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Gesundheit: „Unsere Antwort sind Studienkonten“

Gebühren schaden mehr als sie nützen, sagt der rheinland-pfälzische Wissenschaftsminister Jürgen Zöllner – und fürchtet einen Ansturm auf kostenfreie Unis

Herr Zöllner, Bundesbildungsministerin Bulmahn will eine „einheitliche sozialdemokratische Studienfinanzierung“. Gebührenfreies Erststudium, Studienbeiträge nur für Langzeitstudenten und für Gaststudenten aus NichtEU-Ländern – ist das nicht eher ein Verhinderungsmodell?

Es ist sozialdemokratische Position, dass wir ein gebührenfreies Erststudium wollen. Dies ist mit dem beim Parteitag im November 2003 beschlossenen Modell der Studienkonten gewährleistet. Die Studienkonten geben die Impulse, die zur Verbesserung der Lehre notwendig sind.

In Rheinland-Pfalz werden Studienkonten zum Wintersemester eingeführt. In Nordrhein-Westfalen gibt es sie bereits seit diesem Sommersemester. Was soll besser sein an diesem Punktekonto, für das die Studenten erst zahlen müssen, wenn sie die Regelstudienzeit deutlich überzogen haben?

Es gibt überhaupt keinen Zweifel, dass Studiengebühren einen vernünftigen Regulationseffekt auf die Hochschulen und auf das Verhalten der Studenten ausüben. Aber diesen Effekt erzielen wir mit Studienkonten genauso. Wenn junge Menschen ein Punktekonto haben, das begrenzt ist, werden sie verantwortungsvoll mit der Inanspruchnahme von universitären Leistungen umgehen. Einen Sprachkurs, der fünf Punkte kostet, werden sie regelmäßig besuchen und möglichst erfolgreich abschließen, sonst müssen sie sich am Ende des Studiums fehlende Punkte dazukaufen. Und wenn die staatliche Refinanzierung der Hochschulen an das Funktionieren des Kontensystems gebunden ist, werden sich auch die Unis anstrengen, ein zügiges Studium zu ermöglichen.

Die meisten unionsregierten Länder wollen Gebühren, die Grünen inzwischen auch, die Hochschulrektoren sowieso und ein SPD-Wirtschaftsexperte sagt, eine Verweigerungshaltung sei politisch nicht tragbar. Warum sind Sie so strikt gegen Gebühren?

Weil ich eine qualifizierte Erstausbildung ohne Angst vor zusätzlichen finanziellen Belastungen für eine der großen Errungenschaften der europäischen und insbesondere der deutschen Kultur halte. Das ist vor allem auch für die Gesellschaft wichtig, weil sie möglichst viele hoch qualifizierte junge Menschen braucht. Außerdem konnte mir bislang niemand sagen, wie man die negativen Folgen von Gebühren und eines Stipendiensystems abfedern will.

Was befürchten Sie?

Auch wenn es ein Stipendiensystem geben wird, werden nicht nur sozial benachteiligte, sondern auch potenzielle Studenten aus kinderreichen Mittelstands- und Beamtenfamilien vom Studium abgehalten, die keinen Anspruch auf Bafög haben. Ein Darlehensystem mit einkommensabhängiger Rückzahlung wäre auch bürokratisch sehr aufwändig, vor allem was die Berücksichtigung von Krankheit und Kindererziehung angeht.

Die Bundesbildungsministerin will Studiengebühren für Gaststudenten – wäre das nicht auch sozial ungerecht?

Wir sollten im Moment nicht über Details und Einzelgruppen reden, sondern uns auf eine weitreichende Einführung eines vernünftigen Modells konzentrieren.

Kindergärten sind gebührenpflichtig, aber das Studium, mit dem sich künftige Besserverdiener qualifizieren, wird vom Steuerzahler finanziert.

Das ist eine absurde Diskussion. Wenn wir es heute noch nicht schaffen, die wünschenswerte kostenfreie Kinderbetreuung anzubieten, kann das doch kein Argument für Studiengebühren sein.

Wer für sein Studium zahlt, überlegt sich vorher besser, was er studiert und mit welchem Job es später möglich ist, das Darlehen zurückzuzahlen. Kombiniert mit vermehrter Auswahl der Studenten durch Eignungstests soll ein ganz neuer Geist an den Unis einziehen.

Der verantwortungsvolle Umgang mit dem Bildungsangebot der Hochschulen wird ja auch durch Studienkonten gewährleistet. Was die Auswahlmöglichkeiten betrifft: Ich bin der festen Überzeugung, dass das vorherige Prüfen der Lernfähigkeit junger Menschen noch schwieriger ist, als das nachträgliche Abfragen. Man sollte die Studenten zuerst hereinlassen und nach zwei Semestern und Beratung feststellen, ob sie auf dem richtigen Weg sind.

Mit den Beiträgen soll auch ein besseres Betreuungsverhältnis zwischen Studierenden und Lehrenden finanziert werden. Rund zwei Milliarden zusätzlich erwarten Befürworter bundesweit. Studienkonten bringen deutlich weniger.

Selbst Befürworter von Studiengebühren gehen davon aus, dass sie höchstens zwei bis fünf Prozent der Hochschulfinanzierung ausmachen würden. Erfahrungen im gelobten Gebührenland Australien zeigen: Das staatliche Engagement für die Hochschulen geht innerhalb von zwei bis drei Jahren nach der Einführung von Gebühren genau in dem Maße zurück.

Kann eine Landesregierung ihren Universitäten in Zeiten zunehmend gestärkter Hochschulautonomie überhaupt verbieten, Gebühren zu erheben?

Selbstverständlich. Der Staat wird die Hochschulen auch in Zukunft mit oder ohne Studiengebühren zu 98 oder 96 Prozent finanzieren. Da muss er das Recht haben, über die restliche Finanzierung zu entscheiden. Bis vor kurzem waren die Hochschulrektoren übrigens noch mehrheitlich gegen Studiengebühren. Offenbar schwenken sie jetzt um, weil ihnen zugesichert wird, dass das Geld ausschließlich den Hochschulen zugute kommen wird. Solche Zusagen sind aber äußerst fragwürdig. In Hessen kassiert der Staat 98 Prozent der Langzeitgebühren.

Den gebührenfreien Universitäten drohe ein Ansturm nicht zahlungsfähiger Studenten und damit ein Prestige- und Qualitätsverlust, warnt die IHK Berlin.

Wenn eine größere Zahl von Bundesländern Studiengebühren ab dem ersten Semester einführt, käme es tatsächlich zu massiven Wettbewerbsverzerrungen. Die Länder, die keine Gebühren erheben, könnten überrannt würden. Man müsste dann einen Ausweg finden, unzumutbare Studienbedingungen zu verhindern. Aber da müssen wir erst das Urteil des Bundesverfassungsgerichts abwarten. Alles kommt darauf an, ob und mit welcher Begründung das geltende Studiengebührenverbot fällt.

Sie halten es nach dem negativen Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Juniorprofessur für möglich, dass das Verbot von Studiengebühren bestehen bleibt?

Das Gebührenverbot gründet ja auf den im Grundgesetz garantierten „vergleichbaren Lebensverhältnissen“. Bei der Entscheidung zur Juniorprofessur wollten die Richter diesen Grundsatz nicht gelten lassen. Bei der Gebührenfrage müsste er aus meiner Sicht aber anders bewertet werden. Deshalb sehe ich durchaus eine Chance, dass das Verbot bestehen bleibt.

Wenn aber nicht – wie könnte der Ausweg für die SPD-Länder dann aussehen?

Ich kann das Karlsruher Urteil nicht voraussehen. Deshalb ist eine konkrete Aussage dazu nicht möglich.

Die unionsregierten Länder wollen im September ein Gebührenmodell vorstellen. Steht bis dahin auch das von Bulmahn angekündigte SPD-Programm?

Es gibt eine Antwort der SPD und das sind die Studienkonten, die wir ab dem Wintersemester einführen.

Das Gespräch führte Amory Burchard.

Jürgen Zöllner (59)

ist seit 1991 Wissenschaftsminister von Rheinland-Pfalz und Bildungssprecher der SPD-Länder. Zuvor war der Mediziner und Chemiker Präsident der Universität Mainz.

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