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Gesundheit: Treffpunkt-Tagesspiegel Medizin und Fitness: Die Liebe der Bravo-Girl-Generation

Sex sells - aber er hat seinen Preis. Jedenfalls trifft dies für die wenigen Bücher über Sexualwissenschaften und Sexualmedizin zu, die zugleich seriös und aktuell sind.

Sex sells - aber er hat seinen Preis. Jedenfalls trifft dies für die wenigen Bücher über Sexualwissenschaften und Sexualmedizin zu, die zugleich seriös und aktuell sind. Sie sind teuer. Und so dürften sich die empfehlenswerten Neuerscheinungen mehr für überdurchschnittlich Interessierte eignen - und für Berufsgruppen, die es wissen müssen: Lehrer, Ärzte, Sozialarbeiter.

Das erste Buch, Kurt Starkes "Fit for SexPower? - Eine sexualwissenschaftliche Untersuchung zu Bravo Girl", thematisiert eine Sorge, die vor allem Eltern umtreibt: Wie werden Kinder und Jugendliche mit der allgegenwärtigen Sexualität in Bild und Wort fertig?

Die Illustrierte am Kiosk lassen ein Ausweichen vor nackten Tatsachen bekanntlich kaum zu. Auch das Fernsehen suggeriert der zarten Kinderseele, das Beherrschen der verrücktesten Stellungen garantiere "Erfolg" in der Liebe. Doch nicht nur sie, sogar Jugendzeitungen sexualisieren den Nachwuchs. Heranwachsende sind der Reizüberflutung ausgeliefert, eine gesunde seelische, auch sexuelle Entwicklung scheint geradezu unmöglich.

Ob das wirklich stimmt, hat Kurt Starke untersucht - schon in der DDR führender Sexologe, heute Vorsitzender der Gesellschaft für Sexualwissenschaften und Referent beim nächsten "Treffpunkt Tagesspiegel Medizin & Fitness", bei dem es um Verhütung, aber eben auch um Sexualität gehen wird. Worauf sich der Professor besonders freut: Er trifft auf sein "Untersuchungsobjekt", auf eine Vertreterin von "Bravo".

Die Zeitschrift hat längst Ableger, "Bravo-TV" etwa, in der "Dr. Sommer" antwortet, die bürgerliche Margit Tetz, die auf dem Tagesspiegel-Podium nicht mit Attacken des Wissenschaftlers rechnen muss. Der nämlich hat sich "Bravo-Girl" vorgenommen, konzipiert für Mädchen, die so langsam dem Bravo-Alter entwachsen.

In Starkes sexualwissenschaftlicher Studie geht es nicht um Statistiken über "das ersten Mal", sondern um Medienwirkungsforschung. Wie kommen Artikel namens "Fit for Sex" oder "Sex Power" bei den Girlies an? Wie beeinflussen Sie deren Lebenszusammenhänge und Vorstellungen über Liebe?

Starke hat dazu nicht nur Hunderte von Jugendlichen befragt. Er wurde auch von Eltern, Schulämtern und Lehrern unterstützt. Letztere taten gut daran, denn das Ergebnis wird sie außerordentlich beruhigen: Junge Menschen haben ihre eigenen Mechanismen, um sich vor der Überflutung zu schützen.

Die Aufklärungs-Story in "Bravo-Girl" interessiert nur mäßig, weit weniger als der Fotoroman, die Geschichte über Leo (di Caprio), Mode, Horoskop oder Humor. Und immer noch (wo doch alle so liberal und offen mit "dem" Thema umgehen) scheinen Jugendblätter wichtige Aufklärungsfunktionen zu haben (fragen wir Frau Tetz, ob die Jugendlichen immer noch wissen wollen, ob Küsse Kinder zur Folge haben): Die Bravo-Girls suchen sich auch aus den "Sex-Power"-Geschichten lediglich das heraus, was sie wirklich beschäftigt - der Rest kommt gar nicht erst durch den gesunden Seelen-Filter.

Das Wichtigste aber: Die Untersuchung der Wirkung des Mädchen-Magazins lässt sich auf die geschlechtliche Darstellung in den Massenmedien allgemein übertragen."Junge Liebende, inzwischen aufgeklärt und abgeklärt, haben andere Sorgen und Hoffnungen. Die hypertrophe Sexpräsentation mit ihren Perfektionismen, ihrer Beliebigkeit, ihrer Detailisierung und ihrer Entintimisierung entspricht nicht ihrem Lebensgefühl." Die Träume von Partnerschaft haben trotz aller Talk-Shows über Sadomasopromiskuität sehr viel mehr mit Liebe und Treue zu tun als mit Sex-Akrobatik.

Das zweite Buch, unter anderem herausgegeben von Klaus M. Beier, Leiter des Instituts für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin an der Berliner Humboldt-Universität, schließt eine beschämende Lücke: Seit Jahren gab es kein aktuelles Lehr- und Nachschlagewerk zur Sexualmedizin. Noch peinlicher ist, dass Sexualität einschließlich ihrer Störungen an keiner deutschen medizinischen Fakultät Pflichtfach ist. Wenn aber Patienten im Bedarfsfall kompetent untersucht, beraten und behandelt werden sollen, dürfen Medizinstudenten und Hausärzte die Ausgabe nicht scheuen. (Auch dem interessierten Laien sei nicht davon abgeraten, so unverständlich ist das das Buch gar nicht - man muss es sich halt nur leisten können.)

Der Bogen spannt sich von den anthropologischen und kulturgeschichtlichen Grundlagen über Funktionsstörungen, Diagnostik und Behandlung bis hin zum viel diskutierten Thema der Sexualstraftaten. Alles in höchster Seriosität und Ausführlichkeit. Schwer verständlich allerdings, dass das Thema Verhütung in diesem Buch so gut wie gar nicht vorkommt.

Justin Westhoff

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