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Gesundheit: Tests mit Tücken

Die Früherkennung von Tumoren wird überschätzt, behaupten zwei Wissenschaftsjournalisten

WAS BRINGT DIE KREBSVORSORGE?

Ein junges Paar, das im Cabrio durch eine Urlaubslandschaft fährt. Zigarettenreklame? Nein, die Blondine bietet ihrem Partner gesundheitsbewusst eine Weintraube an. Im Text daneben steht: „Genauso groß ist der unentdeckte Tumor in ihrem Darm.“

Propaganda, auch die für gute Zwecke, hat es an sich, mit plakativen Wirkungen und Schockeffekten zu arbeiten. Und das nicht erst seit gestern: Mit dem Slogan „Schluckimpfung ist süß, Kinderlähmung ist grausam“ wurden schon in den 60er Jahren die Menschen zur Vorsorge animiert. Immerhin konnte die Impfung, für die damals mit schockierenden Bildern geworben wurde, sicher vor Polio schützen. Gegen Krebs gibt es derzeit keinen sicheren Impfstoff.

Doch es gibt Möglichkeiten, Vorformen oder noch „stumme“ Tumoren ausfindig zu machen. Die Darmspiegelung mit dem flexiblen Rohr, für die mit der Traube geworben wurde, ist eine davon. Seit dem letzten Herbst ist sie Kassenleistung.

Dennoch: Die Nachfrage nach den Früherkennungs-Untersuchungen lässt in den Augen der Deutschen Krebshilfe seit Jahrzehnten zu wünschen übrig. „Nur jede dritte Frau und jeder sechste Mann geht hin, das kann uns keineswegs befriedigen“, sagte deren Geschäftsführer Gerd Nettekoven im Sommer beim Krebskongress in Berlin. Dort wurde das ehrgeizige Ziel genannt, 70 Prozent der Anspruchsberechtigten auch tatsächlich zu den Tests zu locken.

Die Biologen und Wissenschaftsjournalisten Christian Weymayr und Klaus Koch verfolgen nun mit ihrem Buch „Mythos Krebsvorsorge. Schaden und Nutzen der Früherkennung“ (Eichborn Verlag, 19Euro90) ein anderes Ziel. Sie wollen über die verschiedenen Methoden aufklären, um dem Leser eine Informationsbasis für ein Abwägen der Chancen und Risiken zu geben. Ihre provozierende zentrale Botschaft lautet: „Wer nicht zur Früherkennung geht, braucht kein schlechtes Gewissen zu haben.“

Große Worte – aber stimmt die Botschaft auch? Wahr ist: Screening-Programme, mit denen wenige kranke Menschen aus einer Masse von gesunden herausgesiebt werden, wecken zu große Erwartungen. Und sie haben ihre Schattenseiten. Wenn die frühe Entdeckung nicht zu einer Heilung führt, wird Leidenszeit unnötig verlängert. Wenn die Untersuchung eine Auffälligkeit zeigt, stürzt das einen Menschen und seine Familie in große Sorgen – bis weitere, nicht selten einschneidende Tests Entwarnung bringen, falls der erste Befund fälschlicherweise positiv war. Und wenn ein Tumor entdeckt – und danach behandelt – wird, der ganz ohne Therapie unauffällig geblieben wäre, wird vielleicht sogar Schaden angerichtet.

Es ist das Verdienst des Autorenduos, deutlich und verständlich auf den Preis der Früherkennung hinzuweisen, der in den Werbekampagnen so gut wie nicht vorkommt.

Die Kritik ist jedoch nicht neu. „Die Krebsfrüherkennung ist teuer und erfüllt nicht ihre Aufgaben“, hatte schon im Jahr 2000 der damals amtierende Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft, der Berliner Urologe Lothar Weißbach seinen Kollegen ins Stammbuch geschrieben. Er tat es nicht zuletzt aus strategischen Gründen: Seitdem haben sich Ärzte und Kassen etwa in Sachen Brustkrebs-Früherkennung für ein qualitätsgesichertes Programm gründlich ins Zeug gelegt.

Prävention – Vorsorge – Früherkennung: Wenn es um die frühen Chancen im Kampf gegen den Krebs geht, macht Begriffsverwirrung die Lage noch komplizierter. Auch das Buch von Weymeyr und Koch ist nicht durchgängig gegen sie gefeit, und damit droht der angebliche „Mythos“ zum Popanz zu werden. „Keiner Waffe im Kampf gegen Krebs werden derzeit ähnlich sagenhafte Kräfte zugeschrieben wie der Früherkennung“, so ist gleich in der Einleitung zu lesen. Das aber stimmt so nicht. Worauf man heute tatsächlich setzt, ist Prävention – die aber besteht nicht nur aus Früherkennung, sondern auch aus Vorbeugung. Und das nicht zu Unrecht: Allein durch gesunden Lebensstil – Nichtrauchen, viel Bewegung, viel Obst und Gemüse – könnten fast ein Drittel aller Krebserkrankungen verhindert werden, so schätzt man heute.

Allerdings können auch einige Methoden der Früherkennung der Vorsorge dienen, zum Beispiel die Darmspiegelung. Sie kann genutzt werden, um Polypen zu entfernen, aus denen sonst später manchmal bösartige Geschwulste werden. Auch der Pap-Test zur Entdeckung von Gebärmutterhalskrebs, der jeder Frau ab 20 jährlich zusteht, kann Vorformen entdecken. Zu diesen Methoden wird in dem Buch übrigens meist die Art von Information geboten, die ein Arzt seinem Patienten geben sollte, wenn er eine Früherkennungsuntersuchung anbietet.

Was die Autoren – neben echtem Mangel an solcher Aufklärung – an den Pranger stellen wollen, ist wahrscheinlich weniger die Früherkennung als eine Illusion, die weit über das Gebiet der Krebsmedizin hinausführt. Sie mahnen nämlich nichts Geringeres an als die „Fähigkeit, das Leben als endlich zu begreifen“. Wer die Ratschläge zur gesunden Lebensführung beherzigt, verringert zwar sein Risiko für zahlreiche Krankheiten. Doch gerade dadurch wird möglicherweise die Wahrscheinlichkeit erhöht, eines (späteren) Tages an Krebs zu sterben, einem typischen Altersleiden.

„Früherkennung“, so definieren die Autoren knallhart und provokativ, „ist nur der aufwendige Versuch, den Zeitpunkt des Todes hinauszuschieben.“ Schon wahr, doch mehr kann Medizin überhaupt nicht versprechen. Fairerweise fügen die beiden noch hinzu, Früherkennung sei „nicht mehr, aber auch nicht weniger“ als dieser Versuch.

Zwischen den Buchdeckeln finden sich auch Argumente, diesen Versuch zu machen – auch wenn der eher reißerische Text auf dem Einband das nicht erwarten lässt.

Adelheid Müller-Lissner

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