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Gesundheit: Tanz der Moleküle

Der Chemie-Nobelpreis wird für eine Methode vergeben, mit der sich komplexe Verbindungen einfach herstellen lassen

Der diesjährige Nobelpreis für Chemie wird geteilt. Jeweils ein Drittel der Preissumme von knapp 1,1 Millionen Euro erhalten die Chemiker Yves Chauvin (74) vom französischen Institut für Erdölforschung in Rueil-Malmaison sowie die beiden US-Amerikaner Robert H. Grubbs (63) vom „California Institute of Technology“ (Caltech) in Pasadena und Richard R. Schrock (60) vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge.

„Ich freue mich über diese Entscheidung“, sagt Manfred Reetz, Direktor am Max-Planck-Institut (MPI) für Kohlenforschung in Mülheim. Diese „fantastische Entscheidung“ sei voll berechtigt. Die Preisträger hätten dazu beigetragen, dass wichtige Substanzen gezielt und relativ einfach hergestellt werden könnten. Dazu zählen pharmazeutische Wirkstoffe oder Pflanzenschutzmittel ebenso wie Treibstoffzusätze oder Lockmittel für Insekten.

So sieht es auch das Nobelpreiskomitee, das die Entwicklung der „Metathese“ hervorhebt, „einer der wichtigsten Reaktionen in der Organischen Chemie“. Metathese – das griechische Wort bedeutet Platzwechsel und das kennzeichnet den zentralen Mechanismus der Reaktion. Dabei werden Atomgruppen ausgetauscht, die an verschiedenen Kohlenstoffatomen hängen. Diese Verbindungen gilt es zu lösen und neu zu bilden. Um nicht lediglich nach den Gesetzen der Statistik zu- sammengesetzte Produkte zu bekommen, sollte die Reaktion steuerbar sein. Dann kann man gezielt die gewünschten Verbindungen herstellen, an denen die Anhängsel auf sinnvolle Weise neu geordnet sind.

Am elegantesten lässt sich eine derartige Herausforderung in der organischen Chemie mit Katalysatoren lösen. Das sind Substanzen, die Reaktionen erst möglich machen oder sie beschleunigen, ohne dabei selbst verbraucht zu werden.

„Dadurch sind sanfte, Energie sparende Bedingungen – wie niedrige Temperatur oder geringer Druck – möglich“, sagt Reetz. Da sich die Reaktionen per Katalysator lenken lassen, fallen weniger unerwünschte Produkte an, die später mühsam abgetrennt werden müssten. Solche Prinzipien werden heute bei der „Grünen Chemie“ großgeschrieben, einer umweltfreundlichen Ausrichtung der früher wenig auf ökologische Aspekte bedachten Branche.

Katalysatoren sind also gefragt, doch nicht immer gelingt es, den Mechanismus aufzuklären, nach dem ein bestimmter Reaktionsbeschleuniger wirkt. Dann ist man bei der Suche auf die Methode „Versuch und Irrtum“ angewiesen. Unzählige Stoffe müssen ausprobiert werden, bis ein Treffer glückt. Besser ist es, wenn der theoretische Ablauf der Reaktion aufgeklärt und der mögliche Katalysatortyp gefunden werden kann.

Das ist das Verdienst von Yves Chauvin, der 1971 beschrieb, wie die Metathese funktioniert und welche Metalle als Katalysatoren in Frage kommen könnten. Dass Metalle geeignet seien, liegt nahe, schließlich werden zur Herstellung von Kunststoffen aus Kohlenstoffverbindungen auch metallhaltige Katalysatoren des „Ziegler-Natta-Typs“ verwendet. Für ihre Entdeckung erhielten der deutsche Chemiker Karl Ziegler, der am Mülheimer MPI arbeitete, und sein italienischer Kollege Giulio Natta 1963 den Nobelpreis.

Kurze Zeit später führten Chauvins theoretische Überlegungen zum Erfolg, doch der inzwischen pensionierte Forscher hält nicht viel von seiner jetzigen Ehrung. In einem Interview mit dem schwedischen Rundfunk kündigt er an, zur Preisverleihung am 10. Dezember nicht nach Stockholm kommen zu wollen.

„Mir ist dieser Preis peinlich, meine Entdeckungen sind ja schon 35 Jahre alt“, sagte das heutige Mitglied der französischen Akademie der Wissenschaften. Früher hätten ihn seine Erkenntnisse sehr bewegt, doch nach zehn Jahren Ruhestand bedeute ihm der Nobelpreis nichts mehr. Dafür findet Chauvin, der fast sein ganzes Berufsleben lang am französischen Erdöl-Institut forschte, Worte der Anerkennung für seine amerikanischen Kollegen, ohne deren spätere Arbeit er den Preis nicht bekommen hätte.

„Grubbs und Schrock haben den ersten hochaktiven Katalysator für die Metathese gefunden“, sagt Reetz. Auf der Grundlage von Chauvins Theorie habe es in den folgenden Jahren immer wieder Veröffentlichungen gegeben, doch seien interessante Anwendungen wie die Synthese von Naturstoffen zunächst nicht gelungen. Die entscheidende Idee, einen Komplex aus einem Metall und einer organischen Verbindung als Katalysator zu verwenden, kam dann von den amerikanischen Forschern Grubbs und Schrock.

„Dabei handelt es sich um reine Grundlagenforschung“, betont Reetz, der solche nicht anwendungsbezogene Forschung in Deutschland wegen staatlicher Sparzwänge gefährdet sieht. Das könne zum Stillstand in der Wissenschaft führen, warnt der MPI-Direktor.

Stillstand war nach der Entdeckung der bei der Metathese wirksamen Katalysatoren nicht zu befürchten. Nun war es besser möglich, pharmazeutische Produkte oder neuartige Kunststoffe aus Erdöl herzustellen. Etwa die „Epothilone“, sagt Reetz. Aus diesen Substanzen lassen sich Wirkstoffe gegen Krebs herstellen, die sich schon in der klinischen Prüfung befinden.

„Heute werden Grubbs-Schrock-Katalysatoren oft in der organischen Forschung angewandt“, sagt auch Roderich Süssmuth, Professor für Biologische Chemie an der Technischen Universität Berlin. Die Methode stehe seit langem in den Lehrbüchern und jeder Absolvent der Chemie müsse die Metathese beherrschen.

Im Zentrum der Reaktionsbeschleuniger sitzen Übergangsmetalle wie Wolfram, Molybdän oder Ruthenium. Auch Titan oder Tantal werden verwendet. Geeignete Katalysatoren müssen nicht mehr in jedem Fall von den Anwendern selbst hergestellt werden. „Sie sind auch kommerziell erhältlich“, sagt Süssmuth.

Nicht nur die Methode hat sich etabliert, auch ihre Erforscher werden zunehmend geehrt. So haben Grubbs und Schrock vor knapp einem Monat die August-Wilhelm-von Hofmann-Gedenkmünze erhalten. Sie wird von der Gesellschaft Deutscher Chemiker an „herausragende ausländische Wissenschaftler“ verliehen. Dass Grubbs und Schrock zu diesem Kreis gehören, wurde vom Nobelkomitee jetzt eindrucksvoll bestätigt.

Paul Janositz

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