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Gesundheit: Trauriger Vogel

Von Matthias Glaubrecht „As dead as a Dodo" sagen die Angelsachsen, wenn für sie etwas unwiderruflich vorbei ist. „So tot wie ein Dodo.

Von Matthias Glaubrecht

„As dead as a Dodo" sagen die Angelsachsen, wenn für sie etwas unwiderruflich vorbei ist. „So tot wie ein Dodo.“ Raphus cucullatus, wie der Dodo wissenschaftlich heißt, ist eine flugunfähige Riesentaube von der kleinen Insel Mauritius im Indischen Ozean. Das etwa schwanengroße Tier mit seinen schwarzgrauen, flaumartigen Federn ist von abenteuerlichem Äußeren: Rund und unansehnlich mit seinen kurzen Beinen und dem dicken Rumpf, unbeholfen und lächerlich mit den winzigen Flügelstümpfen und seinem riesigen Hakenschnabel im nackten Gesicht. Der Dodo wirkt wie eine Persiflage auf das Vogelsein.

Ausgerechnet dieser ornithologische Scherzartikel der Evolution wurde zum Sinnbild für den rücksichtslosen Umgang des Menschen mit der Natur. Kaum hatten holländische Seefahrer, angeführt von Jacob Cornelius van Neck, 1598 den ersten Stützpunkt auf Mauritius errichtet, gelangten Exemplare dieser Drontenvögel Anfang des 17. Jahrhunderts in die Menagerien Europas, wo sie schnell zu beliebten Objekten vor allem holländischer und deutscher Tiermaler wurden.

Nützliche Frischfleischquelle

In der kurzen Zeit, die ihr Kontakt mit Europäern währte, wurden Dodos erbarmungslos gejagt. Für ein halbes Jahrhundert galten sie lediglich als nützliche Frischfleischquelle für Seefahrer im Indischen Ozean. Man kann sich die Speisekarte an Bord vorstellen: gekochter Dodo, gebratener Dodo, marinierter Dodo, Räucherdodo, Dodohack.

Kein Jahrhundert verging, bevor das letzte Exemplar dieser skurrilen Vogelart um 1681 auf Mauritius erschlagen wurde – rund 170 Jahre, nachdem der Dodo erstmals von einem Europäer beschrieben worden war. 1775 warf man den einzigen, bis dahin erhalten gebliebenen, wenngleich verstaubten und miserabel präparierten Balg eines Dodos weg; der zuständige Kurator des Museums in Oxford rettete nur noch den Schädel und einen Fuß.

Sein Gesang ist für immer verloren

Was vom Dodo darüber hinaus erhalten blieb, sind einige wenige Augenzeugenberichte, vereinzelte Knochenfunde sowie Gemälde und Radierungen. Sein Gesang, wenn es denn einen gab, ist für immer verloren; ein Umstand, den der amerikanische Wissenschaftsautor David Quammen unlängst veranlasste, eben diesen Gesang des Dodo zum Titel eines dicken (und dennoch sehr lesenswerten) Buches über Werden und Vergehen von Tierarten zu machen (Claasen Verlag, 974 Seiten).

Jetzt haben Molekularbiologen den Dodo zwar nicht wieder zum Leben erweckt, aber immerhin – gleichsam posthum – seinen Stammbaum aufgedeckt. Dazu reichten den Forschern die wenigen erhaltenen Knochen, aus denen sie mit geradezu kriminalistischen Methoden Fragmente der Erbsubstanz dieser Vögel analysierten.

In einem komplizierten Verfahren gewannen sie kurze, etwa 120 bis 180 Basenpaare lange Sequenzabschnitte aus zwei Genen der in den Mitochondrien („Zellkraftwerke“) gelagerten DNS. Diese kurzen Sequenz-Bruchteile fügten sie wie bei einem Puzzle zusammen und verglichen sie mit den entsprechenden Genen anderer Vogelarten, darunter vor allem der vielen auf der Welt lebenden Taubenarten (veröffentlicht im Fachblatt „Science“, Band 295, Seite 1683).

Dieser Vergleich zeigt, dass der Dodo einen nahen Verwandten hatte, den „Einsiedler“ (mit schönen n Pezophaps solitaria). Wie sein Name schon ahnen lässt, lebte er einst zurückgezogen und einsam auf der Mauritius benachbarten Insel Rodriguez. Mit dem Dodo teilt er nicht nur die Gene, sondern dessen Schicksal: auch dieser flugunfähige Drontenvogel starb dank menschlichen Zutuns um 1791 aus.

Doch die Molekulargenetiker fanden noch mehr. Nicht nur konnten sie die Vermutung früherer Biologen bestätigen, dass Dodo und Einsiedler Taubenvögel sind. Sie fanden deren nächste Verwandte auch unter den Tauben Südostasiens, genauer unter den Tauben der Nikobaren und Neuguineas.

Von Asien aus müssen sich also die Vorfahren der flugunfähigen Dronten auf die Reise zu den abgelegenen Inseln im Indischen Ozean gemacht haben. Wie sie das geschafft haben, bleibt indes ein Rätsel. Denn die molekulargenetische Eichung des jetzt aufgedeckten Stammbaums zeigt, dass Dodo und Einsiedler viel älter sein müssen als Mauritius und Rodriguez selbst.

Dass beide Drontenvögel einst auf diese vulkanischen Inseln geflogen sind, halten Forscher für unwahrscheinlich; sie vermuten vielmehr, dass es eine – inzwischen allerdings untergegangene – Inselkette gab, deren Endpunkt jene beiden Inseln waren, auf denen die Dronten dann überlebten. Bis der Mensch erschien.

Bleibt der bittere Beigeschmack für Biologen, dass es mit modernster Technik gelingt, das evolutive Schicksal selbst seit Jahrhunderten ausgestorbener Tierarten zu rekonstruieren. Das hilft zwar den Tieren nicht mehr, wohl aber den Forschern.

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