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Gesundheit: Verheizte Studiengebühren

Die Beiträge der Studenten sollen die Lehre verbessern. Tatsächlich aber werden sie oft zweckentfremdet

Eine ungewöhnliche Spende bekamen dieser Tage der Präsident und der Kanzler der Universität Ulm. Studierendenvertreter überreichten ihnen unter dem Beifall von hunderten Kommilitonen mehrere große Holzscheite – „Brennholz für die Uni“, wie es auf dem Plakat eines Studenten stand. Mit dem symbolischen Geschenk wehrten sich die Studierenden gegen Pläne der Unileitung, im kommenden Semester mit einem Teil der Studiengebühren steigende Energiekosten zu decken. Die Uni missbrauche die Gelder eklatant, wenn sie sie sprichwörtlich verheize, protestierten die Studierenden.

Wie gehen die Unis mit den Gebühren um? In Baden-Württemberg wie in Bayern und Hamburg müssen Studenten ab April 500 Euro pro Semester zahlen. In Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen überweisen Studienanfänger das Geld bereits seit dem Herbst an ihre Hochschulen, zum Sommersemester wird das Studium dort auch für ihre älteren Kommilitonen teurer. Die Wissenschaftsminister und die Gebührenbefürworter an den Hochschulen haben viel versprochen: Die Gelder – an großen Unis wie Göttingen, Heidelberg oder München werden bis zu 20 Millionen Euro im Jahr zusammenkommen – sollen allein für die Verbesserung der Lehre ausgegeben werden: Zusätzlich zu den Mitteln, die der Staat bereits jetzt seinen Hochschulen zahlt. Überfüllte Hörsäle, Seminare mit Hunderten von Studenten, kläglich ausgestattete Bibliotheken sollen bald der Vergangenheit angehören.

Doch jetzt, da die ersten Unis ein halbes Jahr mit Studiengebühren hinter sich haben und viele andere ihre Gebührenpläne für den Sommer veröffentlichen, zeigt sich: Das Beispiel Ulm ist kein Einzelfall. Nach Recherchen des Tagesspiegels investieren auch andere Hochschulen das Geld der Studenten in Vorhaben, die nicht unmittelbar die Lehre betreffen.

So will die Universität Düsseldorf mit dem Geld aus den Studiengebühren Marketingkonzepte erarbeiten – um mehr Studienanfänger zu gewinnen. Die Universität Göttingen plant, wie zahlreiche Unis, neue Sportgeräte für den Hochschulsport anzuschaffen. Der behindertengerechte Ausbau von Seminarräumen steht vielerorts auf dem Programm; die Uni Osnabrück spielte mit der Idee, Anzeigetafeln für schwerhörige Studenten in den Hörsälen zu montieren.

An der RWTH Aachen, einer der größten Technischen Universitäten, haben im Wintersemester mehrere Fächer die Gebühren der Erstsemester genutzt, um Imagebroschüren für ihre Fakultät entwerfen und drucken zu lassen. Ein Fachbereich gestaltete seine Homepage neu, für ein Begegnungszentrum zwischen deutschen und ausländischen Studierenden wurde eine Sozialarbeiterin eingestellt. Die Fachhochschule Hannover finanzierte ein Alumni-Portal im Internet, mit dem Absolventen angesprochen werden sollen. Für Aufregung sorgte dort auch die Anschaffung eines DVD-Players für 842,91 Euro. „Kann der auch kochen und abwaschen?“, fragte ein Student in einem Online-Forum ironisch. In großen Elektrofachläden könne man DVD-Player schließlich für weniger als 50 Euro kaufen. Die Hannoveraner haben – wie die anderen Hochschulen auch – die Vorhaben auf ihren Webseiten veröffentlicht.

Entgegen den Versprechen, die Gebühren würden allein in neue Projekte der Lehre investiert, wollen Hochschulen zudem mit dem frischen Geld der Studierenden längst bestehende Vorhaben finanzieren, für die bisher das Geld aus anderen Quellen floss. In Heidelberg will die Uni knapp 69 000 Euro für das Akademische Auslandsamt bezahlen, weil „Sonderzuweisungen“ des Wissenschaftsministeriums entfallen. Für das Career Center, das derzeit aus Drittmitteln finanziert wird, sollen in den nächsten drei Jahren über 100 000 Euro zurückgelegt werden – „falls die bisherige Finanzierungsquelle wegfällt“, heißt es in einem Beschluss der Studiengebührenkommission. Die Fachhochschule Göttingen/Hildesheim finanzierte mit den im Winter kassierten Gebühren mehrere feste Lehrkräfte, die bereits zwischen 2002 und 2004 eingestellt wurden. Der Hochschuletat wurde so um 300 000 Euro entlastet. An der Uni Dortmund stopft das Fach Raumplanung mithilfe der Studentengelder im kommenden Semester ein Loch von 400 000 Euro im Fakultätshaushalt.

Die Hochschulen erklären, die Politik zwinge sie nachgerade dazu, die Gebühren so zu verwenden – trotz „starker Bedenken und eines schlechten Gefühls den Studierenden gegenüber“, wie Hans-Peter Tietz sagt, der Dekan am Institut für Raumplanung in Dortmund. In Nordrhein-Westfalen hat das Wissenschaftsministerium den Unis zwar versprochen, ihre Etats in den kommenden Jahren nicht zu senken. Gleichwohl müssen die Hochschulen aus ihrem Haushalt jetzt Kostensteigerungen finanzieren, die früher der Staat übernommen hätte. Seine Uni leide besonders unter den steigenden Ausgaben für die Sozialversicherung ihrer Angestellten, sagt Tietz. Für die Lehre bleibe so weniger Geld übrig, das Defizit müsse mit den Gebühren ausgeglichen werden.

Auf einen ähnlichen Mechanismus berief sich auch die Uni Ulm, um das „Verheizen“ der Gebühren zu rechtfertigen: Sie müsse wegen der steigenden Energiepreise 1,3 Millionen Euro mehr für Strom und Wärme zahlen, ohne einen Ausgleich vom Staat. Nach den Studentenprotesten soll die Stromrechnung zwar nicht mehr direkt aus den Gebühren beglichen werden. Querfinanzierungen schließe er aber nicht aus, sagt Vizepräsident Ulrich Stadtmüller. So könnte die Uni den Etat für Bücher kürzen; falls die Fakultäten dann neue Literatur anschaffen wollen, müssen sie doch auf die Gebühren zurückgreifen.

Sind solche Beispiele die Regel? Oder doch Ausnahmen in einer ansonsten langen Reihe sinnvoller Maßnahmen, von denen die Studierenden langfristig profitieren werden? Einen „enormen Erklärungsbedarf“ sieht Gebührenexperte Ulrich Müller vom Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) für die Pläne der Hochschulen. Müller hat für das CHE, das als sehr gebührenfreundlich gilt, untersucht, wie die Hochschulen in NRW im Wintersemester die Gebühren eingesetzt haben. Er zeichnet ein ambivalentes Bild – und zwar auch für die Vorhaben, die die Lehre tatsächlich verbessern könnten. Zwar würden praktisch alle Unis mehr Tutoren einstellen, damit Studenten in kleineren Gruppen lernen können. Bibliotheken bekämen mehr Geld. Von einem strukturierten Vorgehen, das langfristig zu einem Qualitätssprung führe, könne allerdings nur selten gesprochen werden. Insgesamt, so das vernichtende Resümee von Müllers Studie, hätten nur „einige Hochschulen durchdachte und in einem strategischen Gesamtzusammenhang eingebettete Verteilungsgrundsätze erarbeitet“.

Das könnte die Hochschulen vor große Probleme stellen – wenn Gerichte die Klagen von Studierenden gegen die Gebühren behandeln, die bereits zu Tausenden vorliegen. Ludwig Kronthaler, früher Kanzler der TU München, jetzt Richter am Bundesfinanzhof in München und prononcierter Gebührenbefürworter, ist in einem Rechtsgutachten zu einem für die Unis heiklen Schluss gekommen. Sie müssten konkret nachweisen können, ob Studenten für ihr Geld eine angemessene Gegenleistung bekämen. „Andernfalls sieht es für sie vor Gericht schlecht aus“, sagt Kronthaler – die Gebühren seien dann rechtswidrig. Die meisten Länder hätten in ihren Gebührengesetzen explizit festgelegt, dass die Unis die Gelder zur Verbesserung der Lehre einsetzen müssen. Aus dem Schneider wären allein Baden-Württemberg und Hamburg, in deren Gesetzen ein solcher Passus fehlt.

Umstritten ist, ob es zu den sinnvollen Maßnahmen gehört, Hörsäle zu sanieren. Für Baumaßnahmen stellt der Staat eigentlich Extragelder zur Verfügung. Aachen plant dennoch, 4,5 Millionen Euro aus Gebühren in ein neues Seminargebäude zu stecken, um es von drei auf vier Stockwerke zu erhöhen. Göttingen will für drei Millionen Euro ein altes Gebäude zu einem Seminarzentrum umbauen und für eine Million Euro drei Hörsäle sanieren. Beide Unis argumentieren, sie hätten nicht genügend geeignete Räume, um mehr Lerngruppen anzubieten. Die regulären Etats seien zu klein, um die Gebäude zügig hochzuziehen. Die Studenten hätten daher den Plänen zugestimmt. Das nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerium droht dagegen laut einem Sprecher den Hochschulen mit der Rechtsaufsicht, falls sie mit den Gebühren Baumaßnahmen finanzieren.

Die Ruhr-Universität Bochum hat dagegen in ihrer Gebührensatzung explizit festgeschrieben: „Kosten, die aus den Studienbeiträgen nicht finanziert werden dürfen, sind insbesondere Bau- und Instandhaltungsmaßnahmen, Gebäudesanierungsmaßnahmen, Energie- und Mietkosten.“ Es geht also auch anders.

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