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Gesundheit: Tango – der neue Denksport

Tanzen im Alter hält körperlich und geistig fit. Doch auch per Computer lässt sich das Gehirn trainieren

Patricia McKinley schätzt schweißtreibende Übungen. „Neue Nervenzellen können wachsen – und zwar auch bei alten Menschen“, sagt die Assistenzprofessorin an der McGill Universität im kanadischen Montreal. Das könne sich auch auf die Lernfähigkeit im Alter auswirken. „Allerdings weiß ich, dass es alten Menschen keinen Spaß macht, sich stundenlang auf einem Laufband zu quälen“, sagt McKinley.

Deshalb, und weil sie selbst eine begeisterte Tänzerin ist, bot die studierte Bewegungslehrerin einer Gruppe allein lebender Senioren in ihrer Heimatstadt Tangostunden an. Im Gegenzug erhielt sie die Erlaubnis, die Auswirkungen der insgesamt 40 Tanzstunden auf die körperliche und geistige Fitness zu untersuchen.

Wie McKinley kürzlich auf der Jahrestagung der amerikanischen Gesellschaft für Neurowissenschaften in Washington berichtete, habe man mit dem ungewöhnlichen Ansatz auch die Sturzgefahr für die Senioren verringern wollen. So wurden 30 Versuchsteilnehmer im Alter zwischen 62 und 90 Jahren ausgewählt. Die Senioren waren im Vorjahr mindestens ein Mal hart gefallen und hatten Angst vor weiteren Stürzen.

Während die eine Hälfte der freiwilligen Versuchsteilnehmer zweimal wöchentlich je zwei Stunden Tangounterricht bei einem professionellen Lehrer erhielt, schickte man die Vergleichsgruppe gleichzeitig zum gemeinsamen Spazieren in die städtischen Parks.

Vor Beginn und nach Ende der zehn Wochen absolvierten die Senioren Tests, bei denen räumliches Vorstellungsvermögen und Zahlengedächtnis sowie Balance und Beweglichkeit überprüft wurden. Die Teilnehmer mussten möglichst lange auf einem Bein stehen oder sich um die eigene Achse drehen. Oder sie mussten möglichst schnell einen Raum durchqueren, dabei das Alphabet aufsagen und bei jedem Schritt einen Buchstaben überspringen.

Es zeigte sich, dass die Tänzer gegenüber den Spaziergängern sowohl ihre Balance und Körperhaltung als auch die Koordination eindeutig verbesserten. „Die Angst, einen weiteren Sturz zu erleiden, war neuem Selbstvertrauen gewichen“, erklärt McKinley. Bei den Gedächtnistests schnitten die Tänzer ebenfalls besser ab, wenn auch der Unterschied nicht groß genug war, um die Überlegenheit der Tangostunden gegenüber den Spaziergängen eindeutig zu belegen.

Letztlich sei der Tangotanz eine geschickt getarnte Übung, die Spaß mache, sagt McKinley. „Erst kamen alle im Trainingsanzug, dann wurden die Herren eleganter und die Frauen begannen, sich zu schminken und Schmuck anzulegen.“ Nach Ende der Untersuchung hätten viele Teilnehmer weitere Lehrstunden sogar aus eigener Tasche bezahlt. McKinley will ihre Ergebnisse nun an einer größeren Zahl alter Menschen bestätigen und damit die gedächtnisfördernde Wirkung des Tango eindeutig nachweisen. Dann werde man speziell auf Senioren zugeschnittene Lektionen per Internet verfügbar machen.

Eine andere überraschende Methode, den geistigen Zerfall im Alter zu bremsen, fand Michael Merzenich. Der Professor an der Universität Kalifornien in San Francisco lässt die Senioren mit dem Computer spielen.

Zuerst beschäftigte sich Merzenich allerdings mit Kindern. Er kann für sich beanspruchen, als einer der Ersten neurowissenschaftliche Erkenntnisse gezielt eingesetzt zu haben, um die Leseschwäche bei Kindern erfolgreich zu bekämpfen. Zusammen mit Paula Tallal, einer weiteren Pionierin auf diesem Gebiet, hat Merzenich dafür eine Firma gegründet und das Computerprogramm „FastForword“ knapp eine halbe Million Mal verkauft. Ähnliche Programme werden mittlerweile auch in Deutschland angeboten, während Tallal und Merzenich derzeit versuchen, amerikanische Grundschulen zum routinemäßigen Einsatz von FastForward zu bewegen.

Nach dem gleichen Prinzip trainiert das neue Computerspiel „HiFi“ ältere Menschen darauf, vorgesprochenen Worten genau zu lauschen. Das Gelernte wird dann abgefragt. Die im Alter verminderte Trennschärfe für die gehörte Sprache ist nämlich laut Merzenich oft Ursache dafür, dass Senioren Neues weniger gut abspeichern können als junge Menschen.

Das Programm kommt dem Nutzer entgegen, indem es zunächst die Sprache quasi auseinander zieht und Unterschiede zwischen verschiedenen Lauten betont, bis sie erkannt werden. Abhängig von der Lernleistung verringert das Programm die Unterschiede dann stufenweise, bis die Trennschärfe der Alten sich derjenigen von Erwachsenen im mittleren Alter annähert. Als Anreiz gilt es, beispielsweise Fotos von Sehenswürdigkeiten wie dem Eifelturm zu sammeln.

Derart motiviert übten in einer Pilotstudie 42 Bewohner eines Seniorenheims bei San Francisco im Alter zwischen 63 und 94 Jahren acht Wochen lang täglich eine Stunde mit dem Programm. Danach zeigten sie deutlich verbesserte Gedächtnisleistungen und Messwerte für Aufmerksamkeit gegenüber zwei Kontrollgruppen, die entweder gar keinen Computer benutzten oder am PC ein gewöhnliches Programm bedienten. Diejenigen, die mit dem Lernprogramm die höchsten Stufen erreicht hatten, hatten beim Gedächtnis die meisten Fortschritte zu verzeichnen.

Auf „durchschnittlich zehn Jahre oder mehr“ schätzt Merzenich den Verjüngungseffekt auf das Denkvermögen. In weiteren Untersuchungen sollen nun zusätzliche Beweise für die Wirksamkeit des computerisierten Seniorentrainings gesammelt werden.

Michael Simm

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