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Gesundheit: Verdiente Quartettspieler des Volkes

Zwei Studenten entwarfen ein Kartenspiel mit bekannten Marken aus der DDR / "Kost the Ost" als Alternative zu "Test the West"VON JOSEFINE JANERTAuf die Karte des Schwarzen Peters sollte ursprünglich Karl Eduard von Schnitzler, der berüchtigte Kommentator des "Schwarzen Kanals" im DDR-Fernsehen."Dann entschieden wir uns, die Politik völlig aus dem Spiel zu lassen.

Zwei Studenten entwarfen ein Kartenspiel mit bekannten Marken aus der DDR / "Kost the Ost" als Alternative zu "Test the West"VON JOSEFINE JANERTAuf die Karte des Schwarzen Peters sollte ursprünglich Karl Eduard von Schnitzler, der berüchtigte Kommentator des "Schwarzen Kanals" im DDR-Fernsehen."Dann entschieden wir uns, die Politik völlig aus dem Spiel zu lassen.Die wird ja ständig in den Medien behandelt", sagt Tobias Stregel."Was fehlt, ist der Blick auf den normalen DDR-Alltag." Gemeinsam mit Fabian Tweder, der an der Technischen Universität Informatik studiert, entwarf Stregel das Quartett "Kost the Ost".Auf den 46 Spielkarten sind Etiketten von bekannten Lebensmittelmarken aus der DDR abgebildet.Mit seinem Honoraranteil finanziert der Anglistikstudent sein Studium.Demnächst will er an der Humboldt-Universität zum Examen antreten. Schon als fleißiger Pionier legte Fabian Tweder den Grundstein für seine spätere publizistische Tätigkeit beim Klassenfeind.Statt wie andere Kinder Kaugummibilder zu horten, sammelte er Etiketten, die er von leeren Verpackungen ablöste. Tweder sah sich bei Altstoffsammlungen um, kletterte auf Müllhalden und hatte nach zwei Jahren 800 Exemplare beisammen.Dann landete die stattliche Kollektion im Keller.Erst vor einem Jahr beschäftigte er sich wieder mit den Bildern.Gemeinsam mit Tobias Stregel wandte er sich an den Berliner Eulenspiegel-Verlag, der sich auf Humor spezialisiert hat.Der brachte das Spiel heraus und konnte seit dem 1.November schon 30 000 Exemplare absetzen.Vor allem in den neuen Bundesländern. Zum Quartett gehören bekannte Marken wie "Echter Nordhäuser Doppelkorn", "Club Cola" und "Radeberger Pilsner", die im Osten nach wie vor gern gekauft werden: "Kost the Ost" als Alternative zu "Test the West".Andere, wie der Cola-Zitrone-Likör "Teledrink", werden schon lange nicht mehr hergestellt.Selbst Stregels geliebte Vollmilchdrops für 24 Pfennig sind vom Markt verschwunden.Er konnte ihnen nicht einmal eine Spielkarte widmen.Das Etikett ist der Sammelwut seines Kompagnons entgangen. Auch in der DDR gab es eine gewisse Produktvielfalt, obwohl viele Westdeutsche glauben, wir hätten am Hungertuch genagt", meint Fabian Tweder.Den Erfolg des Quartetts erklärt er sich damit, daß sich die Ostdeutschen beim Betrachten der Karten "an den DDR-Alltag erinnern, der eben nicht nur von Mauer und Stacheldraht geprägt war, sondern auch seine normalen Seiten hatte." Genau dieser Alltag wird in den Spielregeln auf die Schippe genommen.Der Verlierer muß die zehn Gebote der sozialistischen Moral aufsagen, einen Ausreiseantrag stellen oder das "Neue Deutschland" von der ersten bis zur letzten Zeile lesen.Wer drei Mal hintereinander gewinnt, wird "Verdienter Quartettspieler des Volkes". Die Karten sind mit neckischen Sprüchen versehen."Der letzte Trost vom Volksvertreter ist sein kleiner Wurzelpeter", lautet der zweideutige Vers für den Kräuterlikör, der statt Karl Eduard von Schnitzler den Schwarzen Peter ziert."Buntes Käseallerlei ist die Waffe der Partei", bedichteten die Studenten einen Brotaufstrich aus dem Volkseigenen Käsewerk Vahldorf. Seit der Wende können nun auch die Brüder und Schwestern aus dem Westen ihren Nachholebedarf - westdeutsch: "Nachholbedarf" - an "Berliner Pilsner" und dem Abführmittel "Regulax" stillen.Beim Kauf des Quartetts hielten sie sich bisher zurück.Auch manche Ostdeutsche wollen die bunten Bildchen nicht, die sie an lange Schlangen und das schlechte Warenangebot erinnern."Verschont uns damit", sagten einige Besucher, als Tobias Stregel und Fabian Tweder ihr Spiel auf der OstPro, der Berliner Messe für Ostprodukte, präsentierten. Dabei wollen die beiden Studenten keine unkritischen nostalgischen Gefühle wecken."Um keinen Preis will ich die DDR wiederhaben", sagt Tobias Stregel.Vielmehr geht es ihm um die spielerische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. "Berliner Pils wirkt effektiv im Brigadekollektiv", dichteten die beiden Studenten.Auf einem Werbeplakat würde dieser Spruch heute zu Irritationen führen.Schließlich arbeitet man jetzt nicht mehr im Kollektiv, sondern im Team.Und dort wird die Effektivität in aller Regel nicht mit Pils erhöht. Das Etikettenquartett "Kost the Ost" ist zum EVP (Einzelverkaufspreis) von 9,80 Westmark im Buchhandel erhältlich.

JOSEFINE JANERT

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