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Gesundheit: Tunnel zur Vergangenheit

Sind Zeitreisen möglich? Im Prinzip ja. Es gibt nur ein paar praktische Probleme

Sein Freund Michele Besso war gestorben, und Einstein suchte nach tröstenden Worten für dessen Familie. „Nun ist er mir auch mit dem Abschied aus dieser sonderbaren Welt ein wenig vorausgegangen“, schrieb er schließlich. „Dies bedeutet nichts. Für uns gläubige Physiker hat die Scheidung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nur die Bedeutung einer wenn auch hartnäckigen Illusion.“

Das war im Jahr 1955, einige Wochen, bevor Einstein diese sonderbare Welt seinerseits verließ. 50 Jahre zuvor hatte er die herkömmlichen Vorstellungen von Raum und Zeit dermaßen umgekrempelt, dass nicht nur Science-Fiction-Autoren, sondern auch mehr oder weniger nüchterne Physiker bis heute darüber grübeln, wie fest das Gefüge von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft tatsächlich ist. Was ist die Zeit? Folgt auf Vergangenheit immer (und in immer gleichen Zeitabständen) Zukunft? Oder sind Zeitreisen möglich?

Der Oxforder Quantenphysiker David Deutsch ist fest davon überzeugt: Ja, Zeitreisen sind möglich. Alle üblichen Einwände gegen Zeitreisen beruhten auf „falschen Modellen der physikalischen Realität“. Mag sein, dass unsere Intuition sich schwertut mit der Vorstellung in die Zukunft oder Vergangenheit zu reisen – mathematisch gebe es da keine Probleme.

Vor Einstein hätte die Fachwelt den Exzentriker Deutsch wohl für verrückt erklärt. Vor Einstein galt die Zeit als eine Art abstrakter Strom, absolut, gleichmäßig vorwärts treibend. Stets in dieselbe Richtung, stets im selben Tempo.

Letzteres, stellte Einstein 1905 mit seiner speziellen Relativitätstheorie fest, stimmt schon mal nicht: Wer sich schnell bewegt, für den ticken die Uhren langsamer. Das heißt, die Zukunft steht uns für Besuche offen. Theoretisch. Man müsste nur in ein superschnelles Raumschiff steigen, losdüsen und irgendwann zur Erde zurückkehren; je nach Geschwindigkeit wäre die eigene Lebenszeit so stark verzögert worden, dass man sich auf der Erde bereits im Jahr 2017 oder 2317 oder noch viel weiter in der Zukunft befände.

„Einstein zeigte uns erstmals, dass man die Zeit manipulieren kann“, sagt der Physiker Bernard Schutz vom Max- Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam, Autor des Buchs „Gravity from the Ground Up“, in dem es auch um Zeitreisen geht. „Plötzlich rückte es in den Bereich des Möglichen, mit der Zeit zu spielen und in die Zukunft zu reisen.“

Und was ist mit der Vergangenheit? Wäre es möglich, Leonardo da Vinci die Hand zu schütteln? Mit Kleopatra zu frühstücken? Manche Physiker geraten bei diesen Gedanken geradezu ins Schwärmen: Man stelle sich vor – Geschichte könnte zu einer empirischen Wissenschaft werden!

Andere sind skeptisch. Wenn Reisen in die Vergangenheit möglich wären, spottet etwa der britische Kosmologe Stephen Hawking, dann wundere er sich doch, „dass bei uns nicht Scharen von Touristen aus der Zukunft umherlaufen“. Dennoch gibt auch Hawking zu: Rein theoretisch sind selbst Reisen in die Vergangenheit nicht völlig ausgeschlossen.

Obwohl man dabei auf Widersprüche stößt. Da wäre zum Beispiel das Großvater-Paradoxon, ein beliebtes Science- Fiction-Sujet: Angenommen, man ginge zurück in die Zeit und würde seinen Großvater umbringen; dann würde man selbst nie geboren werden und könnte somit auch nicht zurück in die Zeit gehen, um seinen Großvater zu töten.

Der Theoretiker David Deutsch jedoch sieht darin kein großes Problem. Das Großvater-Paradoxon, sagt er, lasse sich mit der Quantenphysik leicht auflösen. Zum Kern dieser Theorie gehört, dass sich gewisse physikalische Ereignisse, etwa der Zerfall eines neutralen Teilchens („Neutron“) in mehrere geladene Teilchen, nicht exakt vorhersagen lassen. In der Quantenwelt geschehen die Dinge lediglich mit einer mehr oder weniger großen Wahrscheinlichkeit. Viele Ereignisse könnten eintreffen – welches davon tatsächlich eintrifft, ist unbestimmbar. Auf den Neutronenzerfall muss man höchstwahrscheinlich 20 Minuten warten; er kann aber auch sofort eintreten.

Die meisten Physiker haben dieses Phänomen so gedeutet: Das strenge Prinzip von Ursache und Wirkung, der Determinismus, der die Physik der beobachtbaren Welt regiert, existiert auf der Ebene atomarer und subatomarer Teilchen – der Quantenebene also – schlicht nicht.

Deutsch denkt anders. Seine Idee: Alle Möglichkeiten (das Neutron zerfällt jetzt, in einer Sekunde …) finden statt, aber nur eine davon in unserem Universum. Die restlichen Alternativen werden in Paralleluniversen realisiert. Aus dieser Sicht gibt es auch ein Universum, in dem, sagen wir, Stoiber Bundeskanzler ist. Wer zurück in die Zeit reist und seinen Großvater umbringt, „eröffnet“ ein neues Universum mit einer ganz neuen Abfolge von Ereignissen, während im Ursprungsuniversum alles beim Alten bleibt.

Deutschs Spekulationen räumen das Großvater-Paradoxon aus dem Weg – aber um welchen Preis? Ist das noch Physik oder schon Metaphysik? Außerdem lösen Parallelwelten nicht das Problem, wie man überhaupt von der Gegenwart in die Vergangenheit gelangen sollte. Doch auch da hilft Einstein weiter.

So wandte sich der inzwischen verstorbene Astronom und Science-Fiction-Autor Carl Sagan in den 1980er Jahren an einen der führenden Gravitationsforscher vom California Institute of Technology, Kip Thorne. Sagans Frage: Wäre es möglich, die Heldin seines Romans „Contact“ (später mit Jodie Foster verfilmt) zum 26 Lichtjahre entfernten Stern Wega zu schicken und die Strecke, die immerhin aus Billionen von Kilometern besteht, etwas abzukürzen?

Na klar, meinte der Einstein-Kenner Thorne. Die allgemeine Relativitätstheorie liefert eine Möglichkeit: Wurmlöcher. Ein Wurmloch ist wie ein schwarzes Loch, in dem die Materie so dicht ist, dass sogar Licht davon verschluckt wird, nur dass es genau genommen kein Loch, sondern ein Rohr mit zwei Enden ist. „Ob es diese Gebilde wirklich gibt, weiß keiner“, sagt der Physiker Schutz, der bei Thorne promoviert hat. Zumindest erlaubt Einsteins Theorie ihre Existenz.

Nach Einstein ist der Raum nämlich nicht flach und glatt, wie Norddeutschland, sondern hügelig und gekrümmt, wie die Alpen – eine Vorstellung, die vergangene Woche einmal mehr von Forschern der kalifornischen Standford-Universität mit Hilfe von Satelliten-Messungen bestätigt wurde. Ein Wurmloch ist eine Art Tunnel durch dieses Gebirge. Was das mit Zeitreisen zu tun hat?

Ganz einfach. Man stelle sich zwei Menschen vor, Mann und Frau, die sich an den entgegengesetzten Enden eines Wurmlochs befinden. Die Frau steigt in ein Raumschiff, das mit annähernder Lichtgeschwindigkeit losfliegt, beide bleiben über das Wurmloch in Kontakt. Aufgrund ihrer hohen Geschwindigkeit läuft die Zeit für die Frau langsamer als für den Mann. Könnte er nun durch das Wurmloch kriechen, zur Frau, würde er sich in die Vergangenheit begeben.

Das sei zwar durchaus denkbar, sagt Schutz. „Das große Problem ist nur: Ein Wurmloch bleibt nicht einfach offen, dafür braucht man enorme Mengen negativer Energie – und niemand weiß, wo die zu finden wäre.“ Und selbst wenn wir diese negative Energie auftreiben könnten und eine hochgradig entwickelte Kultur der Zukunft ein Wurmloch als Zeitmaschine zu nutzen wüsste: Man könnte damit nur bis zu dem Punkt in die Vergangenheit zurückreisen, an dem die Zeitmaschine hergestellt wurde.

Das würde zumindest erklären, weshalb wir nicht von Touristen aus der Zukunft überrannt werden.

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