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Gesundheit: Therapien in Behandlung

Wie Psychotherapeuten ihre Heilverfahren verbessern wollen

Angstzustände, Depressionen oder rätselhafter Dauerschmerz, Magersucht oder Bulimie, Alkoholabhängigkeit oder sexuelle Störungen – psychische Leiden werden immer häufiger. In Deutschland arbeiten zwar besonders viele Psychologen und Ärzte, die eine Weiterbildung zum Psychotherapeuten absolviert haben. Nur, wie findet man den passenden Spezialisten? Hat man sich endlich durchgerungen, Hilfe beim Seelendoktor zu suchen, gerät man womöglich an genau den Falschen. Zum Beispiel an einen Verhaltenstherapeuten, obwohl lange Verdrängtes geduldig aus dem Unbewussten ans Licht geholt werden müsste. Oder an einen Psychoanalytiker, der einen für Jahre auf die Couch legt – und man wollte sich doch nur seine Platzangst wegtrainieren lassen.

Die kritischsten Köpfe unter den Psychotherapeuten haben das Problem jetzt in Angriff genommen: Sie streben eine Behandlung nach Maß für den Einzelnen an. Dazu müssen die Therapeuten aber über den Zaun ihrer ideologischen Schrebergärten schauen und das Gespräch mit den anderen Therapierichtungen suchen. Voneinander zu lernen, statt sich gegeneinander abzugrenzen, war das Ziel der ersten Fachtagung „Psychotherapie im Dialog“ an der Freien Universität Berlin. Veranstalter war der Thieme-Verlag, der eine gleichnamige Zeitschrift herausgibt, gemeinsam mit mehreren Fachgesellschaften und Instituten.

Wissenschaftlich sei man sich in den verschiedenen Therapie-Schulen über grundlegende Fakten zunehmend einig, auch wenn manche Theoretiker an den alten, erstarrten Positionen festhielten, sagte Peter Fürstenau vom Düsseldorfer „Institut für angewandte Psychoanalyse“. In der Praxis werde ebenfalls vielfach stillschweigend schulübergreifend gehandelt.

Stärkung der Persönlichkeit

Gemeinsam ist den Therapeuten laut Fürstenau die Erkenntnis, dass seelische Vorgänge nicht ohne die ständige Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Umgebung denkbar sind. Auch die Notwendigkeit, nicht nur die Schwächen des Patienten anzugehen, sondern seine gesunden Persönlichkeitsanteile zu stärken, wird zunehmend Allgemeingut; ebenso die Hilfe beim Bewältigen konkreter Probleme sowie die Konzentration auf die speziellen Symptome und die Persönlichkeit des einzelnen Patienten.

Ursprünglich von der Verhaltenstherapie kommt der Berner Hochschullehrer Klaus Grawe. Er skizzierte eine „integrative“ Psychotherapie: Sie betont die gute Beziehung zwischen Therapeut und Patient. Diese integrative Psychotherapie untermauert Grawe mit einer Theorie. Danach strebt jeder Mensch nach Befriedigung seiner Grundbedürfnisse: Orientierung und Kontrolle, Lustgewinn und Unlustvermeidung, Bindung und Selbstwerterhöhung.

Weicht die Wirklichkeit allzu sehr davon ab, können aus ständigen negativen Emotionen und gesteigerter Erregung psychische Störungen entstehen. Alle therapeutischen Bemühungen sollten zum Ziel haben, die Grundbedürfnisse besser zu befriedigen, also zum Beispiel das Selbstwertgefühl stärken oder an gestörten Beziehungen arbeiten, sagte Grawe. An der Universität Bern werden Psychotherapeuten seit zehn Jahren nach solchen Prinzipien ausgebildet, und eine Studie zeigt, dass bei diesem Vorgehen der Therapie-Effekt verdoppelt wird.

In einer gründlich reformierten Ausbildung sehen Grawe wie Fürstenau den ersten Ansatzpunkt für eine bessere Patientenversorgung. Der zweite wären geänderte Rahmenbedingungen. Die deutschen Psychotherapie-Richtlinien sind in Grawes Augen „der helle Wahnsinn“. Denn als Krankenkassenleistung erlauben sie nur die psychoanalytisch fundierte oder die Verhaltenstherapie, und der Therapeut darf die Verfahren nicht einmal kombinieren.

Die Richtlinien sollten die Patienten vor dem Wildwuchs auf dem Psychomarkt schützen, aber jetzt behindern sie die Entwicklung zu einer integrierten Therapie. Eine geplante Studie mit ärztlichen Psychotherapeuten scheiterte daran, dass sie nicht offenlegen wollten, was sie – gegen die Richtlinien – in ihren Praxen wirklich tun, berichtete Wolfgang Senf, Direktor der Essener Universitätsklinik für Psychotherapie und Psychosomatik.

Als die Referenten ihr Auditorium zur offenen Revolte gegen die lähmenden Rahmenbedingungen aufriefen, ernteten sie starken Beifall. Dennoch dürften die Patienten auf eine Psychotherapie, die besser wirkt und damit sogar ökonomischer ist, noch geraume Zeit warten müssen. Denn, so Grawe, die Funktionäre der meisten Fachvereinigungen verträten nicht die Interessen der Patienten, sondern die der eigenen Schule. Sie aber beraten die Gesundheitspolitiker. Rosemarie Stein

Wie man einen Psychotherapeuten findet: Psychotherapie-Informationsdienst, Heilsbachstr. 22, 53123 Bonn, Tel. 0228 / 746699, Fax 641023. Außerdem: www.psychotherapiesuche.de . Speziell für Berlin: Kassenärztliche Vereinigung, Tel. 030 / 31003248.

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