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Gesundheit: "Tutkimus teollisuuden sijaintipaikan ..."

Es soll ja Leute geben, die trauern noch den Zeiten nach, als man in der Staatsbibliothek-Ost und der Universitätsbibliothek der Humboldt-Uni eigenhändig in den handgeschriebenen Folianten blättern durfte, um bestimmte Bücher auszuleihen.Zweifellos waren das erhabene Momente, nicht nur für Bibliophile.

Es soll ja Leute geben, die trauern noch den Zeiten nach, als man in der Staatsbibliothek-Ost und der Universitätsbibliothek der Humboldt-Uni eigenhändig in den handgeschriebenen Folianten blättern durfte, um bestimmte Bücher auszuleihen.Zweifellos waren das erhabene Momente, nicht nur für Bibliophile.Seit einigen Jahren ersetzen elektronische Kataloge Schritt für Schritt den sinnlichen Kontakt mit den Katalogkarten, und der zentrale Bibliotheksrechner übernimmt die Handarbeit.Notwendige Voraussetzung dafür ist wiederum Handarbeit, nämlich die Übertragung der Daten in eine spezielle Software.

Zu der Erfahrung, wie das Computerzeitalter manuell vorangebracht wird, verhalf mir ein wohlmeinender Bekannter.Auf einem Bierdeckel hatte er mir eine Telefonnummer, einen Namen und die Buchstaben ABD notiert; die notwendigen Angaben, um die Firma zu erreichen, die unter anderem ihr Geld mit Retrokonversion verdient, also mit Digitalisierung von Katalogen aller Art.So verschaffte mir die männliche Stimme am anderen Ende der Leitung einen Termin mit der Chefin.

Frau Ahnis strahlte, als hätte sie nur auf mich gewartet.Jedes Händepaar hilft die Liefertermine einzuhalten, weshalb hier nicht nur Studenten jobben.Die Digitalisierung der Bibliotheksdaten läuft, die Bestände sind riesig.Für den Anfang übergab sie mir die "Erfassungsvorschrift" von 60 Seiten, einige zusammengeklammerte Blätter mit Beispielen und noch 60 Seiten "Beilagen", in denen immer wiederkehrende Feinheiten für die Erfassung nachzuschlagen sind.

In den Bibliotheken sind die Karten in einem Kasten auf einen Metallstab gefädelt, damit sie von ungehobelten Nutzern nicht aus der alphabetischen Reihe gebracht werden.Die zu konvertierenden Karten sind zu handlichen Packen von je 100 sortiert und durch Schnippgummis an die bibliothekarische Ordnung gefesselt.So kann man sie am besten nach Hause tragen, nebst einer leeren Computerdiskette, die die konvertierten Daten enthalten wird.Vernetzte Menschen können zwar auf die Datenfernübertragung zurückgreifen, müssen die Karten aber trotzdem zurück ins Büro bringen.Mein Bekannter hatte mich vor den ersten paar hundert Karten gewarnt, aber schließlich hätte er es auch geschafft.Das gab mir Mut.

Hat man die Karten zu Hause entfesselt, wird der eine Stapel Karte für Karte kleiner, während der andere Stapel der eingetippten Karten proportional dazu wächst.Es waren einige hundert Karten notwendig, ehe sich bei mir eine Mischung aus routinierter Konzentration und einem fast olympischen Drang, mehr und mehr Karten pro Stunde zu schaffen, einstellte.Während die Tippfinger die Angaben von der Karte stur auf den Bildschirm übertragen, erleichtert das Radio die eremitenhafte Tätigkeit, und die alte Plattensammlung ist doppelt nützlich: Die Musik weckt nostalgische Gefühle, die zu den alten Buchtiteln auf den Karten passen und läßt einen hin und wieder aufspringen, was den Kreislauf leicht anregt.

Arbeiten bildet, oder kennt jemand das Pseudonym von Samuel Langhorne Clemens? Nach der zweihundertsten Karte der gesammelten Werke von Mark Twain bleibt unvergeßlich, daß sein sogenannter Klarname eigentlich Samuel Langhorne Clemens ist.Bis dato hatte ich angenommen, man könne die Kataloge der Bibliotheken in Zeiten computeranimierter Zeichentrickfilme einfach einscannen.Aber auch eine ausgereifte Texterkennungssoftware versagt spätestens bei der ersten handgeschriebenen Karte in altdeutscher Handschrift, deren Lesbarkeit noch dadurch verringert wird, daß sie als unscharfe Kopie vorliegt.Ganz zu schweigen von den fast 30 verschiedenen Informationen auf einer Karte, die nie an der gleiche Stelle stehen.Der Hauptsachtitel kann eine oder fünf Zeilen lang sein.Dadurch verschieben sich Angaben über Seitenzahl, Erscheinungsjahr und -ort nach unten.Bibliotheken unterscheiden übrigens nach Einheits-, Ansetzungs-, Parallel- und "weiteren" Sachtiteln; die feinen Unterschiede entnehmen Sie bitte der Erfassungsvorschrift.

Bibliothekarische Vorbildung ist nicht notwendig, aber der gute Wille zur Genauigkeit senkt die Fehlerquote beim Kontrollprogramm, und damit die Nacharbeit.Leseempfehlungen gibt es stapelweise.Skurile Buchtitel wecken Interesse, oder Verblüffung über die verlegerische Vielfalt, wenn sie vom "Segen der Hautpflege nach 32jähriger Erfahrung" künden, "Über den Einfluß der osmotischen Belastung auf die Neurosekretion der Kleinfische Gasterosteus aculeatus L.und Phixinus laevis L.aus dem Brackwasser des Finnischen Meerbusens" aufklären oder einfach "Tutkimus teollisuuden sijaintipaikan valintaan vaikuttavista tekijöistä suomessa" heißen.

Frustrierend sind Karten in Finnisch, Arabisch oder anderen fremden Sprachen, die sich jeder schätzenden Übersetzung entziehen, und deshalb die Kontrolle jedes Buchstabens verlangen.Den Schaffensdrang bremsen auch verschachtelte Angaben, die sich nur mit wiederholtem Studium der Erfassungsvorschrift entschlüsseln lassen, oder hingekrakeltes Altdeutsch.Je nachdem wie viele Karten man tippt, kann der Stundenlohn 20 Mark überschreiten oder unter 10 Mark verharren.Wenn man nach der fünften finnischen Karte dem übermächtigen Bedürfnis nach einer Pause nachgibt, gibt es keinen Chef, der das kritisieren könnte.

Archiv Bibliothek Dokumentation, ABD-Informationsmanagement, Franz-Mehring-Platz 2, 10243 Berlin, Tel./Fax: 2 96 53 30, Internet: http://home.t-online.de/home/ABD-inform/ABD.htm .Ansprechpartnerin: Frau Ahnis.

MIKE SCHELLER

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