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Gesundheit: Überall Abfall

Raketentanks und Metallbolzen rasen um die Erde und gefährden Satelliten – eine UN-Richtlinie soll helfen

Allzu große Hoffnungen machen sich die Delegierten nicht. Trotzdem haben sie dem Büro für Weltraumangelegenheiten der Vereinten Nationen am Montag in Wien ihre Vorschläge unterbreitet. Einziger Punkt auf der Tagesordnung: Weltraumschrott.

Durch die Columbia-Katastrophe ist das Thema brandaktuell. Der Raumfähre wurde möglicherweise ein Loch im linken Flügel zum Verhängnis. Unklar ist, wie dieses Loch entstanden sein kann. Womöglich durch ein Stück Weltraumschrott?

Neu ist der Gedanke nicht. Schon in einem Report, den der US-Nationale Forschungsrat (NRC) 1997 veröffentlichte, wurde vor den desaströsen Folgen gewarnt, die es haben könnte, wenn ein Stück Weltraummüll die Vorderkante eines Flügels oder eine empfindliche Stelle an der Unterseite des Shuttles durchdringen würde.

Solche Projektile gibt es genug. Nur vom Erdboden aus erscheint das Weltall leer. Seit die Sowjetunion 1957 mit dem ersten „Sputnik“-Satelliten das Raumfahrtzeitalter eröffnete, wurden rund 4000 Raketen-Starts gezählt. Die Hinterlassenschaften reichen von ausgebrannten Raketenstufen, Treibstofftanks und Abfallkübeln bemannter Raumfahrzeuge bis zu Verschlusskappen von Kameralinsen, Resten russischer Nuklearantriebe, Schrauben, Bolzen und abgeblätterten Farbpartikeln. All das umrundet die Erde.

Etwas abgeplatzte Farbe wäre in unserem Lebensbereich nicht weiter schlimm. Bei einer relativen Einschlagsgeschwindigkeit von bis zu 36000 Stundenkilometern, mit der solche Partikel durch den erdnahen Orbit geschleudert werden, sieht das anders aus. Da hat schon ein millimetergroßes Metallstück die Durchschlagskraft einer Gewehrkugel. Eine Metallkugel von der Größe eines Tennisballs hat die Sprengkraft von Dynamit.

Rund zwei Millionen Kilogramm Schrott umkreisen die Erde. Raumfahrtnationen tun gut daran, ihn im Auge zu behalten. Zuständig dafür ist in den USA das Verteidigungsministerium, genauer: das Weltraum-Kommando der amerikanischen Luftwaffe. Es residiert im „Cheyenne Mountain Operations Center“ außerhalb von Colorado Springs, einem bombensicheren Bunker, der während des Kalten Krieges tief in einen Berg aus Granit gegraben wurde. Dort unterhält das Kommando unter anderem ein weltweites Netzwerk von Radargeräten und optischen Teleskopen, das ständig von Menschenhand geschaffene Objekte im Weltall aufspürt, verfolgt, identifiziert und katalogisiert.

Das Netzwerk erstreckt sich von Hawaii über Grönland bis nach Diego Garcia im Indischen Ozean. Es arbeitet rund um die Uhr, übermittelt täglich mehr als 100 000 Daten. Etwa 26 000 verschiedene Objekte wurden seit dem Start von „Sputnik-1“ registriert, zwei Drittel davon traten inzwischen wieder in die Erdatmosphäre ein. Unter den übrigen rund 8500 Objekten sind etwa 700 aktive Satelliten, der Rest ist Müll.

Ursprünglich hatte dieses Überwachungssystem einen rein militärischen Zweck. Man fürchtete, Teile von Weltraummüll könnten beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre mit feindlichen Raketen verwechselt werden und einen Fehlalarm in Raketenwarnsystemen der USA und anderer Länder auslösen. Heute werden die Daten auch an die Nasa und andere Raumfahrtbehörden weitergereicht, wenn Müll mit einem Satelliten oder Raumfahrzeug zu kollidieren droht.

Drei Zusammenstöße wurden nach offiziellen Angaben seit Beginn des Raumfahrtzeitalters dokumentiert. Der schlimmste ereignete sich im Juli 1996. Damals prallte ein zehn Jahre altes Fragment einer explodierten Ariane-Rakete in 678 Kilometern Höhe auf den französischen Spionagesatelliten „Cerise“ und setzte ihn außer Betrieb.

Raumstation bedroht

Mindestens achtmal hätten Shuttles Weltraumschrott schon ausweichen müssen, sagte Allard Beutel, Sprecher des Johnson Space Center der Nasa in Houston, nach dem Absturz der Columbia. Einmal befand sich ein sechs Meter langer Metallzylinder einer 30 Jahre alten russischen SL-8-Rakete auf Kollisionskurs mit der Internationalen Raumstation ISS. Damals half die Raumfähre „Endeavour“ dem 140 Tonnen schweren Außenposten durch eine Zündung ihrer Antriebsraketen aus der Gefahrenzone. Die Auflösung der Geräte, die das Beobachtungsnetz mit Daten speisen, reicht allerdings nur für vergleichsweise „große“ Objekte. Die Untergrenze liegt im erdnahen Orbit bei zehn Zentimetern; auf weiter entfernten, geostationären Bahnen, wo bevorzugt Satelliten platziert werden, ist es ein Meter. Darüber hinaus wird mit 150000 bis 300000 weiteren Teilen in der Größenordnung zwischen einem und zehn Zentimetern gerechnet.

Gerade die Zahl kleinerer Teile, die immer noch groß genug sind, um etwa einen Shuttle zu gefährden, nimmt zu. Mindestens 124-mal, vermutlich noch häufiger, sind Reste von Raketen und Satelliten im All explodiert. Sie wurden dabei in viele Einzelteile zersprengt.

Besonders bedrohlich war eine Explosion Ende 2001. Damals zerbrach der tonnenschwere russische Erdbeobachtungs-Satelliten „Cosmos 2367“ zwei Jahre nach dem Start in mehr als 300 große und viele kleinere Teile. Schätzungsweise 40 Prozent dieses Schrotts landeten in Umlaufbahnen, die von der ISS gekreuzt werden können.

Die Raumstation ist schon wegen ihrer Größe besonders gefährdet. Ein zwei Zentimeter großes Müllstück könnte ein Loch in die Schutzschicht schlagen. Der Shuttle ist noch verwundbarer. Bei seinem ersten von drei Shuttle-Flügen habe er – damals an Bord der Challenger – einen kleinen Krater in der Windschutzscheibe entdeckt, schreibt Rick Hauck, Vorsitzender des vom NRC eingesetzten Expertenkomitees, im Vorwort zum Weltraumschrott-Report. Später stellten Ingenieure der Nasa fest, dass dafür abgeblätterte Farbe mit einem Durchmesser von nur 0,3 Millimetern ursächlich war. Sie stammte vermutlich von einer herrenlosen Raketenhülle.

Eigentlich sollen Shuttles sich nur in Bereichen bewegen, die noch relativ frei sind von Müll. Aber die Nasa akzeptiert ein gewisses Risiko, dass sie eine Raumfähre wegen der Kollision mit Weltraumschrott verliert. Ihren aktuellen Richtlinien zufolge darf dieses Risiko nicht höher als eins zu 200 sein. Das NRC riet dringend, strengere Maßstäbe anzulegen. Zuletzt dachten Nasa-Manager Mitte Januar über mögliche Maßnahmen nach, die Flotte besser gegen Weltraummüll abzusichern – drei Tage vor dem Start der Columbia.

Der Müll häuft sich. In bestimmten Höhen hält er sich mehrere 100 oder 1000 Jahre. Technisch wäre es denkbar, ihn zu beseitigen. Doch dies würde astronomische Summen verschlingen. Sinnvoller wäre die Müllvermeidung. Die Zahl der Satelliten nimmt stetig zu, in einigen Jahren könnten es statt der jetzt rund 700 schon 2000 sein. „Wenn Sie sich um das Problem in den nächsten zehn oder 20 Jahren nicht ernsthaft kümmern, ist es zu spät“, warnt Nicholas L. Johnson, Leiter der Forschungsabteilung Weltraummüll der Nasa in Houston und Chef der US-Delegation, die in Wien über einen Richtlinienentwurf der UN berät.

Ab auf den Friedhof

Das Papier wurde noch nicht veröffentlicht. Doch sollen ihm Standards zugrunde liegen, an denen man sich in den USA, Europa und Japan bereits orientiert. Das hieße unter anderem, dafür zu sorgen, dass in Raketen kein Treibstoff verbleibt, der sie zu „Zeitbomben“ werden lässt.

Satelliten müssten technisch so ausgestattet werden, dass man sie vor dem Ende ihrer Dienstzeit rechtzeitig in einen „Friedhof“ abschieben kann. Doch das kostet Geld. Der US-Physiker Phillip D. Anz-Meador, Berater der Nasa, rechnet damit, dass Satelliten-Betreibern durch solche Vorkehrungen Gewinne in Höhe von mehreren 100 Millionen Dollar entgehen würden. Dass sich kommerzielle Firmen, die den Markt dominieren, freiwillig einem solchen Verhaltenskodex unterwerfen, halten viele für zweifelhaft.

Irene Meichsner

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