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Gesundheit: Studieren geht über Probieren

Wer an klinischen Tests teilnimmt, setzt sich Gefahren aus. Aber medizinische Prüfungen bieten auch Chancen

Die Entscheidung musste Saskia Köhler (Name geändert) schnell treffen. Sollte ihr Sohn Luca, der gerade, nach nur 25 Schwangerschaftswochen mit ganzen 986 Gramm Geburtsgewicht, per Kaiserschnitt ans Licht der Welt befördert worden war, sofort an einer klinischen Studie teilnehmen? Das Frühgeborene war mit einem Herzfehler zur Welt gekommen. Eine Verbindung zwischen Lungenarterie und Aorta, die bei reifen Kindern mit dem ersten Atemzug stillgelegt wird, war noch da. Bleibt dieser Ductus arteriosus offen, drohen Belastung des Herzens und Überdurchblutung der Lunge.

Neben einer Operation können auch Medikamente helfen, die bisher eingesetzten bergen jedoch die Gefahr von Durchblutungsstörungen am Gehirn. In einer Studie an der Klinik für Neonatologie der Charité wurde gerade das als Schmerzmittel bekannte Präparat Ibuprofen bei Frühchen mit diesem Problem getestet. „Man wusste, dass es weniger Durchblutungsprobleme am Gehirn verursacht, doch es war ungeklärt, wie es sich auf den Lungenkreislauf auswirkt“, sagt Michael Opladen, Direktor der Klinik. Luca nahm an der Studie teil – und ist heute gesund und munter. Letzte Woche war der nun zehn Monate alte Säugling mit seinen Eltern Gast bei einer öffentlichen Veranstaltung der Charité zu der Frage „Der Patient im klinischen Experiment – Risiko oder Chance?“.

In einem Atemzug mit dem Wort „Patient“ verwandt, sorgt der Begriff „Experiment“ eher für Unbehagen. „Klinische Studien sind allerdings etwas ganz anderes als unkontrollierte Experimente“, versicherte auf der Patientenveranstaltung der Magen-Darm-Spezialist Bertram Wiedenmann, Vorsitzender des seit August 2002 bestehenden Koordinierungszentrums für Klinische Studien (KKS) der Charité. Dort wird derzeit ein Register aufgebaut, anhand dessen sich die Bevölkerung über die Studien informieren kann, die an der gesamten Charité laufen. Ab Herbst soll zudem einmal im Monat eine Info-Veranstaltung für Patienten stattfinden, in der Studien zu bestimmten Krankheiten vorgestellt werden.

„Versuchskaninchen“ sind Patienten, die daran teilnehmen, schon deshalb nicht, weil Medikamente erst bei Menschen erprobt werden, wenn umfangreiche vorklinische Studien vorausgegangen sind (siehe Infokasten unten). Um Risiken und Wirkung neuer Arzneien im Vorfeld zu testen, werden heute so weit wie möglich Versuche an Zellkulturen im Reagenzglas herangezogen. Auch echte Versuchskaninchen gibt es deshalb immer weniger. In vielen Bereichen aber braucht man Tierversuche nach wie vor, um die Risiken für den Menschen besser abschätzen und auf ein Minimum reduzieren zu können. Trotzdem: „Studien beinhalten auch Risiken, sonst müsste man sie gar nicht machen“, sagte der Charité-Neurologe Karl Einhäupl.

Dafür profitieren Studienteilnehmer von engmaschiger Betreuung und von einer Behandlung auf dem neuesten Wissensstand. Auch für eine besondere Versicherung ist gesorgt: Der Gesetzgeber verlangt, dass über die Haftpflichtversicherung der Kliniken hinaus für jeden Studienteilnehmer eine Versicherung abgeschlossen wird.

Die 54 über Deutschland verteilten Ethikkommissionen, in denen Mediziner, Juristen, Philosophen und Vertreter von Patientenorganisationen geplante Studien mit kritischem Blick prüfen, fragen auch nach Erkenntnis-Fortschritten, die von der Studie zu erwarten sind. Eine solche neue Einsicht kann auch darin bestehen, dass hoffnungsvolle Ansätze für neue Therapien der strengen Prüfung unter Studienbedingungen nicht standhalten. Und verworfen werden müssen. Kritiker monieren allerdings schon seit einiger Zeit, dass negative Ergebnisse viel schlechtere Chancen haben, in Fachzeitschriften veröffentlicht und damit der Fachwelt bekannt zu werden, vor allem, wenn Pharmafirmen die Studie gesponsert haben.

Ein seit letztem Jahr bestehendes „Journal of Negative Results in Biomedicine“ hat bisher keinen durchschlagenden Erfolg. Dabei sind die Mediziner es nicht zuletzt den Studienteilnehmern schuldig, dass die dank ihrer Mithilfe gewonnenen Erkenntnisse nicht unter Verschluss bleiben – wie auch immer sie aussehen.

In klinischen Studien werden nicht nur Medikamente, sondern auch Operationstechniken und andere Behandlungsverfahren geprüft und verglichen. So unterstützt die Berliner Krebsgesellschaft mit einer Million Euro eine Studie, die im Januar anlief und in der zwei verschiedene Verfahren verglichen werden, mit denen heute Enddarmkrebs schon vor der Operation behandelt wird. Dass eine solche Vorbehandlung das Risiko senkt, später einen Rückfall zu erleiden, ist inzwischen klar. Nur fragt sich, ob eine einwöchige Bestrahlung diesem Ziel genauso gut dient wie eine über mehr als fünf Wochen laufende Bestrahlung, kombiniert mit Chemotherapie. Insgesamt werden 860 Patienten gebraucht.

Peter Schlag, Chirurg in der Berliner Robert-Rössle-Klinik, legt Wert auf die Feststellung, dass die Teilnehmer nicht ausschließlich selbstlos der Wissenschaft dienen: „Sie haben auch für sich selbst den Vorteil, eine nach derzeitigem Wissensstand optimale Therapie zu bekommen“, sagte der Experte. „Häufig werden etwa Patienten erst nach der Operation bestrahlt, obwohl wir heute wissen, dass das in bestimmten Stadien der Erkrankung weniger effektiv ist.“

Mehr im Internet unter

www.kks.charite.de

Adelheid Müller-Lissner

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