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Gesundheit: „Unsere Chance ist 50 zu 50“

Martin Rees, Hofastronom der Queen, über das mögliche Ende der Menschheit

Lord Rees, nicht nur als Buchautor analysieren Sie die Zukunft. Sie sind auch Königlicher Astronom. Müssen Sie da der Königin aus den Sternen lesen?

Nein. Das ist ein Ehrentitel. Im Hauptjob bin ich Professor für Kosmologie in Cambridge und zudem Präsident der Royal Society, also der britischen Akademie der Wissenschaften. Ich schreibe populärwissenschaftliche Bücher, um ein breites Publikum mit Kosmologie vertraut zu machen. Der Blick führt über 13 Milliarden Jahre zum Big Bang zurück und dann zur Bildung von Atomen, Sternen, Planeten, Biosphären und schließlich sogar menschlichen Gehirnen, die über all das und ihre Herkunft nachdenken können. Dazu gehört aber auch, dass man den Blick in die Zukunft richtet.

In Ihrem Buch „Unsere letzte Stunde“ beschreiben Sie einen Katalog von Menschheitsgefahren – und viele davon scheinen aus den Wissenschaften selbst zu kommen.

Die Wissenschaft verändert die Welt so schnell wie noch nie. Das birgt große Chancen, aber auch Risiken, die uns zur Vorsicht zwingen. Das Atomzeitalter hat uns gezeigt, dass Wissenschaft eine Kehrseite hat. Die atomare Bedrohung ist nicht vorüber und es gibt neue Bedrohungen, durch einzelne Menschen und das menschliche Kollektiv.

Kommen die Antworten auf die Herausforderungen von der Wissenschaft?

Nein. Das ist die Aufgabe der Gesellschaft. Es muss Gegenstand der öffentlichen Debatte sein, wie Wissenschaft angewandt wird. Es gibt eine enorme Kluft zwischen der Vielfalt dessen, was wir mit Wissenschaft machen könnten, und den sehr viel begrenzteren Dingen, die zu tun klug und ethisch wären. Wir müssen also wählen. Bei dieser Wahl müssen Wissenschaftler Mitverantwortung tragen, Ratschläge geben, an der Debatte teilnehmen. Aber die Entscheidungen müssen gemeinsam getroffen werden. Deshalb ist wichtig, dass die Öffentlichkeit die Risiken realistisch einschätzen kann. Sonst wird diese Debatte nie über Boulevardschlagzeilen hinausgehen.

Würden Sie sich als Wissenschaftler dann von der Gesellschaft die Forschung verbieten lassen?

Wissenschaftler forschen aus Neugier. Die Öffentlichkeit muss die Grenzen ziehen. Bei der Stammzellenforschung beispielsweise hatten wir in Großbritannien eine konstruktive Debatte zwischen Wissenschaftlern und Parlamentariern. Das hat zu einem Regulierungsrahmen geführt, der besser ist als in Kontinentaleuropa und sehr viel besser als in den USA. Das wurde erreicht, weil sich Wissenschaftler früh auf die Debatte mit der Öffentlichkeit eingelassen haben.

Wenn Sie den Stand der Wissenschaft am Anfang des 21. Jahrhunderts beschreiben, hat man das Gefühl, unsere Zivilisation sei an einer Wende: künstliche Intelligenz, biologische Manipulation, Weltraumreisen. Macht die Wissenschaft einen qualitativen Sprung?

Im 21. Jahrhundert kann eine einzige Gattung, der Mensch, den Zustand des ganzen Planeten ändern. Wir werden vielleicht die menschliche Intelligenz durch Maschinen erweitern, durch Genetik oder Drogen unser Bewusstsein, sogar unseren Körperbau. Die Akkumulation von Treibhausgasen, unsere Zerstörung der Artenvielfalt, all dies hat Folgen für den Planeten.

Gibt es auch Grenzen für die Wissenschaft?

Sie meinen als intellektuelle Forschung? Wir machen immense Fortschritte, aber entscheidend sind drei Bereiche: Das sehr Große, das sehr Kleine und das sehr Komplexe. Eine Herausforderung ist, das ganz Kleine mit dem ganz Großen zu verbinden, also die Welt der Quanten mit der Welt der Schwerkraft, dem Kosmos. Eine weitere Herausforderung ist die Komplexität der biologischen Zusammenhänge. Möglicherweise stoßen wir an Grenzen, weil die Kapazität unserer Gehirne nicht ausreicht. Das wird dann zur Frage führen, ob wir die Kapazität unserer Gehirne erweitern können, durch Computer etwa.

Sie sagen, die Chance, dass unsere Zivilisation das 21. Jahrhundert überlebt, liegt bei 50 Prozent.

Ich sage, die Chance für einen schweren Rückschlag für die Zivilisation ist 50 zu 50. Wenn wir daran denken, was im letzten Jahrhundert passiert ist. Es gab zwei Weltkriege, die Sowjetunion entstand und verschwand wieder. Da ist es nicht unwahrscheinlich, dass es in den nächsten hundert Jahren eine Konfrontation zwischen neuen Supermächten geben kann. Und es gibt in unserer Risikoanalyse ja auch viele andere Gefahren.

Sie schreiben sogar, die Fortsetzung des Lebens könne davon abhängen, dass wir nachhaltige Lebensgemeinschaften im Weltraum errichten, bevor der Planet zerstört wird.

Das wäre eine nachmenschliche Aktivität. Wir sollten daran denken, dass der Mensch nicht der Höhepunkt der Evolution ist. Die meisten wissen heute, dass wir das Ergebnis von vier Milliarden Jahren Evolution sind, beginnend mit dem ersten bakteriellen Leben auf der Erde. Aus Astronomie und Kosmologie lernen wir, dass die Zeit vor uns mindestens so lang ist wie die hinter uns.

Welche Wesen werden noch kommen?

Wenn in fünf Milliarden Jahren Kreaturen den Tod der Sonne miterleben, werden es bestimmt keine Menschen sein. Diese Kreaturen werden sich von uns so sehr unterscheiden wie wir von den ersten Bakterien. Ich sehe das kolossale Potenzial für Entwicklung von Leben, Komplexität und Intelligenz über das menschliche Stadium hinaus.

Ist es charakteristisch für uns heute, dass wir diese nachmenschliche Ära mit Gelassenheit sehen können? Oder spürt man als Kosmologe auch ein bisschen Nostalgie?

Unsere Vorfahren hatten vermutlich mehr apokalyptische Vorstellungen als die meisten von uns. Zur Nostalgie besteht kein Grund. Die Gegenwart ist für den größten Teil der Menschheit die beste Zeit, die es je gab. Denken Sie an die Lebenserwartung, den Zugang zu Information. Das sind großartige Entwicklungen. Nun müssen wir sehen, dass es dabei bleibt.

Das Gespräch führte Matthias Thibaut.

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