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Gesundheit: Trümmerstudenten

Mit Maurerkelle statt Stiften: Eine Ausstellung zeigt, wie die Berliner Universität 1946 ihren Betrieb wieder aufnahm

Wer 1945 zur Berliner Universität kam, hatte statt Stiften und Papier eine Maurerkelle dabei. Nur die Fassade des Hauptgebäudes der heutigen Humboldt-Universität (HU) Unter den Linden stand noch. Die Bombenangriffe und Straßenschlachten im Zweiten Weltkrieg hatten die Hälfte der Universitätsgebäude zerstört, Sammlungen und Inventar waren vernichtet. Aber bereits im Monat der deutschen Kapitulation, im Mai 1945, begannen Mitarbeiter und Studenten der Universität mit den Wiederaufbauarbeiten der zerbombten Hochschule. Acht Monate später, im Januar 1946, wurde die Universität mit einem Festakt im Admiralspalast, dem heutigen Metropol-Theater am Bahnhof Friedrichstraße, eröffnet.

Unter welchen materiellen und geistigen Nöten die Studenten nach Kriegsende lebten, zeigt die Ausstellung „Studieren in Trümmern – Die Wiedereröffnung der Berliner Universität im Januar 1946“ im Foyer des Hauptgebäudes der HU. Zum 60. Jahrestag der Wiedereinweihung hat eine Gruppe von Studenten Zeitzeugeninterviews, Zeitungsberichte und Fotos aus den Nachkriegsjahren der Berliner Universität zusammengetragen. Auf Schautafeln und Vitrinen mit historischen Exponaten werden Rundfunksendungen und Filme aus der Nachkriegszeit aus den Jahren 1946 bis 1949 dargestellt. „Das war eine eigene Epoche“, sagt Christoph Jahr, Dozent am Institut für Geschichte, der die Studentengruppe anleitete. Die Nachkriegsstudenten zeigten Lebensenergie und Freude, trotz der widrigen Umstände.

An die erinnert sich Ausstellungsbesucher Werner Sochow, der damals Geschichte studierte, noch genau. „Im kalten Berliner Winter 1946/47 wurde kaum noch geheizt.“ Neben Heizkohle brachten die Studenten Pappstücke mit in die Universität, um die Fenster abzudichten. Viele saßen zudem verschlafen in den Hörsälen. Morgens hatten sie schon auf Äckern Kartoffeln gesammelt. „Es war schon ungemütlich“, sagt der heute 80-jährige Sochow, aber das war nebensächlich: „Endlich lernten wir. Es gab wieder eine Perspektive.“ Viel stärker als der physische sei der geistige Hunger gewesen. Schnell gründeten sich Lesezirkel an der Universität, und die Studenten nutzen fast jede Gelegenheit zu Theaterbesuchen.

Aber nicht nur materiell, sondern auch moralisch lag die Universität zum Kriegsende am Boden. Nach den Bücherverbrennungen 1933, der Vertreibung jüdischer und oppositioneller Universitätsmitglieder und der opportunistischen Haltung vieler Dozenten während der NS-Verbrechen, herrschte die Hoffnung auf eine neue Epoche an der Universität – frei von Zwängen, politischem Terror und geistiger Konformität.

Doch es kam anders. Der Neuanfang und das Ende der NS-Ideologie wurde sofort wieder durch eine neue Ideologie ersetzt. Nach dem Versuch, die Universität zu entnazifizieren, folgte die Sowjetisierung der 1949 in Humboldt-Universität umbenannten Hochschule. Kompromisslos gingen die neuen sowjetischen Machthaber gegen SED-Kritiker vor. 18 Studenten und Lehrende wurden zwischen 1945 und 1948 verhaftet oder verschleppt. Einige blieben wochenlang verschwunden oder landeten sogar in der Sowjetunion, wo sie hingerichtet wurden.

Als Reaktion auf die politische Vereinnahmung der Universität wurde im US-Sektor in Dahlem1948 die Freie Universität Berlin gegründet. Trotzdem dürfe der Bedeutung des Aufbruchs der unmittelbaren Nachkriegsjahre nicht mit den fünfziger Jahren gleichgesetzt werden, sagte HU-Präsident Christoph Markschies am Dienstag in der Eröffnungsrede zur Ausstellung im Senatssaal. „In der Geschichte der HU sind Kontinuität und Diskontinuität miteinander verwirkt“, so Markschies. Die Universität habe damals einer Melange geglichen.

„Studieren in Trümmern – Die Wiedereröffnung der Berliner Universität im Januar 1946“. Die Ausstellung ist im Foyer der Humboldt-Universität in Mitte zu sehen, Unter den Linden 6. Führungen gibt es dienstags bis donnerstags von 12 bis 16 Uhr, noch bis 11. Februar 2006. Die Führungen sind kostenlos.

Johannes Edelhoff

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