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Gesundheit: Verbale Attacken

Unser Sprechen wirkt auf Leib und Seele: Forscher erkunden die verletzende Rede

Von Caroline Fetscher

Was Sie gerade eben, oben über diesem Artikel, gelesen haben, nennen wir eine „Schlagzeile“ – und dieser Begriff entstand nicht durch Zufall. „Schlagend“ sollen solche Zeilen also sein. Sie sollen „treffen“, möglichst „ins Auge fallen“, manchmal auch „unter die Haut gehen“ und suggerieren damit: Worte sind Taten. Symbolische Handlungen zwar, jedoch physisch wirksame, wie uns die Sprache selbst verrät.

Wir alle wissen, dass ein Wort, ein Satz, verletzend wirken kann „wie eine Ohrfeige“, verwundend wie ein „Tritt vors Schienbein“. Und nicht nur unsere politische Metaphorik strotzt von solchen Ausdrücken, die wir meist gedankenlos verwenden. Kaum eine solche Metapher in unserer Sprache existiert ohne ihren Bezug auf das Somatische, auf den Körper. Giftige Worte können Elend, Kummer, Übelkeit, Zittern, Scheu und Angst verursachen. Gute Worte können physisch beruhigend wirken, als „Balsam“ für Leib und Seele.

Im Anfang war das Wort. Und auf das Wort kommt es weitaus mehr an, als uns gewöhnlich, wenn wir unreflektiert im Alltag sprechen, bewusst ist. Der herrschaftsfreie Diskurs, die gewaltlose Sprache, bleibt nach Jürgen Habermas ein demokratisches Ideal – eine Einsicht, an der sich eine Konferenz zu „Gewalt durch Sprache. Rhetoriken des verletzenden Sprechens“ am Wochenende an der Freien Universität Berlin orientierte. Initiiert wurde die internationale Tagung von Erika Fischer-Lichte als Jahrestagung des von ihr geleiteten Sonderforschungsbereichs „Kulturen des Performativen“.

„Sprache und Gewalt sind gleichsam verschwistert, Sprache erweist sich als kontaminiert von Gewalt“: Unauflösbar sei daher die elementare Ambivalenz des Sprechens, erklärte Burkhard Liebsch, Philosoph an der Ruhr-Universität Bochum. Wer auch immer spricht, der kann selbst dann verletzen, wenn er dies nicht mit Bedacht tut. Dennoch, so Liebsch, werde derjenige, über den gesprochen wird, oder der angesprochen ist, es in aller Regel vorziehen, dass er „im Gespräch bleibt“ anstatt den „sozialen Tod“ zu erleiden, den das „Schweigen als Gewalt“ bedeutet. Das Selbst aber könne „kaum auf Gewaltfreiheit hoffen“, allenfalls lässt sich mehr Sprachbeachtung erlangen – ein alertes, erweitertes Bewusstsein für das eigene Sprechen. Sibylle Krämer, Philosophieprofessorin an der FU und Mitorganisatorin der Tagung, formulierte in diesem Kontext die zentrale Frage, wie „die performative Macht des verletzenden Wortes gebrochen werden kann“.

Wie die Sprache uns als Individuen konstituiert, beginnt beim Namen, bei der „Anrufung“ durch den anderen, wie Althusser sagte. Wer nicht gerufen, genannt wird, der existiert nicht. Wer falsch gerufen wird, dessen Identität, Würde und Existenz sind unmittelbar attackiert. Geltung hatte dies bereits im Kontext der „höfischen Schweigeregeln“, sagte Mireille Schnyder von der Universität Konstanz. Mit Bedacht klammerten sie jene aus, die das Selbstverständnis des Hofes gefährdeten. Nichtnennung zielt „immer auf den Körper’“ des anderen, hielt Schnyder fest. Auch die Fehlnennung, die Verzerrung und Änderung eines Namens, hat diese Absicht.

Für den FU-Literaturwissenschaftler Gert Mattenklott ist hier ein Fall aus der NS-Zeit exemplarisch – ein Fall, in dem es, wie im gesamten Sprechduktus des Regimes, um Sprachhegemonie und Deutungshoheit ging. In der von Joseph Goebbels orchestrierten Hetzpresse wurde der jüdische Berliner Polizeibeamte Bernhard Weiß konstant als „Isidor“ bezeichnet, ein Synonym für den „ewigen Juden“. Als derart kränkend empfand Weiß diese Verzerrung, dass er sich verzweifelt auf dem Rechtsweg gegen die „Anschläge des Agitators auf seinen Namen“ zur Wehr setzte. Das Verfahren wegen „Namensmissbrauch“ hinterließ 3000 Seiten juristischer Prozessakten.

Zu den empfindsamsten Sprachkritikern zählte während des Nationalsozialismus der Philologe Victor Klemperer. Berühmt geworden durch seine posthum veröffentlichen Tagebücher, verfasste er ein luzides, wenn auch weniger bekanntes Werk mit dem Titel „LTI“, Klemperers ironisches Akronym für „Lingua Tertii Imperii“, die Sprache des Dritten Reiches, das mindestens gleichrangig neben Dolf Sternbergers „Aus dem Wörterbuch des Unmenschen“ (1957) dasteht.

Beleidigt, herabgesetzt, gedemütigt werden sollte im „Dritten Reich“ nicht nur der individuelle Bürger, sondern ebenso die Gruppe, „die Juden“. Ein Großteil aller sprachlichen Gewaltakte, aller Denunziationen, Gerüchte, Verwünschungen, Flüche, Verzerrungen, Beschimpfungen, Missachtungen und Spottreden zielt, so hob Sibylle Krämer hervor, auf die „Doppelkörperlichkeit“ unseres Selbst als Individuum einerseits und Teil einer markierten Gruppe andererseits. Krämers reiche Anthologie zum Thema, herausgegeben gemeinsam mit Steffen Kitty Herrmann und Hannes Kuch („Verletzende Worte. Die Grammatik sprachlicher Missachtung“) erscheint im Frühjahr 2007 im Transcript Verlag.

Wie kann eine Gruppe, insbesondere eine Minorität, von sich selbst sprechen, fragte der prominente Kulturwissenschaftler Homi Bhabha aus Harvard. Wie kann sie sich selbst bezeichnen, ohne dabei den Essenzialismen und ontologischen Unterstellungen anheimzufallen, die ihr als „Juden“, „Schwarze“, „Schwule“ oder „Frauen“ zugeschrieben werden? Bhabha schlug vor, je nach Situation, diskriminierende Titel durch Namen für akute, aktuelle Interessensgemeinschaften zu ersetzen.

Meilenweit entfernt von solchen differenzierten Überlegungen zu den symbolischen Praktiken sprachlicher Verletzung ist, wen wird es wundern, die Sprachpraxis Jugendlicher auf den Schulhöfen der Gegenwart. Dort geht es, wie die Klagenfurter Wissenschaftlerin Ulrike Popp in langjährigen Feldstudien, finanziert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) erfuhr, zunehmend um sprachliche, weniger um unmittelbar körperliche Gewalt. Diese sei vielmehr „rückläufig“, konstatierte die Pädagogikprofessorin – und widerlegt damit gängige Medienstereotypen.

Gleichwohl scheinen heutige Schülerinnen und Schüler in ihren Sprachschlachten und Hierarchiegefechten nichts auszulassen, was das sprachliche Instrumentarium Übles bietet, keine Schikane, Hänselei, Herabsetzung, Ethnisierung anderer, keine Gesten und keine Zeichen. Ob es eine Sublimationsleistung darstellt, dass „coole“ Jugendliche, wohl weil sie in einer immer virtueller werdenden Welt aufwachsen, einander lieber verbal attackieren anstatt „sich zu kloppen“, wie man früher sagte? Womöglich ersetzten die doch auch physisch wirkenden Verbalattacken und Mobbingstrategien die Kloppe von einst auf noch perfidere Weise.

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