Mitte ist gefährdet, für die akute Sanierung des FU-Klinikums Benjamin Franklin fehlen die Gelder, für die Stärkung der Fachhochschulen gibt es nicht einmal die Millionen, um der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft den dringend benötigten neuen Campus zu bauen. Und die 85 000 Studienplätze sind auch nicht mehr gesichert, weil in der Wissenschaft in diesem Jahr etwa 70 Millionen Mark fehlen. Die Bafög Erhöhung muss gezahlt werden, das Studentenwerk braucht wieder Millionen und der Pensionszuwachs sowie die Tarifsteigerungen fallen ins Gewicht.

Kein Wunder, dass den Hochschulpräsidenten die Zuversicht in die Berliner Politik abhanden gekommen ist. Der Präsident der Freien Universität, Peter Gaehtgens, spricht von einer "katastrophalen Politik". Es sei dringend geboten, in Berlin zu einer neuen Prioritätenentscheidung zu kommen, damit endlich den in Regierungserklärungen und Sonntagsreden proklamierten Zielen auch von der Politik entsprochen werde. Trotz aller Sparopfer, die die Hochschulen im Umfang von einer Milliarde Mark in den letzten Jahren erbracht hätten, müsse man der Öffentlichkeit auch immer wieder sagen, welche herausragenden Leistungen von der Wissenschaft erbracht würden. Die Berliner Hochschulen und Forschungsinstitute stünden nach dem letzten Ranking der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit einer Summe von 550 Millionen Mark an der Spitze aller Regionen in Deutschland.

Gaehtgens erklärte angesichts der katastrophalen Situation müsse man über alternative Finanzierungssysteme nachdenken, worunter er die Einwerbung von noch mehr Drittmitteln, eine stärkeres Engagement der Wirtschaft für die Hochschulen und die Erhebung von Studiengebühren versteht. Außerdem müsse man über ein "Notopfer Berlin" diskutieren, das heißt eine Bundeshilfe für die Hochschulen einfordern.

Verhandlungen über neue Verträge

Ausgerechnet in dieser kritischen Situation stehen in Berlin die Neuverhandlungen über die Fortschreibung der Hochschulverträge für die Jahre 2003 bis 2005 an. Staatssekretär Josef Lange aus der Berliner Senatsverwaltung kommentierte: "Die Hochschulhaushalte dürfen nicht zu Pensionskassen verkommen." Denn Berlins Hochschulen müssen die steigenden Pensionslasten aus ihren eigenen Haushalten aufbringen. Der Staatssekretär konnte aber keine Aussage darüber machen, wie der Zuwachs bei den Pensionslasten bis zum Jahre 2005 in Höhe von 35 Millionen Mark finanziert werden soll. Gibt es hier keinen Ausgleich, müssen wegen der Altersversorgung Studienplätze für die junge Generation gestrichen werden.

Nicht anders sieht es bei der Finanzierung des Generationenwechsels an den Hochschulen aus, der in den Jahren 2003 bis 2006 den Höhepunkt erreichen wird. Politiker und Hochschulpräsidenten träumen vom Aufbruch zu neuen Ufern. Woher aber das Geld kommen sollte, um die neu zu berufenden Wissenschaftler angesichts eines Ausstattungsbedarfs pro Professur zwischen 500 000 und 1,5 Millionen Mark in den Naturwissenschaften, der Medizin und den Ingenieurwissenschaften gewinnen zu können - diese Frage ließ Lange unbeantwortet. Hier hat die TU erste Schätzungen vorgelegt: 87 Millionen kosten die Neuinvestitionen zwischen den Jahren 2003 und 2005.

Nur in einem Punkt waren sich alle Teilnehmer auf dem Podium einig: Um zu Prioritäten für die Bildung zu kommen, bedarf es eines wachsenden Drucks der Öffentlichkeit und der Wähler auf die Politiker.

"Durch Kleinmachen wird man Großes nicht erreichen" - unter dieses Thema hatte die GEW die Podiumsdiskussion gestellt. Wie wahr. Vor kurzem hat der ehemalige Präsident der Stanford University, Gerhard Casper, gerade referiert, dass für seine Eliteuniversität in Kalifornien jährlich 2,2 Milliarden Dollar zur Verfügung stehen. Die Stanford University zählt nur 14 000 Studenten. 2,2 Milliarden Dollar sind fast doppelt soviel wie jene 2,2 Milliarden Mark, die der Berliner Senat jährlich den vier Universitäten und vier Fachhochschulen zur Verfügung stellt. Diese Summe muss für rund 130 000 Studenten in Berlin reichen.

Der Moderator der Podiumsdiskussion, Tagesspiegelredakteur Uwe Schlicht, wollte mit diesem Vergleich nicht die Vereinigten Staaten zum idealen Vorbild stilisieren, wohl aber stellte er die Frage: "Bleiben die beiden Länder Berlin und Brandenburg in der Hochschulpolitik unter ihren Möglichkeiten?"

Anne Strodtmann

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