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Gesundheit: Vampire können Leben retten

Der Speichel von Fledermäusen enthält ein wertvolles Elixier - das Eiweiß löst Blutgerinnsel auf

Die meisten Fledermäuse saugen ausschließlich Milch aus ihren Müttern, wie alle Säugetiere. Nur drei der über 800 Arten ernähren sich von Blut. Nachts schmeißen sie sich ahnungslosen Opfern an den Hals – meist Rindern oder Pferden. Aber auch schlafende Menschen kann der Biss eines Vampirs ereilen.

Anders als Graf Dracula und sein blutrünstiges Gefolge saugen die Fledermäuse das Blut nicht aus den Adern, sondern ritzen mit ihren scharfen Zähnen einen Schlitz in die Haut. Dann lecken sie den Lebenssaft auf, bis sie satt sind – und das kann über eine halbe Stunde dauern.

Doch warum gerinnt das Blut nicht, nachdem die Vampire zugebissen haben? Das Geheimnis liegt im Speichel. Der Speichel von Vertretern der berüchtigten Vampirfamilie „Desmodontidae“ enthält das Protein „Desmodus Rotundus Salivary Plasminogen Activator“ (DSPA), das die Blutgerinnung hemmt. Damit der Gebissene nichts merkt, ist auch noch ein Betäubungsmittel in der Spucke.

Das Enzym DSPA wird den Ruf der Vampirfledermäuse wohl nachhaltig aufbessern, denn es kann auch Blutgerinnsel in Hirngefäßen von Menschen nach einem Schlaganfall auflösen.

Der Molekularbiologe Wolf-Dieter Schleuning war der Blutsaugerfamilie schon in den achtziger Jahren im mexikanischen Cuernavaca auf den Versen und untersuchte dort den Speichel des Gemeinen Vampirs „Desmodus rotundus“. Er gewann daraus das Enzym DSPA, das inzwischen künstlich hergestellt wird. Unter dem Namen Desmoteplase wird der Wirkstoff in klinischen Studien an Schlaganfallpatienten getestet.

Bisher gibt es nur ein anderes Medikament, das nach Schlaganfällen Gerinnsel in Hirngefäßen abbauen kann: rtPA. Diese Substanz wurde einem Stoff nachempfunden, den jeder Mensch in sich trägt. „Täglich bilden sich unzählige Blutgerinnsel in unserem Organismus, die auf ganz natürliche Weise von dem körpereigenen Enzym abgebaut werden, bevor sie gefährlich werden können“, sagt Nils Schröder, Chemiker und Sprecher des Unternehmens Paion, das derzeit die klinischen Studien mit Desmoteplase macht.

Aber rtPA hat den Nachteil, dass es nur innerhalb der ersten zwei Stunden nach einem Schlaganfall gegeben werden kann. „Danach besteht ein hohes Risiko für gefährliche Hirnblutungen“, erklärt Schröder. 80 Prozent der Patienten kommen erst sehr viel später ins Krankenhaus – für sie ist es dann zu spät für eine Behandlung mit rtPA.

„Ein Schlaganfall tut nicht weh“, sagt Schröder. Oft bemerken Betroffene erst am Tag nach dem Auftreten erster Symptome, dass sie ernsthaft erkrankt sind und kommen in die Klinik. Für diese Patienten ist der Stoff aus der Fledermaus eine große Chance: Desmoteplase kann bis zu neun Stunden nach dem Schlaganfall eingesetzt werden.

„Wenn alles gut läuft, wird das Medikament Ende 2007 auf den Markt kommen“, hofft Schröder.

Im Interesse der Forschung stehen aber nicht nur die drei Blut trinkenden Vertreter, die ausschließlich in Südamerika vorkommen. In Deutschland leben 24 Fledermausarten – fünf davon nutzen die Zitadelle Spandau jedes Jahr als Winterquartier. „Etwa 10000 Tiere überwintern jedes Jahr in der Zitadelle“, sagt Esther Tradt, Biologin von der Universität Potsdam. „7000 davon sind Fransenfledermäuse.“ Die anderen 3000 setzten sich aus Großen Mausohren, Wasserfledermäusen, Langohren und Zwergfledermäusen zusammen.

Diese in Mitteleuropa heimischen Arten haben sich an das Klima angepasst. „Während des Winterschlafs fahren sie ihre Körpertemperatur auf sieben Grad herunter“, sagt Esther Tradt. Wenn die Tiere im Schlaf regungslos von der Decke hängen, müssen sie ihre Füßchen nicht anspannen. „Durch einen speziellen Mechanismus haben sie auch mit erschlafften Muskeln Halt“, erklärt die Expertin.

Doch die Ruhe ist trügerisch: Die Paarung findet in den Winterquartieren statt – und die Weibchen bekommen davon kaum etwas mit. Wenn die Männchen sich eine Fledermausfrau ausgeguckt haben, übermannen sie sie im Schlaf. Ein gefährlicher Balanceakt, bei dem die Weibchen von der Decke fallen und ums Leben kommen können.

„Die Weibchen können den extrem reduzierten Stoffwechsel nicht innerhalb kürzester Zeit hochfahren“, sagt die Biologin. „So haben sie keine Chance, schnell genug zu reagieren und sich festzuhalten.“ Zwar verfügen die Tiere über einen Reflex, durch den sich die Flügel beim Herabfallen ausbreiten, doch nicht immer geht der natürliche Fallschirm rechtzeitig auf.

Nach der Paarung speichern die Weibchen das Sperma bis zum Frühling – erst dann erfolgt die Befruchtung. Um den Nachwuch zu bekommen, suchen sie Wochenstuben auf. Die Fransenfledermäuse aus der Zitadelle Spandau bringen ihre Jungen dann in Baumhöhlen in den Wäldern bei Nauen und Paulinenaue in Brandenburg zur Welt. In den Verstecken tun sich die Weibchen in kleinen Gruppen zusammen und unterstützen sich gegenseitig bei der Aufzucht der Fledermaussäuglinge.

Von Juni bis Juli werden die kleinen Fledermäuse geboren – alles Einzelkinder. „Wie bei allen Säugetieren ist die Aufzucht der Jungen ein großer Kraftakt für die Mütter“, sagt Esther Tradt. „Da sie nur einmal im Jahr ein einziges Jungtier bekommen können, ist es besonders wichtig, die Wochenstuben zu schützen.“ Jedes Jahr fallen Fledermausjunge der Abholzung ihrer Kinderstube zum Opfer oder verhungern, wenn die Mütter nicht ausreichend Nahrung finden.

Alle europäischen Fledermäuse sind Insektenfresser. In den Tropen gibt es hoch spezialisierte Spezies, die Fische fangen, Vögel im Flug jagen oder wie Kolibris an Blüten herumschwirren und dabei Nektar trinken. Sie alle haben eines gemeinsam – das augeklügelte Echolotsystem, mit dem sie ihre Beute orten.

Dagny Lüdemann

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