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Gesundheit: Timoféeff-Ressovsky: Gemeinsames Gebrüll über die Taufliege

"Die Schaffung neuer Rassen ist Sache Gottes", versicherte der russische Forscher Nikolaj Vladimirovic Timoféeff-Ressovsky der Filmregisseurin Elena Zakanjan in den 70er Jahren. Timoféeff-Ressovsky legte mit seiner Forschung an Fruchtfliegen im Institut für Hinforschung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in Berlin-Buch einen der Grundsteine der modernen Molekularbiologie und Genetik.

"Die Schaffung neuer Rassen ist Sache Gottes", versicherte der russische Forscher Nikolaj Vladimirovic Timoféeff-Ressovsky der Filmregisseurin Elena Zakanjan in den 70er Jahren. Timoféeff-Ressovsky legte mit seiner Forschung an Fruchtfliegen im Institut für Hinforschung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in Berlin-Buch einen der Grundsteine der modernen Molekularbiologie und Genetik. Am 20. September 1900 wurde er in Russland geboren.

"Sie nannten ihn Ur" lautet der Titel einer Biographie von Daniel Granin über den Forscher. Wie ein Tier, ein Wisent, aufgetaucht aus Urzeiten, erschien seine kräftige Gestalt vielen, sagt die Regisseurin Zakanjan. In ihrem Dokumentarfilm zeigt sie einen großen Mann, der sich stets im Mittelpunkt von Gruppen lebhaft diskutierender Wissenschaftler und Studenten befindet.

Die intensive Auseindersetzung mit anderen über seine Forschungsergebnisse war das Lebenselixier Timoféeff-Ressovskys. In Moskau, noch als Student, nahm er Teil an Diskussionsrunden, die als "Dros so or" (etwa "gemeinsames Gebrüll über die Taufliege") in die Geschichte eingingen. Sein donnerndes Organ, das alle anderen überdröhnte, gab dem Kolloquium seinen Namen, vermutet Granin.

Alexander Solschenyzin, dem er in einem Lager im Archipel Gulag begegnete, war beeindruckt von Ressovskys Fähigkeit, auch unter widrigsten Bedingungen ein pulsierendes geistiges Leben zu entfachen. Selbst als Haftinsasse schaffte er es, einen Zirkel zu etablieren, deren Mitglieder Vorträge hielten und sich über das Gehörte austauschten.

Timoféeff-Ressovsky war der Sohn eines Eisenbahningenieurs. 1917 begann Timoféeff-Ressovsky ein Studium der Zoologie, Naturwissenschaften und Kunstwissenschaften in Moskau. 1926 ging er nach Deutschland, an das Institut des Neuropathologen Oskar Vogt in Berlin-Buch. Hier begann seine produktivste Zeit. Er untersuchte die Mutationswirkung von Röntgenstrahlen auf die Taufliege und formulierte die "Treffertheorie". Diese besagt, dass durch den Beschuss mit ionisierenden Strahlen die Elektronenhülle von Molekülverbänden zerstört wird. Das verursacht den Verlust der biologischen Eigenschaften der Moleküle und schadet dem Genmaterial.

1935 verfasste Timoféeff-Ressovsky zusammen mit Karl Zimmer und dem später emigrierten Max Delbrück die Schrift "Über die Natur der Genmutation und der Genstruktur", die unter der Bezeichnung "Dreimännerwerk" einen Meilenstein hin zu der Entwicklung einer eigenständigen Molekularbiologie darstellte.

Die ungemein produktive Zeit in Buch wurde jedoch durch den Nationalsozialismus und die Beteiligung von Forschern an Nazi-Verbrechen beeinträchtigt. Eine medizinische Abteilung in Buch untersuchte die Hirnpräparate von Euthanasie-Opfern aus der psychiatrischen Anstalt Brandenburg Görden. Das berührte zwar nicht Timoféeff-Ressovskys Arbeit, aber es wirft auch auf seine Arbeit einen Schatten.

Als er 1937 aufgefordert wurde, nach Russland zurückzukehren, lehnte er dies ab. Einerseits wollte er seine Arbeit und die von ihm abhängigen Mitarbeiter nicht im Stich lassen. Andererseits wurde bekannt, dass Ressovskys Bruder in Russland erschossen worden war. Sein ehemaliger Lehrer Kolzow erklärte, Ressovsky "solle sich doch gleich Fahrkarten bis nach Sibirien kaufen".

Timoféeff-Ressovskys ältester Sohn, der 1923 geborene Dimitrij, genannt Foma, schloss sich während des Krieges einer Widerstandgruppe an und fiel 1943 in die Hände der Gestapo. Obwohl sich Heisenberg, Weizsäcker und andere hochrangige deutsche Wissenschaftler für ihn verwandten, wurde er 1945 im Konzentrationslager Mauthausen umgebracht.

Nach dem Krieg wurde Timoféeff-Ressovsky verhaftet und in die UdSSR gebracht. Dort machte das Sowjetregime kurzen Prozess mit ihm, weil er 1937 nicht der Aufforderung in die UdSSR zurück zu kehren, gefolgt war. Zehn Jahre Lagerhaft sollten die Quittung sein. Nach seiner Verurteilung allerdings erinnerte sich auch der Geheimdienst NKWD der Kenntnisse Timoféeff-Ressovskys als Strahlenforscher und bemühte sich seiner habhaft zu werden. Trotzdem dauerte es fast ein Jahr, bis er, dem Tode nahe, in einem Lager in Nordkasachstan ausfindig gemacht werden konnte.

Mit Stalins Tod im Jahre 1953 wurden unschuldig Verurteilte teilweise rehabilitiert. So bekam Timoféeff-Ressovsky 1955 eine leitende Position im Institut für Biologie der Uraler Filiale der Akademie der Wissenschaften in Miassowo nahe Sverdlovsk. 1966, nach dem Fall des Stalin-Getreuen Lyssenko - dieser propagierte die Vererbung erworbener Eigenschaften -, wurde er Professor. 1981 starb Timoféeff-Ressovsky.

Richard Rabensaat

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